Dann fuhr Haremhab fort: »In dieser Zeit erhöhter Unsicherheit in den Beiden Ländern ist die Armee das mächtige Organ der Ordnung und Gerechtigkeit, das die unsterblichen großen Werte und Traditionen unseres Königreiches verteidigt. Erfolgreich verfolgen wir unsere territorialen Interessen in Amurru. Kriege sind eine Notwendigkeit, um unsere Vormachtstellung und Autorität in der Welt aufrechtzuerhalten und unsere Grenzen zu erweitern. Es obliegt meiner Verantwortung, diese Kriege zu gewinnen. Recht und Ordnung, die in unserem Staat beispielhaft sind, müssen erhalten und weiter vervollkommnet werden, und deshalb bitten wir den König und seine Berater, weitere Geldmittel für das hehre Ziel zur Verfügung zu stellen, die Armeedivisionen aufzustocken und damit unseren glorreichen Triumph zu garantieren, durch den sich die Investition, um die wir hiermit formell ersuchen, reich bezahlt machen wird.«
Er hielt inne. Ich sah mich in dem großen Saal um. Alle waren jetzt hundertprozentig bei der Sache, warteten gebannt darauf, was der König antworten würde. Das Publikum schenkte ihm völlige Stille, damit auch jedes leise gesprochene Wort verstanden wurde.
»Der Krieg ist der natürliche Zustand der Menschheit«, hob er irgendwann an. »Er ist eine große und edle Sache. Wir unterstützen und finanzieren die Armee der Beiden Länder. Wir applaudieren ihrem General. Sein Ziel ist unser Zieclass="underline" der Triumph unserer Ordnung durch die rechtmäßige Ausübung der Macht. Wir haben während dieser langen Jahre der Schlachten durchgängig unsere Unterstützung gewährt in dem vertrauensvollen Glauben an unseren General, der uns immer wieder versichert, dass diese Kriege erfolgreich zum Abschluss gebracht werden. Aber selbstverständlich werden viele Forderungen an unser großes Schatzamt gestellt. Der König und seine Berater tragen die Verantwortung, dass diese vielen und oftmals gegensätzlichen Bitten im Gleichgewicht stehen. Die maat ist die göttliche Ordnung des Universums, und in unseren Städten und Ländern wird diese göttliche Ordnung mittels angemessener Finanzierungen gewahrt, die sich aus den Beiträgen zusammensetzen, die von jedem Einzelnen gefordert werden. Deshalb bitten wir den General der Beiden Länder, vor uns allen, die wir hier versammelt sind, zu erklären und zu rechtfertigen, warum die Armee jetzt trotz unserer ohnehin schon freigebigen Unterstützung noch weitere Zuschüsse erbittet.«
Haremhab trat vor, als habe er sich auf diesen Schritt vorbereitet.
»Der Grund für unsere Bitte ist nicht nur die erfolgreiche Beendigung unserer Auslandskriege. Wir haben überdies vor, die Präsenz und die Macht der Armee im Inland zu verstärken. Denn wie deutlich wurde, sind innerhalb unserer eigenen Gesellschaft zerstörerische Kräfte am Werk. Den Berichten zufolge haben diese Kräfte nicht nur ihren Weg in unsere Tempel und Regierungsstellen gefunden, sondern auch in das Herz des Königspalastes. Wir fragen uns, wie es überhaupt möglich war, dass es zu solch einem Hochverrat kommen konnte.«
Ein Raunen ging durch die Menge, denn was in Haremhabs Worten mitschwang, war Zweifel an der Autorität des Königs.
Tutanchamun ließ sich jedoch nicht beirren.
»Menschen neigen dazu, abtrünnig zu werden und mit gezinkten Karten zu spielen, das ist der Lauf der Welt. Es gibt immer Männer, die Macht anstreben, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen: Männer mit Verrat in den Herzen und Aufwieglertum in den Hirnen. Doch seid versichert, dass wir stets über diese Männer triumphieren werden, denn ihre kleinkarierte Unzufriedenheit hat keinerlei Macht über unsere königliche Herrschaft. Die Götter werden sich an jedem Einzelnen von ihnen rächen.«
Tutanchamuns Ruhe war beeindruckend. Er starrte Haremhab mit unmissverständlichem Blick in die Augen. Wieder trat der General vor.
»Worte haben Macht. Aber Taten haben noch mehr Macht. Wir beten für die Sicherheit des Königs und erinnern ihn, dass ihm eine großartige Armee zur Verfügung steht, um die Beiden Länder sowohl gegen den Feind im Inneren zu verteidigen als auch gegen den, der an unseren Grenzen lauert.«
Langsam neigte Tutanchamun sein elegantes Haupt.
»Und in Anerkennung Eurer Loyalität sowie in der Erwartung Eures großen Sieges gewähren wir zur Unterstützung der Divisionen weitere Ressourcen für die Kriegszüge. Wir bitten unseren General, an die Front zurückzukehren, denn wohin gehört ein General, wenn nicht zu seinen Soldaten im Kampf?«
Die Anwesenden erkannten, dass dieser Moment in seiner Rede ihrer lautstarken Unterstützung bedurfte, und jubelten laut, und so wirkte das Ganze wie ein Triumph für den König. Aber die Offiziere der Armee standen am Rand des Saales und beobachteten das Drama wie Schakale, die darauf warteten, endlich jemanden töten zu können. Und dadurch sah das applaudierende Publikum aus wie eine Horde Äffchen.
28
Wir reisten noch am gleichen Nachmittag ab. Der Himmel war vor Hitze milchig weiß, und die Menschenansammlungen waren klein und zurückhaltend. Die Strömung trieb uns rasch hinter die großen Außenbezirke der Stadt. Wir hatten die potenziellen Gefahren des Staatsbesuches überlebt. Hier auf dem großen Schiff, auf dem Großen Fluss, bildete ich mir ein, das Umfeld besser kontrollieren zu können. Weiter im Norden, im gewaltigen Marschland des Deltas, würde der Fluss sich allmählich verändern und in zahllose Ausläufer verzweigen, die sich ihrerseits immer und immer wieder teilten, um am Ende in Form eines riesigen, feinverästelten und nicht schiffbaren Fächers ins nördliche Meer zu fließen. Bereits bevor es dunkel wurde, ankerten wir an einer Stelle, die man dafür auserkoren hatte, weil sie abgeschieden war. Es gab keine Städte in der Nähe, und selbst die Dörfer der Gegend waren ein ganzes Stück weg. Wir begaben uns früh zur Ruhe.
Die Karawane, die sich am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang auf den Weg machte, war nicht gerade klein. Zu ihr gehörten Delegationen von Diplomaten, Repräsentanten und hohen Beamten, deren Funktion darin bestand, dem König bei Bedarf zur Verfügung zu stehen, vor allem aber, die Taten des Königs zu bezeugen und schriftlich festzuhalten, denn schon bald würden die Berichte über seine blutigen Jagderfolge und seinen Heldenmut in die Jagd-Skarabäen geschnitten, die man dann überall in den Beiden Ländern verteilte. Und selbstverständlich gehörten zum Gefolge auch uniformierte königliche Wachen, Läufer zum Schutz der Karawane sowie Streitwagenlenker und Waffenmeister, die die Speere, Pfeile, Netze und Schilde des Königs transportierten. Dann waren da der Jagdmeister und seine Gehilfen, die Hunde- und Gepardenführer sowie die Treiber und Fährtenleser, deren Sachkenntnis im Hinblick auf die Gewohnheiten und Schlupfwinkel der Tiere für den Erfolg der Jagd von essenzieller Bedeutung war. Und das unmittelbare Umfeld des Königs bildeten meine Person, Simut und der Leibarzt Pentu.