Выбрать главу

Die Morgenluft war kalt und klar, der Mond stand niedrig am Himmel, die Sterne verblassten allmählich. Nebel wehten über die dunklen Wasser, und irgendwo versteckt begannen die ersten Vögel zu singen, als wollten sie Re mit ihrer Musik herbeizaubern. Trotz der frühen Morgenstunde schienen alle hellwach und wie beflügelt zu sein, sowohl von der Schönheit der Landschaft, die so perfekt war wie eine großartige Wandmalerei, als auch von der Aussicht auf das Abenteuer der Jagd. Die Pferde scharrten mit den Hufen, als sie abgeleint wurden, und der Atem von Mensch und Tier formte Nebel in der eisigen Dunkelheit.

Auf zerfurchten Pfaden fuhr unser seltsamer Konvoi vorüber an stillen grünen und schwarzen Feldern, auf denen sich nichts regte. Nur die Frühaufsteher unter den Bauern und ein paar barfüßige Kinder, die es vor Sonnenaufgang auf ihr Stück Land trieb, um von ihrem Wasserrecht Gebrauch zu machen, erhaschten einen Blick auf das Spektakel. Staunend starrten sie und zeigten mit den Fingern auf uns wie auf einen fantastischen Traum.

Als wir den äußeren Rand der Anbaugebiete erreichten, hielten wir inne. Vor uns lag das Rote Land. Wie immer beeindruckte mich die gewaltige Stille seiner scheinbaren Leere – heiliger als jeder Tempel, zumindest für mich. Die Sonne hatte gerade den Horizont erklommen, und so drehte ich mich um und spürte sofort die willkommene Wärme ihrer ersten Strahlen auf meinem Gesicht.

Der König stand aufrecht auf seinem Streitwagen und hob die Hände seinem Gott Re entgegen. Sein Oberkörper war nackt, und er trug einen kurzen Rock und einen Schal über der Schulter. Für einen kurzen Moment schienen sein Gesicht und sein Körper zu erstrahlen. Er hielt seinen jungen Löwen an einer kurzen Lederleine und versuchte trotz seiner zarten Gestalt und seines goldenen Gehstocks wie ein König auszusehen. Die Jagdmannschaften wie die Soldaten brüllten auf und stießen alsdann einen lang gezogenen Heulton aus, mit dem zum einen der Beginn der Jagd gefeiert und zum anderen eine Warnung an die bösen Geister der Wüste ausgesprochen wurde. Nachdem dieser Teil des Rituals beendet war, preschte der König mit seinem Streitwagen voran, und auf sein Signal hin überquerten auch wir die ewige Grenze zwischen dem Schwarzen und dem Roten Land.

Wir folgten einer Route, die gerade nach Westen führte, und die aufgehende Sonne warf die schrägen Schatten unserer marschierenden Gestalten direkt vor uns auf den Boden. Die Fährtenleser und die Hälfte der Wachsoldaten liefen voraus und legten unseren Weg fest. Wir stiegen langsam die Hochebene der Wüste hinauf, die Luft flirrte vor Hitze. Die trockene Luft trug jedes Geräusch. Laut und deutlich hörte ich, wie die hölzernen Achsen knarrten, wie Pferde ab und an auf dem lockeren Schotter stolperten und die Diener und Esel unter ihren Lasten keuchten. Wir halten die Wüste für einen Ort, an dem nichts und niemand ist, aber das stimmt nicht. Sie ist von uralten und neueren Pfaden durchzogen, die markiert und kartiert sind und von Menschen wie Tieren in den von Gestrüpp bewachsenen Boden gestampft wurden. Auf unserem Weg durch die Hitze des Morgens begegneten uns gelegentlich Viehtreiber und Hirten, diese schlanken und knochigen Nomaden, die ständig unterwegs sind. Sie waren unrasiert, hatten extrem kurz geschnittenes Kopfhaar und ihre Röcke zwischen den Beinen verknotet. Auf dem Rücken trugen sie kleine Rollen mit Vorräten und ein paar Töpfe, und in den knöchernen Händen hielten sie ihre langen Gehstöcke, mit deren Hilfe sie sich langsam und träge vorwärtsbewegten, immerzu, weiter und weiter. Ihre dürren und widerstandsfähigen Tiere, die sich mit der gleichen Trägheit bewegen, knabbern an allem, was sie finden können, und finden jedes Wasserloch, das sich in den schimmernden Winkeln aus Hitze und Licht versteckt.

Während wir an diesem Morgen unseres Weges liefen, stießen die Fährtenleser hin und wieder seltsam schrille Rufe aus, die wie jene von Tieren oder Vögeln klangen, um damit zu verkünden, dass sie etwas gesichtet hatten: eine kleine Herde Wüstengazellen oder Antilopen, Strauße oder Karakale, die regungslos da standen und uns aus sicherer Entfernung beobachteten, bis der Wind ihnen unsere Witterung in die Nase trieb und sie im nächsten Moment in einem Wirbelwind aus Staub verschwanden.

Als die Sonne in den Zenit kletterte, machten wir halt, um unser Lager aufzuschlagen. Die Fährtenleser fanden eine Stelle, die im Schutz eines langen, niedrigen Felsvorsprungs im Norden lag, was von Vorteil war, denn hier draußen war der Wind, der in der Nacht aus dieser Richtung wehte, nicht kühl, sondern kalt. Mit geübter Disziplin machten sich alle an die ihnen zugeteilten Aufgaben. Rasch entstand eine Siedlung aus Zelten, quasi aus dem Nichts. Gekonnt wurde Holz gerieben, der Funkenschlag zur Flamme geblasen. Tiere wurden geschlachtet, und der köstliche Duft von gebratenem Fleisch wehte durch die Wüstenluft. Ich hatte Hunger. Der König sah dabei zu, wie das Zeltlager aufgebaut wurde. Er saß auf seinem Reisethron, genoss den Luxus eines schattenspendenden weißen Baldachins und fächerte sich selbst Luft gegen die große Hitze des Tages und die Fliegen zu. In dieser Welt, in der es keine Mauern gab, sah er neben seinen Kisten und seinen vergoldeten Reisemöbeln aus wie ein Gott, der dieser Welt einen kurzen Besuch abstattete. Es schien alles in Ordnung zu sein.

Ich lief auf die nächstgelegene Anhöhe, um das umliegende Terrain in Augenschein zu nehmen. Dort hielt ich mir die Hand über die Augen, um sie vor dem grellen Licht zu schützen. Gleichgültig in welche Richtung ich blickte, es war nirgendwo etwas zu sehen, nur die weiße und graue und rote Ödnis der Wüste, die hie und da von zähen Wüstenbüschen durchsetzt war. Ich schaute nach unten auf das kreisrunde Lager. Die Pferde, Packesel, Dickhornschafe und Kurzhaarziegen, die man an Holzpfähle gebunden hatte, mampften das Futter, das man für sie mitgeführt hatte. Die Enten hatte man aus ihren Käfigen gelassen, und so watschelten sie jetzt umher und pickten außer sich vor Wut auf dem wenig vielversprechenden Wüstenboden herum. Die Jagdhunde und -geparden, die in der Hitze bellten und hechelten, wurden von ihren Führern beaufsichtigt und voneinander ferngehalten. Die Zelte waren inzwischen fast alle aufgestellt, das des Königs hatte man genau in die Mitte des Lagers platziert, damit es den maximalen Schutz bekam. Die goldene Kugel, die die Mittelstange krönte, strahlte in der Sonne. Die Jagd-Streitwagen standen nebeneinander auf Ständern. Das Ganze sah aus wie eine Fata Morgana der Zivilisation. Dann allerdings drehte ich mich neuerlich um und schaute in die Ferne, in die leere, unmenschliche Weite der Wüste. Wir waren zum Vergnügen hier, aber in dieser Umgebung sahen unsere kleinen bunten Zelte und Wägelchen aus wie Kinderspielzeuge, die man mitten in eine endlose Einöde gestellt hatte.

Im nächsten Moment erspähte ich sehr weit in der Ferne Gestalten, die wie Stöckchen aus Schatten wirkten und so winzig waren wie Insekten, deren Weg durch die Ödnis, wie mir bewusst wurde, aber irgendwann zu unserem Lager führen würde. Schwitzend von der Glut der Nachmittagssonne eilte ich wieder nach unten ins Lager und alarmierte die Wachen. Simut kam mir auf halbem Weg entgegen.

»Was?«

»Da kommen Fremde – vielleicht sind es nur Viehhirten, nur haben sie keine Tiere.«

Die Wachen machten sich auf den Weg, und schon bald brachten sie die Männer zu uns, stupsten sie mit ihren blitzenden Speeren. Es sah aus, als prallten hier zwei Welten aufeinander: unsere Welt mit ihren sauberen weißen Gewändern und den polierten Waffen und ihre bettelarme Nomadenwelt mit ihrer minimalen, grellbunten und grell gemusterten Kleidung, ihren rasierten Schädeln und dem breiten Fletschen der nur spärlich vorhandenen Zähne. Sie waren Honigsammler, die in den Randgebieten der Wüste wohnten. Ihr Anführer trat vor, verneigte sich respektvoll und offerierte einen Krug als Opfergabe.