Statt etwas darauf zu erwidern, bedachte er mich mit einem liebenswürdig skeptischen Blick.
Der Fährtenleser, der bislang geschwiegen, das Spektakel an der Wasserstelle und den Betrieb, der plötzlich dort herrschte, aber keine Sekunde aus seinen wachsamen Augen gelassen hatte, ergriff plötzlich das Wort: »Einen Löwen wird es heute Abend hier nicht geben. Und meiner Ansicht nach auch an keinem anderen Abend.«
Der Jagdmeister schien diese Meinung zu teilen.
»Das Mondlicht würde uns zwar helfen, aber wir könnten hier noch viele Stunden warten, ohne dass irgendetwas passiert. Es wäre besser, den König und seine Jäger mit dem zu beschäftigen, was uns im Moment zur Verfügung steht. Alles ist vorbereitet, also lasst uns jagen. Das wird eine gute Übung sein. Und morgen ist auch noch ein Tag. Wir suchen einfach tiefer in der Wildnis weiter.«
Also näherten wir uns später gegen den kühlen Nordwind, der aufgekommen war, aus südlicher und östlicher Richtung. Der Sonnenuntergang färbte das Firmament golden, orangefarben und blau. Diejenigen, die dazu eingeladen worden waren, an der Jagd teilzunehmen – sowohl die Männer der Führungsschicht in ihrer schicken Jagdkleidung als auch die professionellen Jäger –, standen wartend auf ihren Streitwagen bereit, verscheuchten mit ihren Fächern die unweigerlich umhersurrenden Fliegen und beruhigten im Flüsterton ihre ungeduldigen Pferde. Bogenschützen überprüften ihre Pfeile und Bögen. Eine erwartungsvolle Spannung lag in der Luft. Ich lief durch die Menge auf den König zu. Er fuhr einen schlichten, wendigen und praktischen Streitwagen. Das Teil verfügte über robuste Holzräder, und seine leichte, offene Konstruktion war für das raue Terrain gut geeignet. Die beiden exquisiten Pferde, die gefederten Kopfschmuck, vergoldete Scheuklappen und prachtvolle Decken trugen, konnten es kaum noch erwarten loszugaloppieren. Der König stand auf einem Leopardenfell, das die Lederriemen auf dem Wagenboden bedeckte. Er trug einen weißen Leinenschal, der ihm über die Schultern drapiert war, und einen langen Lendenschurz, der zwar zur Sicherheit verknotet war, allerdings so, dass er sich immer noch bequem darin bewegen konnte. Seine Schutzhandschuhe lagen griffbereit, damit seine empfindlichen Hände nicht der Reibung und dem Zug der Lederzügel ausgesetzt wurden, sofern er wünschte, diese seinem Wagenlenker abzunehmen, der sich respektvoll an der Seite hielt. Ebenfalls griffbereit lagen sein goldener Gehstock und ein goldener Fächer, der aus prächtigen Straußenfedern gefertigt war und einen Elfenbeingriff hatte. Wiederum daneben lagen ein herrlicher Bogen und ein Kasten mit vielen Pfeilen, bereit für die Jagd.
Tutanchamun machte einen aufgeregten und nervösen Eindruck.
»Wurde einer gesichtet?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich hätte nicht sagen können, ob ihn das enttäuschte oder erleichterte.
»Es haben sich aber massenhaft Gazellen, Antilopen und Strauße eingefunden, sodass nicht alles verloren ist. Und das hier ist ja auch die erste Jagd. Wir müssen Geduld haben.«
Die Pferde wieherten und strebten vorwärts, aber er zog geübt an den Zügeln.
Dann hob er seinen Arm, um die Aufmerksamkeit der Jagdgesellschaft auf sich zu lenken, hielt ihn geraume Zeit ganz still und ließ ihn dann fallen. Die Jagd hatte begonnen.
Wer zu Fuß unterwegs war, schwärmte rasch und lautlos mit Pfeil und Bogen im Anschlag in östlicher Richtung aus. Die Streitwagen warteten eine Weile, bevor sie sich aus südlicher Richtung auf den Weg machten. Ich stellte mich auf meinen Streitwagen. Ich bewunderte seinen leichten, schwingenden Aufbau. Die Erregung, die in der sich rapide abkühlenden Luft lag, brachte die Pferde zum Schnauben. Über uns hatte der Vollmond den Horizont erklommen. Er tauchte uns alle in sein fahles Licht, als seien wir Zeichnungen in einer Fabel mit dem Titel Die nächtliche Jagd. Ich schaute in das Gesicht des Königs: Er sah so jung aus, trotz der Krone und der Kobra auf der Stirn. Er sah aber auch entschlossen und stolz aus. Er spürte, dass ich zu ihm herüberblickte, wandte den Kopf in meine Richtung und lächelte. Ich nickte ihm zu, erst dann verneigte ich mich.
Und dann schwärmten wir aus. Knirschend bewegten sich unsere Räder über den grobkörnigen und unebenen Boden, bis sich sämtliche Jagdstreitwagen gleichmäßig auf dem offenen Gelände, das so breit war wie eine Arena, verteilt hatten. Als wir alle unsere Stellungen bezogen hatten, stieß der Jagdmeister einen geübten Schrei aus, der den Bogenschützen galt, die man nach Osten geschickt hatte. Weit vor uns in der Ferne konnte ich schemenhaft die ahnungslosen Tiere an der Wasserstelle ausmachen – ein paar Silhouetten im schwindenden Licht. Einige hoben nervös die Köpfe, als sie den seltsamen Ruf vernahmen. Und dann, auf ein Signal des Jagdmeisters, hoben die Treiber plötzlich zu einer entsetzlichen Kakophonie an, indem sie ihre Hölzstöcke gegeneinander schlugen, und schlagartig rasten die Tiere in Panik los und rannten, wie es seitens der Jagdstrategen vorausgeplant worden war, auf die Streitwagen zu. Schon aus der Ferne hörte ich das Stampfen ihrer Hufe, die näher und näher kamen. Jeder der Männer griff fest nach seinen Zügeln, und dann – angeführt vom König, der seinen Befehl vom Jagdmeister erhielt – brausten die Streitwagen los. Mit einem Schlag befanden wir uns mittendrin in einer Schlacht.
Die Jagdhunde und -geparde rasten voraus und auf die wilden Tiere zu, die ihnen entgegenrannten. Jeder, der einen Streitwagen lenkte, hatte einen Speer auf Schulterhöhe gehoben oder, falls er einen Lenker dabeihatte, einen Pfeil in den Bogen gelegt und zielte damit … Doch auf einmal spürten die panischen Herden die Gefahr, die ihnen drohte, und scherten wie eine Wand nach Westen aus. Also teilten sich unsere Streitwagen entsprechend auf, und damit war die Jagd unter der Pracht des Mondes, dessen Licht ermöglichte, alles im Detail zu sehen, in vollem Gange. Ich schaute hinüber und sah, wie der König auf seine Beute fixiert war, wie er seine Pferde antrieb. Auf das Lenken seines Streitwagens verstand er sich erstaunlich gut. Ich folgte ihm, hielt den Abstand zwischen uns so gering wie möglich und sah, dass Simut das Gleiche tat, sodass wir eine Art Wagenburg bildeten. Ich fürchtete, den König könne während der Jagd ein angeblich fehlgeleiteter Pfeil oder Jagdspeer treffen, denn die pfiffen nur so durch die Luft und über unsere Köpfe hinweg, bevor sie vor uns auf den Boden fielen.
Die panischen Herden wirbelten Staubwolken auf, die nicht nur ablenkend wirkten, sondern auch äußerst unangenehm für Augen und Kehle waren, sodass wir mit nach wie vor hoher Geschwindigkeit etwas mehr nach Norden steuerten, um wieder besser sehen zu können. Den langsameren Tieren versagten bereits die Kräfte, vor allem den Straußen. Und ich sah mit an, wie der König zielte und einen ganz besonders großen erwischte. Ein Jagdhund schnappte sich den gefallenen Vogel im Genick und begann, ihn nach hinten zu ziehen, knurrend, denn er kämpfte mit dem gewaltigen Gewicht. Der König strahlte mich begeistert an. Aber weiter vor uns rannten immer noch die größeren Jagdtrophäen. Wir trieben unsere Pferde an, schneller und schneller zu galoppieren. Die Streitwagen ratterten über den holprigen Boden. Ich blickte nach unten auf die Achsen und betete, dass meine nicht brach. Die Zähne klapperten mir im Schädel, meine Knochen wurden durchgerüttelt und durchgeschüttelt. In meinen Ohren war ein konstantes Summen. Am liebsten hätte ich vor lauter Erregung gekreischt wie ein Kind.
Es gelang dem König, einen neuen Pfeil in seinen Bogen einzuspannen, und er hob ihn, um zu zielen. Ich gelangte zu dem Schluss, dass es auch für mich an der Zeit war, endlich aktiv zu werden, und so tat ich es ihm gleich. Vor uns erspähte ich eine geschwind dahinspringende Antilope und erkor sie zu meinem Opfer. Ich riss an den Zügeln und scherte nach rechts aus, zwang das Pferd, noch schneller zu laufen, bis ich die Beute richtig im Blick hatte. Dann ließ ich den Pfeil durch eine plötzliche Lücke zwischen den Leibern der anderen Tiere vom Bogen fliegen. Für den Bruchteil einer Sekunde passierte überhaupt nichts, aber dann sah ich, dass die Antilope plötzlich einen Schritt aussetzte, ihre Beine sich gleichsam verhedderten, und im nächsten Moment stürzte sie zu Boden. Die Herde raste weiter, um das gefallene Tier herum, und viele der Streitwagen setzten ihre Verfolgungsjagd fort.