Jetzt war auf einmal alles still um uns her. Der Pfeil hatte die Flanke des Tieres getroffen, und dickes, dunkles Blut quoll aus dem dampfenden Leib und floss auf die Erde. Die Augen waren weit geöffnet, sahen aber nichts mehr. Fliegen, diese unsterblichen Begleiter des Todes, umschwirrten die Wunde bereits und brummten dabei vor ekelerregender Erregung. Ich empfand sowohl Stolz als auch Mitleid. Gerade noch war dieser Kadaver aus Fleisch und Knochen ein lebendes Wesen voller Anmut und Energie gewesen. Ich bin an die Leiber der Toten gewöhnt, an geschundene, ausgeweidete, aufgeschlitzte Leichen und den süßlichen Verwesungsgestank verrottenden menschlichen Fleisches. Aber dieses Tier, getötet bei einer glorreichen Jagd, schien in eine andere Kategorie zu gehören. Voller Dankbarkeit sprach ich ein Gebet, um der Seele des Tieres meinen Respekt zu erweisen.
Der König fuhr auf seinem Streitwagen auf mich zu, begleitet von Simut, der auf seinem folgte. Sie hielten neben mir, und so standen wir im Mondlicht da, und der heiße Atem unserer Pferde klang wie Trompetenstöße in der kalten Nachtluft der Wüste. Der König gratulierte mir. Simut nahm das Tier in Augenschein und lobte seine Qualität. Der Jagdmeister stieß zu uns, bedachte mich ebenfalls mit einem respektvollen Lob und wies seine Gehilfen an, das Tier zusammen mit all den anderen, die im Zuge der Jagd getötet worden waren, einzusammeln. An Fleisch würde es uns nicht mangeln.
Im Lager hatte man inzwischen Fackeln entzündet, die im Kreis um ein großes Feuer in der Mitte flackerten. Am Rand des Lagers befand sich der Arbeitsplatz des Metzgers. Voller Selbstvertrauen hackte und schnitt er sich mit seinem Beil und seinen Messern durch die weichen und wehrlosen Leiber der toten Tiere, die aufgereiht neben ihm hingen. Die abgehackten Hufe warf er gleichgültig auf einen großen Haufen, die glitschigen Eingeweide hob er in riesigen Bündeln mit den Armen hoch, die besten Teile warf er in einen Kessel. Im Umfeld standen mehrere Bogenschützen Wache, um ihn und das Fleisch vor Hyänen und Wüstenfüchsen zu schützen.
Seine persönliche Trophäe, der Strauß, war dem König präsentiert worden. Er glitt mit den Fingern durch die prächtigen weißen und braunen Federn.
»Ich habe viele Fächer«, meinte er beiläufig. »Und deshalb, Rahotep, werde ich diese hier zu einem speziellen Geschenk für dich verarbeiten lassen, damit du dich immer an diese herrliche Jagd erinnerst.«
Ich verneigte mich. »Es wäre mir eine Ehre.«
Durstig tranken wir Wasser, und dann schenkte man uns aus einem hohen Krug Wein in unsere goldenen Trinkbecher. Das frisch gekochte Fleisch unserer Jagdbeute wurde uns auf hervorragend gehämmerten Goldtellern serviert, die auf die Schilfmatten gestellt wurden. Aus einer Vielzahl von Bronzemessern suchte ich mir eines aus. Der König aß mit Bedacht, sah sich alles, was man ihm auf den goldenen Tellern vorsetzte, erst einmal ganz genau an, bevor er vorsichtig ein wenig davon probierte. Trotz der körperlichen Anstrengung der Jagd aß er nicht mit großem Appetit. Derweil hatte ich das Gefühl, kurz vor dem Hungertod zu stehen, und genoss jeden Bissen dieses köstlichen Fleisches, das so sehr viel intensiver schmeckte und um ein Vielfaches zarter war als alles, was man bei den Metzgern in der Stadt kaufen konnte.
»Mögt Ihr keine Antilope?«, fragte ich ihn.
»Es befremdet mich, das lebende Tier dabei beobachtet zu haben, wie es um sein Leben rannte, und jetzt dieses Stück totes … Fleisch in der Hand zu halten.«
Seine kindliche Aufrichtigkeit brachte mich um Haaresbreite zum Lachen.
»Jeder frisst jeden. Mehr oder weniger …«
»Ich weiß. Ein Hund frisst den anderen. Das ist die Welt der Menschen. Und dennoch finde ich die Vorstellung irgendwie – barbarisch.«
»Als meine Kinder noch jünger waren, jammerten sie immer, wenn wir zu Hause eine Ente oder ein Kaninchen schlachteten, flehten mich an, das Tier am Leben zu lassen. Aber sobald ich die Federn gerupft oder das Fell oder die Haut wie Kleidungsstücke abgezogen hatte, versiegten ihre Tränen, und sie bettelten mich an, ihnen das Herz zu zeigen, und fragten, ob sie die Glückspfote behalten dürften. Und anschließend aßen sie ohne ethische Bedenken den Gulasch und baten um Nachschlag.«
»Kinder sind unsentimental. Vielleicht bringt man ihnen aber auch nur bei, so zu sein, weil wir ihre Ehrlichkeit nicht ertragen können. Oder ihre Grausamkeit.«
»Hat man Euch beigebracht, sentimental zu sein?«
»Ich bin in einem Palast groß geworden, nicht in einem liebevollen Heim. Die Mutter hat man mir genommen, der Vater war unnahbar wie eine Statue. Meine Gefährten waren eine Amme und ein Äffchen. Ist es da erstaunlich, dass ich meine Liebe den Tieren geschenkt habe? Dass die mich liebten, wusste ich zumindest, und ihrer Liebe konnte ich trauen.«
Behutsam fütterte er seinem Äffchen ein wenig von dem Fleisch und wusch sich danach elegant die Finger in einer Schüssel.
Just in diesem Moment wurden wir unterbrochen, und zwar von einem Schatten, der auf die Zeltwand neben dem Eingang fiel. Sofort umklammerte ich mit der Hand den Griff meines Dolches, den ich versteckt in meinem Gewand bei mir trug. Der Schatten kam näher, und das Licht des Feuers draußen ließ ihn überlebensgroß erscheinen. Der König rief, er möge bitte hereinkommen. Es war sein persönlicher Diener. Er brachte ein Tablett mit frisch gebackenem Honigkuchen und eine Schüssel mit Bienenwaben. Vor lauter Begeisterung begannen die Augen des Königs zu funkeln. Der Gehilfe verneigte sich und stellte das Tablett vor uns ab. Der Koch musste beschlossen haben, den König zum Abschluss des nächtlichen Mahls nach der Jagd mit einem besonderen Leckerbissen zu beglücken.
Geschwind griff Tutanchamun mit seinen zarten Fingern nach den Küchlein, während ich – aus reinem Instinkt heraus – nach seinem Handgelenk griff.
»Wie kannst du es wagen, mich anzufassen!«, schrie er auf.
»Verzeiht mir, Majestät. Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen …«
»Was?«, schimpfte er gereizt und erhob sich.
»Dass dieser Honig sicher ist. Wir wissen nicht, woher er stammt. Ich würde das Risiko lieber nicht eingehen …«
Im nächsten Moment sprang das Äffchen mit den gewitzt glänzenden Äuglein von seiner Schulter, klaubte sich ein Stück Honigwabe aus der Schüssel und flitzte damit in eine Ecke.
»Schau dir an, was jetzt passiert ist!«, jammerte der König verärgert.
Er näherte sich dem Äffchen und stieß dabei zärtliche Laute aus, aber das Tier misstraute ihm und flitzte an der Zeltwand entlang in die gegenüberliegende Ecke, wo es mit ängstlich blinkenden Äuglein an seinem Schatz zu knabbern begann. Wieder lief der König dem Tierchen nach, und ich näherte mich ihm aus einem anderen Winkel. Doch dieses Geschöpf war einfach zu schnell für uns und flitzte neuerlich davon. Das Tier rannte zwischen meinen Beinen hindurch, schnappte dabei mit seinen scharfen, kleinen Zähnen nach meiner Hand und rannte dieses Mal ans äußerste Ende des Zeltes, wo es sich auf seinen Popo setzte und schnatternd mampfte, bis die gesamte Honigwabe verzehrt war. Wieder lief der König dem Tierchen nach, und da es jetzt nichts mehr zu verlieren hatte, trottete es auf ihn zu, willig und vielleicht sogar in der Hoffnung auf weitere Leckerchen. Doch bereits im nächsten Moment geschah etwas Merkwürdiges. Es sah aus, als würde das Kleine plötzlich über seine eigenen Füßchen fallen, als habe es von einer Sekunde zur anderen verlernt, wie man läuft; und dann rollte es sich zu einem Ball zusammen, drehte, wand und krümmte sich und stieß dabei Schmerzensschreie aus. Der König rief um Hilfe, und im Nu stürzten Simut und die Wachen herbei. Doch kam jegliche Hilfe zu spät. Gnädigerweise starb das Äffchen schnell. Und ich war heilfroh, dass nicht der König am Würgegriff des Gifts gestorben war.