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Behutsam hob er das tote Tier vom Boden und presste es fest an seinen Körper. Er drehte sich um und schaute in die Runde.

»Was starrt ihr alle so!«, brüllte er.

Keiner von uns wagte, ein Wort zu sagen. Für einen kurzen Moment fürchtete ich, er würde mir den kleinen Leichnam an den Kopf werfen. Stattdessen drehte er sich um und trug ihn in sein Schlafgemach, um mit ihm allein zu sein.

Draußen stand der Mond tief am schwarzen Horizont. Es war bitterkalt. Die Wachen des Königs begaben sich wieder auf ihre Posten, stampften mit den Füßen auf den Boden, um warm und wach zu bleiben, oder liefen auf und ab und stellten sich hin und wieder neben die Feuerschale, die wie eine kleine Sonne in ihrem schwarzen Käfig loderte. Rote Funken sprühten in die Nacht und verglühten. Um uns ungestört unter vier Augen unterhalten zu können, liefen Simut und ich aus dem Lager heraus. Dort, jenseits des Feuerscheins, erstreckte sich endlos das gewaltige, silbern glänzende Wüstenland. Unter der tiefen Schwärze des Nachthimmels war es schöner als im harschen Licht und in der sengenden Hitze des Tages. Ich schaute auf und hatte den Eindruck, als strahlten die Millionen Sterne in dieser Nacht heller als je zuvor. Das Firmament glitzerte in unsterblicher Perfektion. Derweil hatten wir hier auf Erden mal wieder Probleme.

»Es scheint, als sei er nirgendwo sicher«, sagte Simut nach einiger Zeit. »Es ist, als könne ihm nichts, was wir tun, Sicherheit geben.«

Wir hatten den Gehilfen und den Koch befragt, die hastig erklärt hatten, Tutanchamun habe persönlich darum gebeten, dass sie Honigkuchen aus dem Honig machten. Beide waren entsetzt darüber, mit ihrem Tun zu den Geschehnissen beigetragen zu haben – und erst recht über die Unterstellung, Komplizen gewesen zu sein.

»Der König liebt süße Speisen«, sagte der Koch und rang dabei seine riesigen, schweißnassen Hände. »Er verlangt immer, dass zum Abschluss eines Mahls etwas Süßes serviert wird.«

»Ich war nicht einverstanden mit seiner Entscheidung«, fügte der Gehilfe hochnäsig hinzu, »aber den Wünschen des Königs muss bedingungslos entsprochen werden.« Nervös beobachtete er den Koch.

Ich wusste, dass sie die Wahrheit sagten, denn ich hatte es mit eigenen Augen gesehen, und es gab keinen Zweifel daran, dass derjenige, der den Honig geschickt hatte, ebenfalls wusste, wie gern der König Süßes aß.

»Wenn wir diese Honigsammler zu fassen kriegen, können wir sie direkt dazu befragen«, sagte ich. »Die werden schnell gestehen, wer sie angewiesen hat, den Honig zu bringen.« Aber Simut schüttelte den Kopf.

»Ich habe den Jagdmeister bereits danach gefragt. Er hat mir versichert, dass es zwecklos wäre, sie in der Dunkelheit aufspüren zu wollen. Und bei Morgengrauen werden sie, wie er sagt, verschwunden sein, wenn sie nicht gefunden werden wollen, denn sie kennen sich in der Wüste aus.«

Wir ließen uns die Möglichkeiten, die uns noch offenstanden, durch den Kopf gehen.

»Der König lebt noch, und das ist das Allerwichtigste.«

»Richtig. Aber wer verfügt über so viel Einfluss, dass man sogar hier draußen« – er deutete mit den Händen auf die nächtliche Wüste und das gewaltige Firmament mit den unzähligen Sternen – »versucht, ihn zu vergiften?«

»Ich glaube, da kommen nur zwei Personen in Frage«, erwiderte ich.

Er sah mich an und nickte. Wir verstanden einander.

»Und ich weiß, welchen ich für den wahrscheinlicheren Kandidaten halte«, sagte er leise.

»Haremhab?«

Er nickte. »Wir befinden uns in seinem Revier, und es dürfte ein Leichtes für ihn gewesen sein mitzuverfolgen, wie wir vorankommen. Auch käme es ihm gerade recht, wenn der König nicht zu Hause stürbe, sondern weit weg von seinem Hof. Und das Chaos, das folgen würde, wäre perfekt für seinen Machtkampf mit Eje.«

»Das ist alles wahr, obwohl man einwenden könnte, dass er der Erste ist, den man in diesem Fall verdächtigen würde, und genau deshalb ist er als der Schuldige vielleicht nicht so – naheliegend.«

Simut knurrte.

»Eje hingegen ist clever genug, aus der Ferne etwas zu arrangieren, was Haremhab in Verdacht bringt«, sprach ich weiter.

»In jedem Fall würden beide vom Tod des Königs profitieren.«

»Und in jedem Fall sind beides Männer, die über immensen Einfluss und Macht verfügen. Eje hat keine Kontrolle über die Armee, aber trotzdem braucht er sie. Haremhab hat keine Kontrolle über die Ministerien, aber trotzdem braucht er sie. Und beide wollen die Kontrolle über das Königshaus haben. Langsam glaube ich, dass der König nichts weiter für sie ist als ein Hindernis, das in ihrer eigenen großen Schlacht zwischen ihnen steht«, sagte ich.

Er nickte.

»Was sollen wir deines Erachtens tun?«, fragte er mich.

»Ich bin der Ansicht, dass wir hierbleiben sollten. Am wichtigsten ist, einen Löwen zu töten. Das wird den König trösten und ihm wieder neues Selbstvertrauen geben.«

»Da pflichte ich dir bei. Unter irgendeinem Vorwand zurückzukehren wäre ein Zeichen des Scheiterns. Er hat die Ziele sehr hoch gesteckt. Wir dürfen nicht versagen.«

Wir liefen zurück zur Feuerstelle, um uns zu wärmen.

»Ich werde heute Nacht zusammen mit den Soldaten Wache halten«, bot Simut an.

»Und ich werde fragen, ob der König irgendetwas braucht, und, falls es sein Wunsch ist, in seinem Zelt schlafen.«

Und so trennten wir uns.

30

Tutanchamun saß auf seinem Reisethron, starrte ins Leere und hielt das tote Äffchen wie ein Baby auf seinem Schoß. Ich neigte den Kopf und wartete darauf, dass er etwas sagte.

»Du hast mir das Leben gerettet«, sprach er irgendwann mit tonloser Stimme.

Ich schwieg.

»Dafür wirst du belohnt werden«, fuhr er fort. »Schau auf.«

Ich tat es und sah zu meiner Erleichterung, dass sich innerlich etwas Bedeutsames bei ihm getan hatte.

»Ich muss gestehen, dass all das, was in den letzten Wochen passiert ist, mein Herz mit großer Furcht erfüllt hat. Manchmal fürchtete ich mich davor, am Leben zu sein. Und so wurde die Furcht zu meinem Gebieter. Der König der Beiden Länder darf sich aber nicht fürchten. Es ist an der Zeit, dass ich meine Furcht besiege und aufhöre, ihr Macht über mich zu geben. Was soll sonst aus mir werden? Leichte Beute für jeden Schatten?«

»Furcht ist menschlich, Majestät«, erwiderte ich vorsichtig. »Es ist aber weise zu lernen, wie sie einen täuschen und beherrschen kann, um sie bekämpfen und besiegen zu können.«

»Das stimmt. Und indem ich das lerne, lerne ich zugleich, wie jene mich täuschen wollen, die sich meiner Furcht bedienen, die Bildnisse des Todes benutzen, um mich in Angst und Schrecken zu versetzen. Aber wenn ich dem Tod keine Macht gebe, hat auch die Furcht keine Macht. Ist das nicht wahr, Rahotep?«

»Es ist wahr, Majestät. Nur fürchten alle den Tod. Das ist eine vernünftige Furcht.«

»Und trotzdem kann ich mir nicht erlauben, weiterhin in Furcht vor ihm zu leben.«

Er blickte nieder auf das tote Äffchen und streichelte zärtlich sein Fell.

»Der Tod ist nur ein Traum, aus dem wir an einem prachtvolleren Ort erwachen.«

Da war ich anderer Ansicht, und deshalb sagte ich nichts dazu.

»Ich kenne dich inzwischen gut genug, Rahotep. Ich sehe, wenn du nicht sagst, was du denkst.«

»Der Tod ist ein Thema, das zu diskutieren mir widerstrebt.«

»Und dennoch ist der Tod dein täglich Brot.«

»Vielleicht, Majestät. Aber ich empfinde keine Liebe für den Tod.«