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»Da du ihn schon so oft gesehen hast, könnte ich mir vorstellen, dass du ihn irgendwie enttäuschend findest«, meinte er und traf es damit auf den Punkt.

»Er ist enttäuschend und zugleich frappierend. Ich schaue auf Leichen, die am Tag zuvor noch gelebt, geredet und gelacht, ihre belanglosen kleinen Schandtaten verübt und sich an ihren Liebesaffären ergötzt haben und von denen jetzt nur noch ein regloser Sack übrig ist, der aus Blut und Eingeweiden besteht. Was ist da passiert? Mein Verstand kann nach wie vor nicht erfassen, wie das wohl sein mag, tot zu sein.«

»Wir sind einander ähnlich«, meinte er lächelnd, »wir denken beide zu viel.«

»In den frühen Morgenstunden ist es immer am schlimmsten. Dann wird mir bewusst, dass ich dem Tod wieder einen Tag näher bin. Ich fürchte mich vor dem Tod derer, die ich liebe. Ich fürchte mich vor meinem eigenen Tod. Ich denke über das Gute nach, das ich nicht getan habe, über die Liebe, die ich nicht zu schätzen wusste, und über die Zeit, die ich verschwendet habe. Und wenn ich mich lange genug in dieser sinnlosen Reue gesuhlt habe, denke ich über die Leere des Todes nach. Darüber, nicht mehr hier zu sein. Nirgendwo mehr zu sein …«

Er schwieg eine Weile, und ich fragte mich, ob ich zu weit gegangen war. Dann klatschte er plötzlich lachend in die Hände.

»Was für eine wunderbare Gesellschaft du doch bist, Rahotep! Dieser Optimismus, diese gute Laune …«

»Ihr habt recht, Majestät. Ich grüble zu viel. Meine Töchter sagen immer, ich solle öfter mal lachen.«

»Das stimmt. Eines besorgt mich nur. Nichts von dem, was du sagst, kündet vom Glauben an die Götter.«

Ich ließ mir etwas Zeit mit meiner Antwort, denn der Boden, auf dem sich unsere Unterhaltung bewegte, fühlte sich plötzlich so dünn an wie Papyrus.

»Ich kämpfe mit meinem Glauben. Und es fällt mir schwer zu glauben. Vielleicht lebe ich darüber meine Ängste aus. Der Glaube sagt uns, dass unsere Seele unsterblich ist. Doch so sehr ich mich auch bemühe, ich muss feststellen, dass ich das immer noch nicht glauben kann.«

»Das Leben an sich ist heilig, Rahotep. Der Rest ist ein Mysterium.«

»In der Tat, Majestät. Und manchmal, wenn ich in den frühen Morgenstunden da liege und im Hirn meine nichtigen Gedanken wälze, schleicht das Licht sich heran, und der Tag bricht an, und die Kinder wachen auf, und die Straße vor dem Haus füllt sich mit Menschen und buntem Treiben, wie das auf jeder Straße geschieht, in der ganzen Stadt und in jeder Stadt im Land. Und dann erinnere ich mich, dass es Arbeit gibt, die getan werden muss. Und stehe auf.«

Einen Moment lang sagte er nichts.

»Du hast recht«, meinte er dann. »Die Pflicht ist das Einzige, was zählt. Große Werke müssen zur Vollendung geführt werden. All das, was in letzter Zeit passiert ist, hat mich nur noch weiter in meiner Entschlossenheit bestärkt, mein Amt als König im Sinne meiner großen Vorfahren zu erfüllen. Die Herrschaft der Finsternis muss ein Ende haben. Es ist an der Zeit, im Namen der großen Könige meiner Dynastie Licht und Hoffnung in die Beiden Länder zu bringen.«

Angesichts dieser heldenhaften Worte verneigte ich mich erneut. Und gestattete mir, darüber nachzudenken, wie die Welt wohl werden würde, wenn das Licht die Schatten am Ende tatsächlich besiegen könnte.

Er füllte zwei Kelche mit Wein, reichte mir einen davon und bot mir einen Stuhl an, damit ich mich zu ihm setzte.

»Ich weiß, wer einen Grund hat, meinen Tod zu wollen. Haremhab ist machtgierig. Für ihn bin ich lediglich ein Hindernis auf dem Weg zu seiner eigenen Dynastie. Und Eje wird sich der neuen Ordnung widersetzen, weil sie ihm seine Macht nimmt. Aber mit ihm werden Anchesenamun und ich schon fertig.«

»Die Königin ist eine großartige Hilfe.«

»Sie hat einen analytischen Verstand und einen Sinn für Strategie, während ich mich darauf verstehe, unsere Strategien wirkungsvoll in Szene zu setzen. Das ist eine glückliche Fügung. Wir waren von Kindheit an aufeinander angewiesen, zuerst aus reiner Not heraus, aber das verwandelte sich rasch in gegenseitige Bewunderung.«

Er stockte.

»Erzähl mir von deiner Familie, Rahotep.«

»Dank der Gnade meiner Frau habe ich drei prächtige Töchter und einen kleinen Sohn.«

Er nickte.

»Da hast du in der Tat großes Glück. Anchesenamun und mir ist das noch nicht gelungen, und für unsere Nachfolge ist es zwingend erforderlich, dass wir Kinder großziehen. Zweimal haben wir schon versagt, weil die Babys tot zur Welt kamen. Mädchen, sagte man mir. Ihrer beider Tod hatte gravierende Folgen für uns. Meine Gemahlin fühlte sich dadurch … verflucht.«

»Aber Ihr seid beide noch jung. Ihr habt Zeit.«

»Das stimmt – Zeit haben wir. Die Zeit ist auf unserer Seite.«

Eine Weile sprachen wir beide nicht. Auf den Zeltwänden tanzte das schwache Licht der Feuerschale. Ich wurde plötzlich müde.

»Ich werde heute Nacht draußen vor Eurem Zelt schlafen«, sagte ich.

Er schüttelte den Kopf.

»Das ist nicht nötig. Ich werde mich nicht länger vor der Dunkelheit fürchten. Und morgen werden wir wieder jagen, und vielleicht ist das Glück uns hold und beschert uns das, wonach wir suchen: einen Löwen.«

Ich stand auf und verneigte mich. Rückwärts bewegte ich mich Richtung Ausgang und wollte das Zelt gerade verlassen, als er unerwartet noch einmal das Wort an mich richtete.

»Rahotep. Ich möchte, dass du, sobald wir wieder in Theben sind, mein persönlicher Leibwächter wirst.«

Für einen Moment war ich stumm vor Erstaunen.

»Das ehrt mich, Majestät«, sagte ich dann. »Aber diese Stellung hat doch Simut inne.«

»Ich möchte jemanden einstellen, der sich ausschließlich auf meine Sicherheit konzentriert. Dir kann ich vertrauen, Rahotep; davon bin ich überzeugt. Meine Gemahlin und ich brauchen dich.«

Ich muss einen sehr verdutzten Eindruck gemacht haben, denn er sprach weiter.

»Du wirst für deine Arbeit großzügig entlohnt werden. Ich bin überzeugt, dass das deiner Familie zum Nutzen gereichen wird. Und du würdest nicht mehr über deine berufliche Zukunft bei der städtischen Medjai nachdenken müssen.«

»Das ist zu viel der Ehre. Könnten wir das Ganze noch einmal besprechen, wenn wir wieder in Theben sind?«

»Ja. Aber erteile mir keine Absage.«

»Leben, Wohlstand und Gesundheit, Majestät.«

Er nickte, und ich verneigte mich. Aber bevor ich endgültig das Zelt verließ, rief er mir nach:

»Ich unterhalte mich gern mit dir, Rahotep. So gern unterhalte ich mich mit keinem anderen Mann.«

Draußen blickte ich empor zum Mond und dachte darüber nach, wie seltsam das Schicksal doch war, wie viele grundverschiedene Dinge mich an diesen Ort geführt hatten, in diese Wildnis, zu diesem Augenblick. Und mir fiel auf, dass ich – trotz allem – lächelte. Nicht nur über meine absonderlichen Audienzen beim mächtigsten Mann der Welt, der irgendwie immer noch ein Kind war, auch über die Unvorhersehbarkeit des Geschicks, oder des Glücks, das mir jetzt etwas in Aussicht gestellt hatte, wovon es bisher den Anschein gehabt hatte, dass es mir immer versagt bleiben würde: eine Beförderung. Und ich ergab mich einem seltenen und deshalb umso köstlicheren Gefühclass="underline" Triumph! Triumph über diesen trampeligen Paragrafenreiter Nebamun. Ich würde es genießen, mir anzusehen, wie er vor Wut zu kochen begann, wenn ich ihm mitteilte, dass ich von nun an nicht mehr auf ihn angewiesen war.

31

Einer der Fährtenleser kehrte an jenem Abend mit Neuigkeiten zurück. Er hatte die Spuren eines Löwen entdeckt. Allerdings ziemlich weit entfernt, sehr viel tiefer im Roten Land. Wir trafen uns alle in Simuts Zelt.

»Er ist ein Nomade«, sagte der Fährtenleser.

»Was heißt das?«, fragte Simut.

»Er gehört keinem Rudel an. Die jungen Männchen leben allein in der Wüste, bevor sie sich wieder ein Rudel suchen, bei dem sie bleiben können, um Jungtiere zu zeugen. Während die Weibchen stets gemeinsam jagen und immer bei der Gruppe bleiben, in der sie geboren wurden. Also müssen wir ihm in sein Revier folgen.«