Im flackernden Licht der Fackeln machte Pentu sich erneut ans Werk. Aus einem Kistchen, das aus Vogelknochen gefertigt war, zog er eine gebogene Kupfernadel, und damit nähte er die hässliche Wunde. Anschließend rieb er Honig und Öl darauf und bandagierte das Ganze fest mit Leinenbinden. Schließlich schiente er das Bein, polsterte die Schiene mit Stoff aus und sicherte sie mit verknoteten Stoffstreifen.
Der König wurde in sein Zelt getragen. Seine Haut war klamm und bleich. Wir versammelten uns um ihn und beratschlagten im Flüsterton, was nun zu tun war.
»Eine üblere Form von Fraktur gibt es nicht«, erklärte Pentu ernst. »Zum einen ist der Knochen nicht nur gebrochen, sondern zersplittert, und zum anderen hat die Fraktur die Haut durchstoßen, sodass das Gewebe jetzt anfällig für Infektionen ist. Er hat sehr viel Blut verloren. Der Bruch ist aber zumindest wieder eingerichtet. Lasst uns zu Re beten, dass das Fieber vergeht und die Wunden gut heilen.«
Uns alle hatten Angstgefühle befallen.
»Er schläft jetzt, und das ist gut. Seine Seele wird die Götter des Totenreiches um mehr Zeit und mehr Leben bitten. Lasst uns beten, dass sie sich überreden lassen.«
»Was sollen wir nun tun?«, fragte ich.
»Aus medizinischer Sicht wäre es am vernünftigsten, ihn schnellstens nach Memphis zurückzutransportieren«, sagte Pentu. »Dort kann ich ihn zumindest fachgerecht behandeln.«
»Aber in Memphis«, fiel Simut ihm ins Wort, »wäre er von seinen Feinden umgeben. Es ist davon auszugehen, dass Haremhab immer noch dort ist. Ich bin der Meinung, dass wir ihn heimlich, still und leise nach Theben zurückbringen müssen, und das so schnell wie möglich. Und dieser Unfall muss geheim gehalten werden, bis mit Eje abgestimmt wurde, welche offizielle Version der Ereignisse an die Öffentlichkeit gelangen soll. Falls es dem König bestimmt ist zu sterben – mögen ihm Leben, Wohlstand und Gesundheit beschieden sein –, so muss das in Theben geschehen, im Kreise seiner Anhänger und in der Nähe seines Grabmals. Und wir müssen die Kontrolle behalten, wie sein Tod interpretiert wird. Und wenn er überlebt, kann er zu Hause natürlich am besten gepflegt werden.«
Wir bauten das Lager noch in der gleichen Nacht ab und begaben uns auf unsere traurige Reise. Unter den Sternen machten wir uns durch die Wüste auf den Rückweg zum Schiff, das in weiter Ferne auf dem Großen Fluss ankerte, der uns alle wieder nach Hause in die Stadt bringen würde. Ich versuchte, nicht über die Konsequenzen nachzudenken, die es für uns alle und für die Zukunft der Beiden Länder haben würde, wenn der König starb.
33
Ich hielt Wache am Krankenlager von Tutanchamun, der sich von Fieber und Schmerzen gepeinigt durch die Tage und Nächte unserer Heimfahrt nach Theben quälte. Sein Herz schien zu rasen, schwach und flatternd, wie ein winziger Vogel, der in seiner Brust gefangen war. Pentu behandelte ihn mit Abführmitteln, um zu verhindern, dass sich in den Därmen Fäulnis bildete, die sich in der Folge aufs Herz ausweitete. Und er kämpfte mit der Beinwunde, nahm die hölzernen Schienen regelmäßig ab, um die Stoffpolsterung zu erneuern und dem zertrümmerten Knochen zumindest den Hauch einer Chance zu geben, wieder zusammenzuwachsen.
Er hatte sich sehr bemüht, die Wunde sauber zu halten, hatte zu Anfang frisches Fleisch daraufgelegt und später Umschläge aus Honig, Fett und Öl. Doch jedes Mal, wenn er die Verbände wechselte, um weiteres Zedernharzöl aufzutragen, sah ich, dass die Wundränder nach wie vor auseinanderklafften, und inzwischen kroch unter der Haut in sämtliche Richtungen ein tiefschwarzer Schatten durch das Gewebe. Der Geruch des verwesenden Fleisches war ekelerregend. Pentu versuchte es mit allem, sogar mit einem Sud aus Zwiebeln, Essig, Weidenrinde, Gerstenmehl und der Asche einer Pflanze, deren Namen er nicht verraten wollte, und mit einer weißen Salbe, die aus Mineralen hergestellt wurde, die in den Wüstenminen der Oasenstädte geschürft wurden. Nichts funktionierte.
***
Am zweiten Morgen unserer Reise erlaubte mir Pentu, mit dem König zu sprechen. Nach einer langen, schmerzhaften Nacht schien ihn das helle Tageslicht, das in sein Schlafgemach fiel, zu beruhigen und aufzuheitern. Man hatte ihn gerade erst gewaschen und ihm ein frisches Leinengewand angezogen. Trotzdem war er schon wieder schweißgebadet, und seine Augen hatten keinerlei Glanz.
»Leben, Wohlstand und Gesundheit«, sagte ich, nur sehr leise, da ich mir der grimmen Ironie, die unter den gegebenen Umständen in dieser Höflichkeitsfloskel lag, bewusst war.
»Kein Wohlstand, weder Schätze noch Gold, kann dir das Leben und die Gesundheit wiedergeben«, hauchte er.
»Der Arzt ist zuversichtlich, dass Ihr wieder ganz gesund werdet«, erwiderte ich und versuchte, nur ja meinen aufmunternden Gesichtsausdruck beizubehalten.
Er starrte mich an wie ein verwundetes Tier. Er wusste es besser.
»Letzte Nacht hatte ich einen seltsamen Traum«, sagte er, dann rang er nach Luft. Es dauerte eine Weile, bis er ausreichend Kraft geschöpft hatte, um weitersprechen zu können. »Ich war Horus, Sohn des Osiris. Ich war der Falke, der hoch am Himmel schwebt und sich den Göttern nähert.«
Ich wischte ihm die Schweißperlen von der heißen Stirn.
»Ich flog mitten unter den Göttern.« Und mit ernstem Blick sah er mir in die Augen.
»Und was ist dann geschehen?«, fragte ich.
»Etwas Schlimmes. Ich fiel langsam zur Erde, tiefer und tiefer … Dann öffnete ich die Augen. Ich schaute auf die vielen Sterne in der Finsternis. Und wusste plötzlich, dass ich sie nie erreichen würde. Und langsam erloschen sie, einer nach dem anderen, schneller und schneller.«
Er umklammerte meine Hand.
»Und plötzlich bekam ich große Angst. Sämtliche Sterne starben. Alles war dunkel. Und dann wachte ich auf … und jetzt fürchte ich mich davor, wieder einzuschlafen.«
Er zitterte. Mit aufrichtigem Blick und großen glänzenden Augen sah er mich an.
»Eure Schmerzen haben diesen Traum geboren. Nehmt ihn Euch nicht zu Herzen.«
»Vielleicht hast du recht. Vielleicht gibt es kein Totenreich. Vielleicht ist da nichts.«
Wieder sah er aus, als habe er panische Angst.
»Ich habe mich geirrt. Das Totenreich existiert. Zweifelt nicht daran.«
Eine Weile sprachen wir beide nicht. Ich wusste, dass er mir nicht glaubte.
»Bring mich bitte nach Hause. Ich möchte nach Hause.«
»Das Schiff kommt gut voran, und der Nordwind weht zu unseren Gunsten. Schon bald werdet Ihr zu Hause sein.«
Er nickte kläglich. Noch geraume Zeit hielt ich seine heiße, klamme Hand, dann drehte er das Gesicht zur Wand.
Pentu und ich gingen nach draußen an Deck. Die Welt der grünen Felder und der Feldarbeiter glitt an uns vorüber, als sei nichts geschehen.
»Wie schätzt Ihr seine Chancen ein?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf.
»Normalerweise ist ein derart katastrophaler Knochenbruch nicht zu überleben. Die Wunde ist böse entzündet, und er wird immer schwächer. Ich mache mir große Sorgen.«
»Er scheint starke Schmerzen zu haben.«
»Ich versuche, ihm alles zu verabreichen, was mir zur Verfügung steht, um sie zu lindern.«
»Opium, den Saft des Schlafmohns?«
»Den werde ich ganz bestimmt verschreiben, falls die Schmerzen noch heftiger werden. Nur möchte ich damit warten, bis es unbedingt erforderlich ist …«
»Warum?«, fragte ich.
»Das ist die wirksamste Droge, die wir haben. Nur macht diese Wirksamkeit sie auch so sehr gefährlich. Er hat ein schwaches Herz, und ich möchte es nicht noch weiter schwächen.«
Beide starrten wir eine Weile wortlos auf die vorübergleitende Landschaft.
»Darf ich Euch eine Frage stellen?«, sprach ich ihn irgendwann an.