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Er nickte verhalten.

»Ich habe gehört, dass es geheime Bücher gibt, die Bücher des Thot?«

»Das erwähntet Ihr bereits bei anderer Gelegenheit.«

»Gehe ich recht in der Annahme, dass sie medizinisches Wissen enthalten?«

»Und wenn sie das täten?«, entgegnete er.

»Ich würde gern wissen, ob sie Abhandlungen über geheime Substanzen enthalten, von denen man Visionen bekommen kann …«

Pentu sah mich an, als müsse er sich seine Antwort reiflich überlegen.

»Falls es derartige Substanzen gäbe«, meinte er dann, »würden nur Männer davon erfahren, die sich durch außerordentliche Klugheit und Status das Recht verdient haben, in solches Wissen eingeweiht zu werden. Aber warum wollt Ihr das überhaupt wissen?«

»Weil ich neugierig bin.«

»Das ist nicht unbedingt die Art von Erklärung, die einen ermuntert, streng gehütete Geheimnisse preiszugeben«, erwiderte er.

»Trotzdem. Alles, was Ihr mir erzählen könnt, wäre sehr hilfreich.«

Er zögerte.

»Es wird behauptet, dass es da einen Zauberpilz gibt. Er ist nur in den Regionen im Norden zu finden. Angeblich gewährt er Visionen der Götter … Die Wahrheit ist jedoch, dass wir gar nichts Genaues über diesen Pilz wissen. In den Beiden Ländern hat ihn noch nie jemand gesehen und erst recht nicht damit experimentiert, um seine Zauberkraft beweisen oder widerlegen zu können. Warum fragt Ihr danach?«

»Ich habe da so ein Gefühl«, antwortete ich.

Das gefiel ihm ganz und gar nicht.

»Vielleicht braucht Ihr mehr als ein Gefühl, Rahotep. Vielleicht ist es an der Zeit, dass Ihr selbst mal eine Vision habt.«

Im Verlauf der letzten Nacht unserer Reise verschlimmerte sich das Fieber des Königs und hatte er entsetzliche Schmerzen. Der schwarze Schatten der Infektion fraß sich immer weiter in das Gewebe seines Beins. Sein schmales Gesicht bekam einen feuchten und teigigen Teint, und seine glanzlosen Augen, die er zwischendurch immer mal wieder flatternd öffnete, hatten die Farbe von Elfenbein. Sein Mund war wie ausgetrocknet, die Lippen gerissen, die Zunge gelb und weiß verfärbt. Sein Herz schien jetzt langsamer zu schlagen, und er hatte kaum noch die Kraft, den Mund zu öffnen, um Wasser zu trinken. Endlich behandelte Pentu ihn mit dem Saft des Schlafmohns. Der beruhigte den König wunderbar, und plötzlich verstand ich, wie wirkmächtig Opium war und was es so beliebt machte.

Einmal, in den frühen Morgenstunden, öffnete er die Augen. Ich brach mit der Etikette und legte seine Hand in meine. Selbst das Flüstern fiel ihm jetzt schwer, und das Opium benebelte seine Sinne so sehr, dass er Mühe hatte, die einzelnen Worte zu artikulieren. Er schaute auf den Ring, den er mir geschenkt hatte, den Ring mit dem schützenden Auge des Re. Und dann mobilisierte er seine letzten Kräfte und sprach.

»Wenn es mein Schicksal ist, zu sterben und ins Reich der Toten zu ziehen, so habe ich folgende Bitte an dich: Begleite meinen Leichnam so lange, wie du kannst. Begleite mich in meine Gruft.«

Ernst sah er mich mit seinen mandelförmigen Augen an. Der nahende Tod stand ihm nackt und mit seltsamer Intensität in sein eingefallenes Gesicht geschrieben.

»Ihr habt mein Wort«, versprach ich ihm.

»Die Götter erwarten mich. Meine Mutter ist dort. Ich kann sie sehen. Sie ruft nach mir …«

Und dann schaute er ins Leere und sah dort jemanden, der meinem Blick verborgen blieb.

Seine Hand war klein und leicht und heiß. So behutsam wie möglich hielt ich sie zwischen meinen eigenen Händen. Ich schaute auf den Ring mit dem Auge des Re, den er mir geschenkt hatte. Der Ring hatte an ihm versagt, und für mich galt das Gleiche. Ich spürte seinen zarten Pulsschlag, der immer schwächer und immer langsamer wurde, bis er kurz vor Sonnenaufgang einen langen, leisen und letzten Seufzer ausstieß, der weder von Enttäuschung noch von Seligkeit kündete. Und damit flog der Vogel seiner Seele heraus aus Tutanchamun, dem Lebenden Abbild des Amun, und hinein in die Ewigkeit des Totenreiches, und sacht glitt seine Hand aus der meinen.

DRITTER TEIL

Dein Gesicht wurde geöffnet im Haus der Finsternis

Totenbuch, Sargtexte

Spruch 169

34

Am nächsten Tag segelte die Geliebte des Amun lautlos in den Hafen des Malqata-Palastes. Es war kurz nach Sonnenuntergang, und der zunehmend dunkler werdende Himmel sorgte für eine unheilschwangere Atmosphäre, die dem Anlass angemessen war. Niemand sprach ein Wort. Es war, als sei die ganze Welt zum Schweigen gebracht worden; das Einzige, was zu hören war, war das trauervolle, sich stetig wiederholende Eintauchen und Durchziehen der Ruder. Das Wasser hatte eine eigentümlich matte, seidig-graue Farbe, wie vor einem Sandsturm. Auf dem langen Steinpier des Palasts standen nur ein paar Gestalten. Mir fiel auf, dass auf dem Steg lediglich eine einzige Lampe brannte. Wir hatten einen Boten vorausgeschickt, der die Nachricht überbracht hatte. Die schlimmste Nachricht. Unsere Rückkehr mit dem König hätte ein Triumph sein sollen. Stattdessen brachten wir ihn heim zu seiner Gruft.

Ich stand neben dem Leichnam des Königs. Er wirkte so klein und so zerbrechlich. Er war jetzt in sauberes weißes Leinen gewickelt. Nur sein Gesicht war zu sehen, sein teilnahmsloses, regungsloses, ausdrucksloses Gesicht. Seine Seele war nicht mehr da. Diese steife Hülle war alles, was noch von ihm übrig war. Es gibt auf dieser Welt nichts Tristeres als einen toten Körper.

Simut ging an Land, während ich beim König auf das Eintreffen der Wachen wartete. Ich hörte ihre Schritte auf dem Landungssteg, und in der Stille, die folgte, betrat Eje die königliche Kabine. Er beugte sich über die Leiche von Tutanchamun und sah sich die Katastrophe aus der Nähe an. Dann beugte er sich unter Mühen noch tiefer nach unten und legte seinen Mund vor das linke Ohr des Königs, vor das Ohr, durch das der Odem des Todes eindringt. Und ich hörte ihn flüstern: »Im Leben warst du ein unbrauchbares Kind. Dein Tod muss jetzt etwas aus dir machen.«

Dann richtete er sich steif wieder auf.

Ungerührt von diesen Worten lag der König auf seinem goldenen Totenbett. Eje musterte mich kurz; dabei sahen seine Augen aus wie kleine Steine, sein grausames Gesicht zeigte keinerlei Emotion. Im nächsten Moment bedeutete er den Wachen, ohne ein Wort zu sagen, den Leichnam des Königs auf die Totenbahre zu legen. Sie trugen ihn hinaus.

Simut und ich folgten der Bahre durch die endlosen Korridore und Säle des Malqata-Palastes. Keine Menschenseele war zu sehen. Auf einmal kam es mir so vor, als seien wir Diebe, die einen gestohlenen Gegenstand in seine Grabkammer zurückbrachten. Wie ich mir vor Augen führte, lagen wir aber zumindest noch nicht in Ketten. Aber das war unter Umständen nur noch eine Frage der Zeit. Es war völlig egal, wie sich der Unfall in Wirklichkeit ereignet hatte: Man würde uns für den Tod des Königs verantwortlich machen. Wir waren für seine Sicherheit verantwortlich gewesen, und wir hatten versagt. Plötzlich wollte ich nur noch nach Hause. Ich wollte aus diesen Sälen und diesen von Gleichgültigkeit regierten Korridoren der Macht rennen, die schwarzen Wasser des Großen Flusses überqueren, leise die Straße zu meinem Haus hinauflaufen, hinter mir die Tür schließen, mich neben Tanefert zusammenrollen und schlafen, und wenn ich viele, viele Stunden geschlafen hatte, vom Licht der Sonne erwachen und feststellen, dass all das hier nur ein Traum gewesen war. Die Wirklichkeit wurde für mich zur Folter.

Wir wurden zu den Privatgemächern des Königs eskortiert und mussten draußen vor der Tür warten. Die Zeit schleppte sich auf unheimliche Weise dahin. Gedämpfte Stimmen, die ab und an laut wurden, drangen durch die dicken Holztüren. Simut und ich sahen einander an, doch sein Gesichtsausdruck verriet mir weder, was er dachte, noch, was er empfand. Dann öffneten sich die Türen plötzlich, und wir wurden eingelassen.