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Man hatte Tutanchamun, den Herrn der Beiden Länder, auf sein Bett gelegt und seine zarten Hände über der Brust gefaltet. Ordnungsgemäße Totengewänder trug er noch nicht. Er war umringt von den Spielzeugen und Spielkisten seiner verlorenen Kindheit. Sie schienen jetzt seine Grabbeigaben zu sein, die Dinge, die er im Totenreich viel mehr schätzen würde als die goldenen Requisiten seiner königlichen Herkunft. Anchesenamun blickte auf das tote Gesicht ihres Gemahls. Als sie zu mir aufschaute, sah ich, dass der Schmerz und die Niederlage ihre Züge verhärmt hatten. Wie konnte sie mir je vergeben? Ich hatte bei ihr ebenso versagt wie beim König. Sie war jetzt allein in diesem Palast der Schatten. Sie war zur letzten Überlebenden ihrer Dynastie geworden. Niemand ist verletzbarer als eine verwitwete Königin, die keinen Erben hat.

Da schlug Eje plötzlich mit seinem Gehstock auf den Steinboden.

»Wir dürfen hier nicht in Trauer versinken«, tönte er. »Dafür ist keine Zeit. Es muss viel zu viel erledigt werden. Der Welt gegenüber muss der Eindruck erweckt werden, als sei das hier nicht passiert. Niemand darf ein Wort über das verlieren, was er gesehen hat. Das Wort Tod wird nicht in den Mund genommen. Es werden weiterhin frische Speisen und saubere Gewänder in seine Gemächer getragen. Seine Amme wird ihn weiter versorgen. Derweil werden wir seinen Leichnam hier reinigen und schön zurechtmachen, und da sein eigenes Grabmal noch lange nicht fertig ist, setzen wir ihn in meiner Gruft in der königlichen Nekropole bei. Das ist angemessen, und es wird nicht lange dauern, alles dafür herzurichten. Die Goldsärge wurden bereits in Auftrag gegeben. Seinen Grabschatz werde ich zusammenstellen, und ich werde auch aussuchen, was für seine Beisetzung benötigt wird. All das wird rasch erledigt, und vor allem in aller Stille. Und erst wenn er beigesetzt wurde, ebenfalls in aller Stille, erst dann werden wir seinen Tod bekannt geben.«

Für einen Moment war es totenstill im Raum. Doch hatte dieser befremdende Vorschlag Anchesenamun aus ihrer Trauer gerissen, und so brach sie das Schweigen bald.

»Das ist unzulässig und unzumutbar«, erklärte sie. »Ihm müssen bei der Totenfeier und dem Begräbnis die vollen Ehren und Würden erwiesen werden. Warum sollen wir so tun, als sei er nicht tot?«

Zornig lief Eje auf sie zu.

»Wie kannst du bloß so naiv sein?«, schimpfte er. »Begreifst du nicht, dass die Stabilität der Beiden Länder auf dem Spiel steht? Nichts im Leben einer Dynastie macht sie so verletzbar und birgt ein vergleichbar großes Potenzial für Desaster wie der Tod eines Königs. Es gibt keinen Erben. Was daran liegt, dass dein Leib unfähig war, etwas anderes zu produzieren als verkrüppelte tote Säuglinge«, fügte er mit einem spöttischen Grinsen hinzu.

Ich warf Anchesenamun einen Blick zu.

Nackte Wut blitzte aus ihren Augen. »Das war der Wille der Götter«, sagte sie zu ihm.

»Wir müssen diese Situation in den Griff bekommen, bevor das Chaos uns alle übermannt. Unsere Feinde werden jetzt versuchen, uns zu vernichten. Ich bin der Gottesvater, der das Rechte tut, und was ich bestimme, wird geschehen. Wir müssen mit allen erforderlichen Mitteln die Ordnung der maat bewahren. Schon jetzt erhalten die Medjai-Divisionen die Anweisung, öffentliche und private Versammlungen zu verhindern und jedes Mittel anzuwenden, um einen öffentlichen Aufruhr in den Straßen im Keim zu ersticken. Sie werden in der gesamten Stadt und entlang der Tempelmauern stationiert.«

Das klang nach Ausnahmezustand. Welcher Aufruhr konnte so bedrohlich sein? Wen meinte er mit Feind? Nur Haremhab. Der stellte in diesem Moment die größte Gefahr für Eje dar. Haremhab, General der Beiden Länder, konnte jetzt mit Leichtigkeit einen Feldzug organisieren, um die Macht an sich zu reißen. Er war jung, er befehligte die Mehrheit der Armeedivisionen, und er war nicht nur skrupellos, sondern auch intelligent. Eje war alt. Ich sah ihn an, wie er da stand mit seinen schmerzenden Knochen und Zähnen und seiner Manie für Ordnung. Seine irdische Macht, die lange Jahre so absolut gewirkt hatte, schien plötzlich gefährdet und geschwächt. Allerdings durfte man ihn nicht unterschätzen.

Anchesenamun sah das alles.

»Es gibt einen anderen Weg«, sagte sie. »Mit einem sofortigen und starken Nachfolger auf dem Thron ließen sich sämtliche Probleme lösen.« Und dann fügte sie voller Stolz hinzu: »Ich bin die Letzte meiner großen Dynastie und beanspruche die Krone im Namen meines Vaters und meines Großvaters.«

Die Verachtung, mit der er sie ansah, hätte einen Stein zum Bröckeln bringen können.

»Du bist nichts weiter als ein schwaches Mädchen. Ergeh dich nicht in Fantasien. Du hast einmal versucht, dich gegen mich aufzulehnen, und bist gescheitert. Ich werde mich selbst in Kürze zum König krönen müssen, denn anders geht es nicht, weil es außer mir niemanden gibt, der fähig ist zu regieren.«

Das provozierte sie.

»Erst nach Ablauf der Tage der Reinigung darf ein neuer König ausgerufen werden. Alles andere wäre ein Sakrileg.«

»Widersetze dich mir nicht. So wird es geschehen. Es ist nicht zu vermeiden, und Unvermeidlichkeit ist der zwingendste Grund, den es gibt«, brüllte er, und dabei zitterte der Stock in seiner Hand.

»Und was wird aus mir?«, fragte sie, angespannt zwar, aber trotz seines Zorns ruhig und beherrscht.

»Wenn du Glück hast, heirate ich dich. Das hängt allerdings davon ab, wie nützlich ein derartiges Arrangement wäre. Von seinem Wert überzeugt bin ich keineswegs.«

Spöttisch schüttelte sie den Kopf.

»Wie kannst du von irgendetwas überzeugt sein? Ich bin die Königin.«

»Nur dem Namen nach! Du hast keine Macht. Dein Gemahl ist tot. Du stehst ziemlich allein da. Denk also gut nach, bevor du neuerlich den Mund aufmachst.«

»Ich dulde nicht, dass du so mit mir sprichst. Ich werde eine öffentliche Erklärung abgeben.«

»Und das werde ich verbieten und mit allen Mitteln verhindern.«

Sie starrten einander an.

»Rahotep ist mein persönlicher Leibwächter. Vergiss das nicht.«

Er lachte nur.

»Rahotep? Der Mann, der den König beschützen sollte und ihn tot nach Hause gebracht hat? Das spricht für seine Fähigkeiten.«

»Der Tod des Königs war nicht seine Schuld. Er ist treu. Nur das zählt«, erwiderte sie.

»Jeder Hund ist treu. Das macht ihn nicht nützlich. Simut wird dir eine Leibwache zur Verfügung stellen. Für den Moment darfst du in aller Stille trauern. Während ich mir Gedanken über deine Zukunft mache. Was Rahotep angeht«, meinte er, »so war ihm eine klare Verantwortung übertragen worden, und trotzdem ist das Schlimmste passiert.« Und beiläufig fügte er hinzu: »Über sein weiteres Schicksal werde ich entscheiden.«

Ich hatte gewusst, dass er so etwas sagen würde. Ich dachte an meine Frau und an meine Kinder.

»Was ist mit dem Löwen?«, fragte Simut. »Es darf nicht so aussehen, als sei der König ohne Trophäe heimgekehrt.«

»Töte den zahmen, und stell ihn zur Schau«, antwortete Eje desinteressiert. »Den Unterschied wird keiner bemerken.«

Und mit diesen Worten ging er, wobei er darauf bestand, dass Anchesenamun ihn begleitete. Simut und ich blieben zurück und standen vor dem schlanken Leichnam des Königs, dieses jungen Mannes, dessen Leben man uns anvertraut hatte. Sein Anblick war ein Spiegel unseres Versagens. Etwas war hier zu Ende gegangen, in diesem Häufchen Haut und Knochen. Und etwas anderes hatte begonnen: der Kampf um die Macht.

»Ich bezweifle, dass sich das geheim halten lässt«, sagte Simut. »Das schafft nicht einmal Eje. Die Menschen können Zeichen deuten, und wenn der König plötzlich nicht mehr in der Öffentlichkeit auftritt, wird das sehr schnell auffallen. Da es so unmittelbar nach dem Trara um die königliche Jagd passiert und alle auf seine triumphale Heimkehr warten, wird es zu haltlosen Spekulationen kommen.«