Выбрать главу

»Und deshalb muss Eje Tutanchamun so rasch wie möglich beisetzen lassen und sich selbst zum König ausrufen«, erwiderte ich. »Und Haremhab muss er sich so lange wie möglich vom Leib halten.«

»Nur hat der General die Instinkte eines Schakals«, sagte Simut. »Ich bin sicher, dass er diesen Tod wittert und die Gelegenheit nutzen wird, Eje die Stirn zu bieten. Das stimmt nicht gerade erwartungsfroh.«

Wir standen beide da und blickten nieder auf das zarte, tote Gesicht des Königs. Es war auch noch ein Spiegel für etwas anderes: Wenn dieser Machtkampf nicht schnell entschieden wurde, drohte der Gesamtheit der Beiden Länder eine Katastrophe.

»Am meisten besorgt mich, dass Anchesenamun beiden Männern wehrlos ausgeliefert ist«, sagte ich.

»Das ist Anlass zu großer Sorge«, gab er zu.

»Es wäre ein Desaster, wenn Haremhab ausgerechnet jetzt nach Theben zurückkehrte.«

»Und es wäre ein Desaster, wenn er diesen Palast beträte«, führte Simut weiter aus. »Nur, wie wollte man ihn daran hindern? Schließlich lebt seine Gemahlin hier. Vielleicht sollte man die fortschicken.«

Das war mir neu.

»Mutnedjmet? Die wohnt hier im Palast?«

Er nickte.

»Aber ihr Name ist in der ganzen Zeit kein einziges Mal gefallen«, sagte ich.

Er neigte den Kopf näher zu mir hin.

»In der Öffentlichkeit wird nicht über sie gesprochen. Hinter vorgehaltener Hand wird behauptet, sie sei eine Irre. Sie lebt in einer Zimmerflucht, die sie nie verlässt. Es heißt, ihre einzige Gesellschaft seien zwei Zwerge. Ob das so ist, weil sie es selbst so will oder weil ihr Gemahl es so verfügt hat, weiß ich nicht.«

»Du meinst, dass sie hier eingesperrt ist?«

»Nenn es, wie du willst. Aber sie verfügt über keinerlei Freiheiten. Sie ist das Familiengeheimnis.«

Mein Verstand raste wie ein Hund, der witterte, dass er dem Knochen, den er vergraben hatte, plötzlich ganz nah war.

»Ich muss mich jetzt um so einiges kümmern«, sagte er. »Unterhalten wir uns also woanders mal über die Sache weiter. Was wirst du jetzt tun?«

»Ich habe offenbar keine Zukunft«, erwiderte ich mit einer Leichtigkeit, die ich nicht empfand.

»Du bist aber noch nicht in Ketten.«

»Ich fürchte, falls ich versuche, diesen Palast zu verlassen, werde ich einem merkwürdigen Unfall zum Opfer fallen.«

»Dann verlass ihn nicht. Du hast hier eine Aufgabe. Beschütze die Königin. Als Gegenleistung biete ich dir den Schutz meiner Wachsoldaten und das Maß an Sicherheit, das die Autorität meines Namens mit sich bringt.«

Dankbar nickte ich.

»Aber zuerst muss ich jetzt etwas tun. Ich muss mit Mutnedjmet sprechen. Weißt du, wo sich ihre Gemächer befinden?«

Simut schüttelte den Kopf.

»Das wird geheim gehalten, sogar vor mir. Du kennst aber jemanden, der dich sehr wahrscheinlich hinführen könnte.«

»Khay?«

Er nickte.

»Frag ihn. Und vergiss nicht: Was passiert ist, war nicht deine Schuld. Und meine Schuld war es auch nicht.«

»Meinst du, dass die Welt das glauben wird?«, erwiderte ich.

Er schüttelte den Kopf.

»Es ist aber die Wahrheit, und die hat immer noch einen gewissen Wert, auch in diesem Zeitalter von Lug und Trug«, antwortete er. Und dann drehte er sich um und verließ die Gemächer des Königs und ließ mich allein mit dem toten Jungen zurück.

35

Warum hatte bislang niemand Mutnedjmet erwähnt? Nicht einmal Anchesenamun, ihre eigene Nichte? Dabei war Nofretetes Schwester, die Gemahlin Haremhabs, des Generals der Beiden Länder, die ganze Zeit im Malqata-Palast eingekerkert gewesen. Vielleicht war sie einfach nur eine arme Irre und damit die lebende Schande ihrer Familie, sodass man sie deshalb aus der Öffentlichkeit entfernt und weggesperrt hatte. Nichtsdestotrotz war sie ein Bindeglied zwischen dem Königshaus und Haremhab. Er hatte in die Macht eingeheiratet und, wie es schien, der Gefangenschaft seiner Gemahlin zugestimmt.

Ich ließ mir diese Dinge gerade durch den Kopf gehen, als die Tür des Schlafgemachs langsam und lautlos geöffnet wurde. Ich wartete, um zu sehen, wer da kam. Eine von dunklen Gewändern verhüllte Gestalt bewegte sich geräuschlos über den Steinboden auf das Bett zu.

»Bleib stehen!«

Die Gestalt erstarrte.

»Dreh dich um«, sagte ich.

Die Gestalt drehte sich langsam zu mir. Es war Maia, die Amme. Die Verachtung, die sie für mich empfand, stand ihr ins Gesicht geschrieben. Ihre Züge waren von Trauer verzerrt. Im nächsten Moment spuckte sie mich an, mit Bedacht und Präzision. Sie hatte nichts mehr zu verlieren. Ich wischte mir ihren Speichel vom Gesicht. Sie trat neben den Toten. Zärtlich beugte sie sich über den König und küsste ehrerbietig seine kalte Stirn.

»Er war mein Kind. Seit dem Tag seiner Geburt habe ich ihn genährt und umsorgt. Er hat dir vertraut. Und schau dir an, was du nach Hause gebracht hast. Ich verfluche dich. Ich verfluche deine Familie. Auf dass ihr alle ins Verderben stürzen möget, wie ihr mich ins Verderben gestürzt habt.« Jetzt war ihr Gesicht vor Zorn kreidebleich.

Ohne meine Antwort abzuwarten und ohne überhaupt eine Antwort von mir hören zu wollen begann sie, den Leichnam mit natronhaltigem Wasser zu waschen. Ich setzte mich auf einen Schemel und sah ihr dabei zu. Sie ging mit grenzenloser Liebe und Fürsorglichkeit vor und in dem Bewusstsein, dass sie ihn hier und jetzt zum letzten Mal in ihrem Leben berühren konnte. Sie wusch seine erschlafften Arme, seine herabbaumelnden Hände, nahm sich jeden Finger einzeln vor und säuberte sie wie die eines hilflosen Kindes. Sanft fuhr sie mit ihrem Lappen über die reglose, schmale Brust, wischte über jede Rippe, über die schmalen Schultern, in den Achselhöhlen. Dann strich sie mit ihrem Lappen über das gesunde Bein und anschließend vorsichtig um die schwärende Wunde des gebrochenen herum, als könne er die Schmerzen auch jetzt noch spüren. Schließlich kniete sie sich zu seinen Füßen auf den Boden. Ich hörte, wie sie den Lappen leise in die Schüssel mit dem parfümierten Wasser tauchte, wie es plätscherte, als sie ihn auswrang, und dann lauschte ich dem Klang der kreisenden Bewegungen, mit denen sie die Zwischenräume zwischen seinen Zehen wusch, seine zarten Knöchel und seine toten Füße, die sie küsste, als sie mit ihrer Arbeit fertig war.

Lautlos weinte sie vor sich hin, die Tränen tropften von ihrem Kinn. Dann kreuzte sie nach alter Tradition seine Arme, damit sie den Krummstab und die Geißel halten konnten – die königlichen Insignien von Ober- und Unterägypten sowie von Osiris, dem ersten König, dem Herrn des Totenreiches –, die andere ihm zu gegebener Zeit in die Hände stecken würden. Zu guter Letzt nahm sie aus einer seiner Kleiderkisten eine elegante Goldkette und einen mit Juwelen besetzten Brustschmuck, in dessen Mitte ein Skarabäus eingelegt war, der eine kleine rote Sonnenscheibe aus Karneol nach oben ins Licht des neuen Tages schob. Beides legte sie ihm an.

»Jetzt ist er bereit für den Obersten Einbalsamierer«, flüsterte sie.

Und dann setzte sie sich am äußersten Ende des Zimmers auf einen Schemel, so weit von mir weg wie eben möglich, und begann, leise ihre Gebete zu sprechen.

»Maia«, sprach ich sie an.

Sie ignorierte mich. Ich versuchte es noch einmal.

»Wo sind die Gemächer von Mutnedjmet?«, fragte ich sie.

Sie öffnete die Augen.

»Ach! Jetzt, da es zu spät ist, stellt er die richtige Frage.«

»Sag mir, warum das die richtige Frage ist.«