Schließlich gelangten wir zu einer schlichten Tür. Es waren keine Insignien auf dem Oberbalken. Es standen keine Wachen davor. Es hätte die Tür zu einem Lagerraum sein können. Die Riegel hatte man mit einem Seil zusammengebunden und versiegelt. Khay schwitzte, winzige Schweißperlen hatten sich auf seiner vornehmen Stirn gesammelt. Ich nickte. Er klopfte, nicht gerade selbstbewusst. Wir horchten, aber es rührte sich nichts.
»Sie muss sich bereits zur Ruhe begeben haben.«
Er entspannte sich sichtlich und wollte wieder gehen.
»Klopft fester«, schlug ich vor.
Da er zögerte, übernahm ich die Sache selbst und schlug mit der Faust gegen die Tür.
Es regte sich auch weiterhin nichts. Vielleicht war das hier ja tatsächlich ein sinnloses Unterfangen.
Und dann hörte ich Schritte, die Geräusche von Füßen, die sehr leise über den Boden liefen. Schwaches Licht schien unter der Tür hindurch. Es war eindeutig jemand dort. Und im nächsten Moment erstrahlte mitten auf der Tür ein winziger Stern aus Licht, genau auf Augenhöhe. Die Person, die auf der anderen Seite stand, beobachtete uns durch ein Guckloch.
Und dann wurde plötzlich mit wahnsinniger Heftigkeit an der Tür gerüttelt.
Khay wich verschreckt zurück.
Also brach ich das Siegel, knotete flugs die Seile auf, mit denen die Riegel zusammengebunden waren, und stieß die Tür auf.
37
Die düstere Kammer wurde von der Öllampe erhellt, die sie in der Hand hielt, und von billigen Kerzen, die qualmend in den Wandnischen standen und alles in ein trostloses Licht tauchten. Mutnedjmet, Schwester von Nofretete und Gemahlin von Haremhab, war extrem dünn. Ihre Haut, die aussah, als habe sie noch nie die Sonne gesehen, klebte förmlich auf ihren eleganten Knochen, die unter den Falten ihres schlichten Gewands schmerzhaft deutlich zu sehen waren. Ihr Schädel war rasiert. Sie trug keine Perücke. Ihre Schultern hingen nach vorn. Ihr Gesicht hatte die gleichen hohen Wangenknochen, die das Gesicht ihrer Schwester ausgezeichnet hatten, strahlte aber nicht deren Selbstvertrauen aus und war irgendwie maskenhaft, und ihre Augen hätten einen schwermütigen Ausdruck gehabt, wenn der Blick nicht so apathisch gewesen wäre. Sie war ein hohles Wesen. Sie strahlte eine verzweifelte und traurige Hilfsbedürftigkeit aus, die nicht zu lindern war. Zugleich wusste ich aber, dass ihr keinesfalls zu trauen war, denn unter all dieser matten Trägheit lag ihr Verlangen, zusammengerollt wie eine Kobra und zum Angriff bereit.
Zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken stand jeweils ein Zwerg. Beide trugen die gleichen hochwertigen Gewänder, den gleichen Schmuck sowie identische Dolche, was darauf hindeutete, dass sie einen hohen Rang hatten. Das war nicht ungewöhnlich, denn schon viele Männer mit dieser Statur und diesem Äußeren hatten sich an den Königshöfen der Vergangenheit in verantwortliche Positionen hochgearbeitet. Ungewöhnlich war indes, dass sie Zwillinge waren. Sie machten nicht den Eindruck, als seien sie über die nächtliche Störung glücklich.
Mutnedjmet starrte mich nach wie vor an, mit gesenktem Kopf, verständnislosem Blick und schlaff offen stehendem Mund. Sie schien nicht erfassen zu können, wer ich sein könnte oder was ich wohl hier wollte.
»Warum hast du mir nichts mitgebracht?«, maunzte sie in einem Ton, aus dem weit mehr sprach als nur Enttäuschung.
»Was hätte ich Euch denn mitbringen sollen?«, fragte ich.
Mit dumpfem Blick begutachtete sie mich, ließ im nächsten Moment eine beachtliche Schimpftirade auf mich niedergehen, und dann schlurfte sie davon und verschwand in einer angrenzenden Kammer. Die Zwerge sahen uns weiterhin unfreundlich an. Ich schätzte, dass sie ihre Dolche zu benutzen wussten. Ihre kleine Statur gereichte ihnen möglicherweise noch zum Vorteil; denn wie ich mir betrübt eingestehen musste, ließ sich unterhalb der Gürtellinie jede Menge Schaden anrichten.
»Wie heißt ihr?«
Sie wechselten einen kurzen Blick, als wollten sie sagen: ›Wer ist der Idiot?‹
Khay schaltete sich ein.
»Wir sind nur hier, um der Prinzessin einen kurzen Besuch abzustatten.«
»Sie empfängt keine Besucher«, erwiderte einer der Zwerge mit unerwartet sonorer Stimme.
»Überhaupt keine?«, hakte ich nach.
»Warum wollt Ihr sie besuchen?«, fragte der andere mit der gleichen Stimme.
Es war, als spreche man zu zwei Gesichtern mit ein und demselben Hirn. Das Ganze hatte eine leicht komische Note.
Ich lächelte.
Das gefiel ihnen überhaupt nicht, und ihre kleinen Hände griffen nach ihren Dolchen. Khay begann, sich in Ausflüchten zu ergehen, kam aber nicht weit.
»Ach, nun lasst sie doch herein«, kreischte sie aus der angrenzenden Kammer. »Ich will Gesellschaft. Mir ist alles recht, wenn ich nur mal etwas Abwechslung von euch beiden bekomme.«
Wir schritten durch den Korridor, von dem einige mehr oder weniger leere Vorratsräume abgingen, sowie ein Küchenbereich, der mit Regalen ausgestattet war, auf denen Vorratstöpfe und Krüge standen, und gelangten in einen recht großen Salon. Wir nahmen auf Schemeln Platz, während sie es sich auf einem Bett bequem machte. Der Raum war schlicht und irgendwie unzureichend möbliert, als habe sie von der Familienvilla nur die letzten zweitklassigen Stücke geerbt. Sie beobachtete uns aus ihren glanzlosen Augen, die sie mit viel zu viel Kajal umrandet hatte, der überdies nicht akkurat aufgetragen war. Khay musterte sie wie einen vergammelten Fisch.
»Ich bringe Euch Rahotep, den Wahrheitssucher. Er hat darauf bestanden, Eure Bekanntschaft zu machen.«
Hochnäsig sah sie ihn an und kicherte.
»Was für ein langweiliger Braten der ist. Den würde ich nicht einmal an eine Katze verfüttern … du indes …«
Sie schaute mir geradewegs in die Augen.
Ich ignorierte diese aufdringliche Anspielung. Daraufhin gackerte sie los und warf dabei den Kopf in den Nacken wie eine Schauspielerin in einem Melodram.
Ich wich ihrem Blick nicht aus, sondern sah sie weiterhin an.
»Oh. Ich verstehe, der starke und schweigsame Typ. Perfekt.«
Sie versuchte mich anzuschmachten wie eine Kurtisane, bekam es aber nicht hin, fing an zu kichern, und im nächsten Moment erlitt sie einen hysterischen Anfall.
Irgendjemand hatte sie unlängst ausreichend beliefert. Sie befand sich noch in der euphorischen Phase. Bald würde diese enden, und dann geriet sie wieder in den Klammergriff ihres grimmen Verlangens. Ich spürte, wie mir die Erregung in die Brust stieg wie eine wundervolle Panik, denn das hier war das bislang fehlende Bindeglied. Nur, war diese Frau in der Lage, die Dinge zu tun, von denen ich annahm, dass sie sie getan hatte? Konnte sie das Relief, die Kiste mit der Maske aus Leichenteilen und die Puppe deponiert haben? Sie wohnte in den königlichen Gemächern, doch ihr Freiraum schien nicht größer zu sein als der eines eingesperrten Tieres. Ihre Räume waren von außen versiegelt. Irgendjemand überwachte sie – nur wer? Ihr Gemahl konnte das nicht, zumindest nicht persönlich, denn der war weit weg. Es musste jemand sein, der regelmäßig Zutritt zum Palast und insbesondere zu diesen Gemächern hier hatte. Darüber hinaus musste es jemand sein, der sie beliefern konnte. Die Frage quälte mich. War derjenige, der die jungen Menschen ermordet hatte, derselbe, der die Prinzessin manipulierte? Wenn ich langsam, vorsichtig und präzise eine Frage nach der anderen stellte, war ich vielleicht in der Lage zu beweisen, dass das stimmte.