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»Wer beliefert Euch?«, fragte ich sie.

»Womit?«, erwiderte sie mit funkelnden Augen.

»Mit dem Schlafmohn.«

Sofort sprang Khay von seinem Schemel.

»Das ist eine haarsträubende Verletzung des Protokolls und eine widerwärtige Anschuldigung.«

»Setzt Euch hin und haltet den Mund!«

Er war zutiefst beleidigt.

»Ihr habt Eure eigene Sucht«, fügte ich zu meinem persönlichen, rachgierigen Vergnügen hinzu. »Von Wein abhängig zu sein unterscheidet sich nicht von dem, was sie tut. Ohne könnt Ihr nicht leben, und das Gleiche gilt für sie. Wo ist der Unterschied?«

Er schnaubte vor Wut, stellte aber fest, dass er dem nichts entgegenzusetzen hatte.

»Das ist wahr«, sagte sie leise. »Das ist das Einzige, was ich habe. Ich habe versucht, kein Opium mehr zu nehmen. Aber ohne ist das Leben so enttäuschend. Einfach nur langweilig. So – nichts

»Und trotzdem sitzt Ihr da und lebt dafür. Und seht aus, als wäret Ihr bereits tot.«

Traurig nickte sie.

»Aber wenn man es genommen hat, fühlt man sich selig

Sie schien vom Zustand der Seligkeit ebenso weit weg zu sein wie eine Frau, die gerade im Maul eines Krokodils steckt.

»Wer bringt es Euch?«, fragte ich sie.

Sie bedachte mich mit einem geheimnisvollen Lächeln und beugte sich weiter zu mir vor.

»Das würdest du gern wissen, nicht wahr? Ich durchschaue dich. Du bist genauso verzweifelt wie ich. Du brauchst deine Antworten, wie ich meine Droge brauche. Du weißt, wie sich das anfühlt …«

Sie glitt mit ihrer kalten Hand unter mein Gewand. Das bewirkte rein gar nichts bei mir, also zog ich sie heraus und gab sie ihrer Besitzerin zurück.

Zärtlich rieb sie sich das Handgelenk.

»Jetzt werde ich dir gar nichts verraten«, meinte sie wie ein bockiges Kind.

»Dann werde ich jetzt gehen«, erwiderte ich und stand auf.

»Nein, geh nicht«, rief sie. »Sei nicht grausam. Man darf so ein armes Mädchen doch nicht einfach im Stich lassen.«

Wieder maunzte sie wie eine Katze.

Ich drehte mich wieder zu ihr um.

»Dann werde ich noch eine Weile bei Euch bleiben. Aber nur, wenn Ihr mit mir redet.«

Sie drehte die Hüften wie ein verführerisches Kind. Bei einer Frau mittleren Alters sah das jämmerlich aus. Dann klopfte sie mit der Hand auf den Schemel, und so setzte ich mich wieder.

»Frag mich, was du willst.«

»Sagt mir nur, wer Euch mit der Droge beliefert.«

»Niemand.«

Ganz plötzlich fing sie wieder an zu gackern.

»Das ist ermüdend«, erklärte ich.

»Das ist ein kleiner, privater Scherz zwischen ihm und mir. Er erzählt mir immer, er sei niemand. Nur weiß er nicht, dass ich darüber lache, weil ich sehe, dass er ein leeres Gesicht hat.«

»Was meint Ihr damit?«

»Du weißt, was ich damit meine. Ihm fehlt irgendwie die Seele. Er ist ein hohler Mensch.«

»Und wie alt ist er? Wie groß?«

»Er ist mittleren Alters. Er ist so groß wie du.«

Ich schaute sie an. Ich spürte, dass es da noch weitere Verbindungen gab.

»Wie ist sein Name?«

»Er hat keinen Namen. Ich nenne ihn ›der Doktor‹.«

Der Doktor.

»Erzähl mir etwas über seine Stimme.«

»Sie ist nicht laut, aber auch nicht allzu leise. Nicht jung und nicht alt. Nicht sanft, aber ebenso wenig hart. Es ist eine ruhige Stimme. Es schwingt eine seltsame Güte darin, manchmal zumindest. Eine Art von Milde.«

»Wie sehen seine Haare aus?«

»Grau. Die sind alle grau«, trällerte sie.

»Und seine Augen?«

»Oh, seine Augen«, schwärmte sie. »Die sind auch grau, manchmal aber auch blau und manchmal beides. Sie sind das einzig Schöne an ihm.«

»Was ist so schön an ihnen?«

»Sie sehen Dinge, die andere nicht sehen können.«

Ich ließ mir das durch den Kopf gehen.

»Erzähl mir von den Botschaften.«

»Nein, das kann ich nicht tun«, erwiderte sie. »Dann wäre er böse mit mir. Er wird mich nie wieder besuchen, wenn ich das mit den Botschaften verrate.«

Ich schaute zu Khay hinüber, der verwundert lauschte.

»Und wann kommt er?«

»Das weiß ich nie. Ich muss warten. Wenn ich ihn tagelang nicht gesehen habe, ist das schrecklich.«

»Werdet Ihr dann krank?«

Sie ließ den Kopf hängen und nickte kläglich.

»Und dann kommt er und bringt mir seine Geschenke, und alles ist wieder gut.«

»Mit seinen Botschaften gibt er dir Anweisungen, gewisse Dinge für ihn zu tun. Stimmt das?«, fragte ich.

Widerwillig nickte sie.

»Dinge an bestimmte Stellen zu legen?«

Sie zögerte einen Moment, nickte dann erneut und beugte sich zu mir herüber.

»Er erlaubt mir, über die Flure zu gehen«, flüsterte sie laut, »und ab und an, wenn sonst niemand dort ist, auch in die Gärten. Gewöhnlich in der Nacht. Ich bin hier tagelang eingesperrt. Ich werde wahnsinnig vor Langeweile. Ich verzehre mich nach Licht, nach Leben. Er ist aber sehr streng, und ich muss immer schnell wieder zurück, denn andernfalls gibt er mir nicht, was ich brauche; und er mahnt mich immer, sehr vorsichtig zu sein, damit mich niemand sieht, denn wenn man mich sähe, würden alle schrecklich zornig, und dann gäbe es nie wieder Geschenke …«

Mit großen und plötzlich unschuldigen Augen sah sie mich an.

»Wer sollte denn böse werden?«

»Sie würden es.«

»Eure Familie? Euer Gemahl?«

Sie nickte kläglich.

»Sie behandeln mich, als wäre ich ein Tier«, fauchte sie.

»Lässt Euch sonst niemand mal hier heraus oder erlaubt Euch ein paar Freiheiten?«

Sie sah mich an, zögerte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf. Es gab da also jemanden, der Mitleid mit ihr hatte. Ich glaubte zu wissen, wer das war.

Ich sah, wie sie anfing, nervös hin und her zu rutschen, und dabei unablässig mit den Fingern irgendein unsichtbares Gewirr aus Fäden entknotete.

»Was ist denn alles so los in der großen weiten Welt?«, fragte sie, als sei ihr ganz plötzlich wieder eingefallen, dass es die immer noch gab.

»Da ist alles beim Alten«, antwortete Khay. »Da hat sich nichts verändert.«

Sie sah mich an.

»Ich weiß, dass er lügt«, sagte sie ruhig.

»Ich kann Euch nichts sagen«, antwortete ich.

»Meine Welt ist hier drinnen.« Sie tippte sich sacht an die Schläfe, als sei die ein Spielzeug. »Ich lebe jetzt schon sehr lange darin. Meine Welt ist herrlich, und die Kinder sind glücklich, und das Volk tanzt auf den Straßen. Das Leben ist ein Fest. Niemand wird je alt, und keiner weiß, was Tränen sind. Überall sind Blumen und Farben und wundervolle Dinge. Und Liebe wächst wie Obst an einer Rebe.«

»Dann schätze ich mal, dass Euer Gemahl nicht in dieser Welt lebt. Richtig?«

Sofort schaute sie auf, und ihr Blick war auf einmal hochkonzentriert.

»Hast du etwas von meinem Gemahl gehört? Wann hast du ihn gesehen?«

»Vor ein paar Wochen, in Memphis.«

»In Memphis? Was tut er da? Er hat mich schon so lange nicht mehr besucht. Er ist seit Jahren fort und führt Kriege. Das behauptet zumindest der Doktor …«

Sie sah aus, als fühle sie sich belogen.

»Woher weiß der Doktor, was Euer Gemahl so alles tut?«, fragte ich.

»Das weiß ich nicht. Er erzählt mir immer, was es Neues gibt. Er hat gesagt, mein Gemahl sei ein großer Mann und dass ich stolz auf ihn sein müsste. Er hat gesagt, er würde bald heimkehren und dass dann alles anders würde.«