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Er sah aus, als erleichterte ihn das. Er sah aber auch so aus, als wollte er mir noch etwas anderes sagen.

»Was?«

Er zögerte.

»Für Euch ist das hier kein sicherer Ort mehr.«

»Ihr seid heute Abend schon der Zweite, der mir das sagt«, erwiderte ich.

»Dann wisst Ihr, dass Ihr sehr vorsichtig sein müsst. Das hier ist ein Teich mit vielen Krokodilen. Passt auf, wohin Ihr tretet.«

Er tätschelte meinen Arm und lief dann langsam durch den langen und stillen Korridor, zurück zu seiner Amphore mit gutem Wein, die sich in der Folge immer weiter leeren würde. Ich wusste, dass mir die Zeit davonlief. Ich hatte aber endlich eine Spur. Und wenn ich Glück hatte, war es Nacht gelungen, das Leben des Jungen zu retten, und er war jetzt gesund genug, um reden zu können. Und dann konnte ich den Fall möglicherweise lösen. Den Doktor identifizieren. Ihn daran hindern, weitere Verstümmelungen und weitere Morde zu begehen. Und danach konnte ich ihm die Frage stellen, die mir im Hirn brannte wie ein loderndes Feuer: Warum?

38

Ich klopfte an die Tür. Die Kammerzofe öffnete sie einen Spaltbreit und sah mich ängstlich an. Ich schob mich an ihr und ihren Protesten vorbei und betrat die Gemächer, in die man mich bei meinem ersten Besuch geführt hatte. In einem anderen Leben, dachte ich, bevor ich dieses Labyrinth der Schatten betrat. Es hatte sich nichts verändert. Die Türen, die auf die Terrasse und in den Garten führten, standen immer noch offen, aus den gehämmerten Schalen strahlte Licht, und das Mobiliar war nach wie vor makellos. Ich erinnerte mich, dass das Ambiente mir vorgekommen war wie Anchesenamuns persönliche Bühnendekoration. Beunruhigt trat sie aus ihrem Schlafgemach – und war erleichtert, als sie sah, dass ich es war.

»Warum bist du hier? Es ist sehr spät. Ist etwas passiert?«

»Lasst uns nach draußen gehen.«

Unsicher nickte sie, legte sich einen dünnen Schal um die Schultern und trat durch die Türen nach draußen auf die Terrasse. Die Zofe zündete rasch zwei Lampen an und huschte dann auf ein Fingerzeichen ihrer Herrin davon. Schweigend und mit den Lampen in der Hand gingen wir zum Teich und setzten uns in der Dunkelheit auf dieselbe Bank, auf der wir damals gesessen hatten, und nur unsere Lampen hielten die Finsternis der Nacht von uns fern.

»Warum habt Ihr mir nicht von Mutnedjmet erzählt?«

Zunächst versuchte sie, mich unschuldig anzuschauen, aber dann seufzte sie.

»Ich wusste, dass du es, wenn du gut wärst in deinem Beruf, irgendwann selbst herausfinden würdest.«

»Das beantwortet meine Frage nicht.«

»Warum ich es dir nicht erzählt habe? Erklärt sich das nicht von selbst? Sie ist unser schreckliches Familiengeheimnis. Aber warum fragst du mich das? Sie kann doch unmöglich etwas mit dem zu tun haben, was hier passiert ist.«

»Und Ihr dachtet, das würde niemand klarer beurteilen können als Ihr.«

Sie wirkte verletzt.

»Warum sagst du das jetzt?«

»Weil sie die Person ist, die das Relief, die Kiste und das Figürchen hier eingeschmuggelt hat.«

Sie lachte kurz auf.

»Das ist unmöglich, sie –«

»Sie ist opiumsüchtig. Wie Euch bekannt ist. Sie hat einen Arzt. Er nennt sich der Doktor. Er nutzt ihre Sucht für seine Zwecke. Zum Dank dafür, dass sie seine Gaben in den königlichen Gemächern deponierte, hat er sie mit Schlafmohn beliefert. Er nährt ihre Sucht, und sie tut alles, was er verlangt. Hinzu kommt, dass derselbe Mann junge Menschen in der Stadt ermordet und verstümmelt und ebendiese Droge benutzt hat, damit sie sich nicht wehren konnten.«

Sie hatte Mühe, das alles so schnell zu verkraften.

»Nun, dann hast du das Rätsel ja gelöst. Du brauchst ihn jetzt nur noch zu verhaften. Dann hast du deine Aufgabe erfüllt und kannst in dein normales Leben zurückkehren.«

»Sie kennt seinen Namen nicht. Ich bin sicher, dass Eje oder Haremhab ihn kennen. Aber deshalb bin ich nicht hier.«

»Nein?«, fragte sie besorgt.

»Ihr habt Mutnedjmet besucht und aus ihren Gemächern gelassen.«

»Selbstverständlich nicht.

»Ich weiß, dass Ihr es getan habt.«

Beleidigt stand sie auf, leugnete es aber nicht noch einmal. Dann setzte sie sich wieder hin und bemühte sich um ein versöhnlicheres Gebaren.

»Ich hatte Mitleid mit ihr. Früher war sie nicht unbedingt bedauernswert, aber inzwischen ist sie ein hoffnungsloser Fall. Und sie ist immer noch meine Tante. Sie und ich sind die Einzigen, die von unserer großen Dynastie noch übrig sind. Sie ist das einzige Bindeglied zu meiner Vergangenheit. Ein nicht gerade beruhigender Gedanke, oder?«

»Ihr müsst von ihrer Sucht gewusst haben.«

»Ja, ich schätze, tief drinnen habe ich davon gewusst, nur ist sie immer seltsam gewesen, das war sie schon in meiner Kindheit. Also habe ich vermieden, mir Gedanken darüber zu machen, und es hat auch nie jemand darüber gesprochen. Ich bin davon ausgegangen, dass Pentu sie medizinisch betreut.«

»Und als Euch bewusst wurde, welche Ausmaße ihre Sucht angenommen hatte, fühltet Ihr Euch außerstande, ihr zu helfen.«

»Ich wagte nicht, mich zwischen ihren Gemahl und Eje zu stellen. Es stand so viel anderes auf dem Spiel.«

Sie wirkte beschämt.

»Ich konnte nicht riskieren, dass es zu einem öffentlichen Skandal kam. Vielleicht war das feige. Ja, jetzt denke ich, dass das feige war.«

»Glaubt Ihr, dass Mutnedjmet jemals verraten hat, dass Ihr sie von Zeit zu Zeit besucht und nach draußen lasst?«

»Sie wusste, dass ich niemals würde wiederkommen können, wenn sie das täte.«

»Es war also ein Geheimnis, und Ihr konntet ihr trauen, es zu bewahren?«

»Im gleichen Maße, wie ich ihr mit allem anderen trauen konnte.«

Sie sah aus, als sei ihr unbehaglich zumute.

»Lasst mich ganz direkt sein. Vielleicht habt Ihr diesen Doktor mal gesehen. Vielleicht wusste er nichts von Euren Besuchen. Vielleicht seid Ihr ihm zufällig irgendwann einmal begegnet.«

»Ich habe ihn nie gesehen«, sagte sie, und aus ihrem Blick sprach wache Aufrichtigkeit.

Enttäuscht drehte ich den Kopf zur Seite. Der Mann war wie ein Schatten; ich sah ihn immer aus dem Augenwinkel heraus, bekam ihn aber nie zu fassen, denn er entfloh jedes Mal sofort wieder in die Finsternis.

»Aber Ihr habt immer noch vor irgendetwas Angst«, sprach ich weiter.

»Ich habe vor vielen Dingen Angst, und wie du weißt, kann ich meine Furcht nicht gut verbergen. Ich habe Angst davor, allein zu sein, und ich habe Angst davor zu schlafen. Die Nächte kommen mir länger und dunkler vor denn je. An diesem trostlosen Ort scheint kein Kerzenlicht hell genug zu sein, um mir die Schatten vom Leib zu halten.«

Auf einmal wirkte sie völlig verloren.

»Ich will, dass du mich hier herausholst«, sagte sie. »Ich kann hier nicht bleiben. Ich fürchte mich zu sehr.«

»Wohin sollte ich Euch denn bringen?«

»Du könntest mich mit zu dir nach Hause nehmen.«

Ich war erstaunt, dass sie auf so eine Idee kam.

»Das kann ich selbstverständlich nicht.«

»Warum denn nicht? Wir könnten zusammen verschwinden. Wir könnten uns gleich jetzt auf den Weg machen.«

»Zu diesem Zeitpunkt? Da die Beisetzung des Königs ansteht, alles im Ungewissen liegt? Da wollt Ihr verschwinden?«

»Für die Bestattungsfeierlichkeiten kann ich zurückkommen. Ich werde mich verkleiden, und du nimmst mich einfach mit. Das wird keinem auffallen.«

»Ihr denkt nur an Euch selbst. Von dem Moment an, da Ihr nach mir habt schicken lassen, habe ich alles für Euch riskiert. Und jetzt denkt Ihr, ich würde auch meine eigene Familie aufs Spiel setzen? Die Antwort ist nein. Ihr müsst hier im Palast bleiben und Euch um die Beisetzung des Königs kümmern. Ihr müsst Eure Machtstellung behaupten. Und ich werde Euch jederzeit dabei zur Seite stehen.«