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Sie wurde wütend und bekam auf einmal ganz vulgäre Züge.

»Ich dachte, du wärest ein edler Mann, ich dachte, du hättest Ehrgefühl.«

»Die Sicherheit meiner Familie geht mir über alles«, erwiderte ich und fügte gedankenlos hinzu: »Was Ihr vermutlich nicht nachvollziehen könnt.« Dann sprang ich auf, denn ich konnte keine Sekunde länger sitzen bleiben.

»Es tut mir leid«, sagte sie irgendwann und senkte den Blick.

»Es sollte Euch leid tun.«

»Du darfst dir nicht herausnehmen, so mit mir zu reden, wie du es gerade getan hast«, sagte sie.

»Ich bin der Einzige, der Euch die Wahrheit sagt.«

»Du sorgst dafür, dass ich mich selbst nicht leiden kann.«

»Das ist nicht meine Absicht«, erwiderte ich.

»Das weiß ich.«

»Ich verspreche Euch, ich werde nicht zulassen, dass Euch ein Leid geschieht.«

Sie forschte in meinem Gesicht, als suche sie nach der Bestätigung, dass ich die Wahrheit sagte.

»Du hast recht. Ich kann nicht vor allem davonlaufen, vor dem ich mich fürchte. Es ist besser zu kämpfen, als zu flüchten …«

Wir gingen über den dunklen Pfad zurück.

»Was beabsichtigt Ihr zu tun?«, fragte ich sie. »Eje ist erpicht darauf, alles so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, die Einbalsamierung, die Bestattung und seine Krönung.«

»Ja, nur kann selbst Eje nicht über die Zeit befehligen. Der Leichnam muss für das Begräbnis vorbereitet werden, das Grabmal muss entsprechend eingerichtet werden, und die Rituale müssen peinlich genau eingehalten werden. All das dauert die vorgeschriebene und erforderliche Anzahl von Tagen …«

»Trotzdem. Gerade Eje ist ein Mann, der Wege finden wird, das alles weniger aufwendig zu gestalten.«

»Möglich. Aber wie will er erklären, dass der König sich so lange von allem zurückzieht? Aus dem Schweigen sickern die Gerüchte wie das Wasser aus einem undichten Krug …«

Sie blieb plötzlich stehen und sah mich mit strahlenden Augen an, als sei ihr soeben etwas Wichtiges eingefallen.

»Wenn ich überleben will, bleiben mir nur wenige Alternativen. Entweder ich verbünde mich mit Eje oder mit Haremhab. Es ist brutal, sich zwischen den beiden entscheiden zu müssen, und beide Alternativen erfüllen mich mit nichts als Abscheu. Nur eines weiß ich: Um unabhängig von den beiden meine Autorität als Königin und als letzte Tochter meiner Familie anmelden zu können, mangelt es mir im Moment noch an der Unterstützung, die ich in den Ministerien und – trotz Simuts Hilfe – auch in der Armee benötige. Vor allem angesichts der Aggressivität und des Ehrgeizes dieser beiden Männer.«

»Es gibt da aber auch noch einen dritten Weg«, sagte ich. »Wenn Ihr Eje und Haremhab gegeneinander ausspielt …«

Sie sah mich an und strahlte übers ganze Gesicht.

»Genau! Beide sähen mich lieber tot, sind sich aber im Klaren darüber, dass ich lebend sehr wertvoll bin, für den einen wie für den anderen. Und ich könnte jeden in dem Glauben lassen, dass der andere mich haben will, dann kämpfen sie vielleicht bis aufs Blut darum, wer mich besitzen darf. Wie Männer das so tun.«

Sie sprach mit solcher Überzeugung und Leidenschaft, dass ihr Gesicht plötzlich aussah wie das ihrer Mutter.

»Warum starrst du mich so an?«, wollte sie wissen.

»Ihr seht aus wie jemand, den ich früher einmal gekannt habe«, antwortete ich.

Sie wusste sofort, um wen es sich handelte.

»Du hast mein Mitgefühl, Rahotep«, sagte sie. »Sicher vermisst du deine Familie und dein Leben. Ich weiß, dass du nur hier bist, weil ich dich habe holen lassen, um mir zu helfen. Es ist meine Schuld. Aber von jetzt an werde ich dich beschützen. Mit all der Macht, die ich besitze. So gering die auch ist.«

»Und ich werde für Euch tun, was ich kann. Vielleicht können wir einander beschützen.«

Wir verneigten uns voreinander.

»Ich muss Euch jetzt allerdings um eine Gefälligkeit bitten«, sagte ich.

Rasch versah sie mich mit allem, was ich benötigte: mit Papyrus, einer Rohrfeder, einer Palette mit roter und schwarzer Tinte, Siegelwachs und einem kleinen Behälter mit Wasser. Ich schrieb schnell, und die Gefühle von Liebe und Verlust, die ich empfand, ließen die Worte nur so aus der Feder fließen.

An meine geliebte Frau und meine Kinder

Statt nach Hause zurückzukommen, sende ich Euch diesen Brief. Meine Aufgabe nimmt mich länger in Anspruch, als ich gehofft hatte. Von meiner Reise bin ich unbeschadet zurückgekehrt. Noch ist es mir jedoch nicht möglich, zu Euch zurückzukehren. Und ich kann auch nicht abschätzen, wann ich wieder heimkommen werde. Ich wünschte, es wäre anders. Mögen die Götter Euch helfen, mir mein Fortsein zu vergeben. Ich füge einen versiegelten Brief an Kheti bei. Bitte gebt ihm den so bald wie möglich.

Die Liebe, die ich für Euch empfinde, wird mich erstrahlen lassen.

Rahotep

Dann schrieb ich Kheti, berichtete ihm, was mir widerfahren war, und sagte ihm genau, was er für mich tun musste. Ich rollte beide Briefe zusammen, steckte die Rollen ineinander, siegelte sie und gab sie Anchesenamun.

»Gebt Simut diese Briefe, und weist ihn an, sie meiner Frau zu überbringen.«

Sie nickte und versteckte sie in ihrer Schreibtruhe.

»Traust du ihm?«

Ich nickte.

»Er wird in der Lage sein, diese Briefe unbemerkt zu überbringen. Ihr könntet das unmöglich«, sagte ich.

Ich dachte an meine Familie und spürte, wie mein Herz sich zusammenkrampfte, als rieben in meiner Brust Glassplitter gegeneinander. Dann hörten wir plötzlich beide Lärm auf dem Korridor, und im nächsten Moment wurden die Flügeltüren aufgestoßen.

39

Eje betrat die Gemächer. Simut folgte ihm und schloss hinter sich die Tür.

Eje fixierte mich mit seinen wie versteinert wirkenden Augen. Wieder einmal roch ich Gewürznelken und Zimt, den Geruch, der von den Pastillen herrührte, die er immerzu lutschte, um die Schmerzen in seinem faulenden Kiefer zu lindern. Dass er mitten in der Nacht hier auftauchte, konnte nur schlechte Neuigkeiten bedeuten. Er setzte sich auf eine Liege, strich penibel seine Gewänder glatt und bedeutete Anchesenamun mit einem Kopfnicken, gegenüber von ihm Platz zu nehmen.

»Haremhabs Staatsschiff ist nördlich der Stadt gesichtet worden«, sagte er ruhig. »Er wird in Kürze hier eintreffen. Und dann wird er, da bin ich sicher, um eine Audienz mit der Königin ersuchen. Ich fürchte, er weiß, dass der König tot ist, obwohl es keine Bekanntmachung gegeben hat und auch nicht geben wird. Wie er das in Erfahrung gebracht hat, muss herausgefunden werden. Zunächst einmal haben wir aber andere Prioritäten. Wir müssen uns einigen, wie wir mit dieser unseligen Eventualität umgehen wollen.«

Bevor Anchesenamun etwas darauf erwidern konnte, sprach er weiter.

»Er wird sich ohne jeden Zweifel ebenso wie ich überlegt haben, welche Vor- und Nachteile eine Verbindung mit dir mit sich bringt. Genau wie ich wird er erfassen, welchen Wert deine Herkunft hat und welchen Beitrag dein Prestige zur zukünftigen Stabilität der Beiden Länder leisten könnte. Ich bin sicher, dass er dir anbieten wird, dich zu heiraten. Er wird dir das Angebot mit günstigen Bedingungen schmackhaft machen und behaupten, Söhne zu zeugen, dich in deiner Rolle als Königin zu stärken und dass er die Wachsamkeit der Armee der Beiden Länder im Rücken hat, um eure gemeinsamen Interessen zu verfolgen und zu wahren.«

»Das sind interessante und, rein oberflächlich betrachtet, auch günstige Bedingungen«, erwiderte sie.