Выбрать главу

Im nächsten Moment stach mir eiskalte, stickige Luft in die Nase, die den hohlen Geruch einer Gruft hatte, die nach langer Zeit geöffnet wurde und in der die Finsternis am Ende sogar die Luft erstickt hatte. Kheti reichte mir eine Lampe, und vorsichtig betrat ich den Raum. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass das hier unter Umständen eine Falle war. Ich hielt die Lampe vor mich und versuchte zu erkennen, was sich jenseits des zitternden Lichtkegels befand.

Der Raum schien eine bescheidene Größe zu haben. An der einen Wand befand sich eine lange Arbeitsbank, auf der Tongefäße in verschiedenen Größen standen und ein beeindruckendes Sortiment an chirurgischen Instrumenten lag: Obsidianmesser, spitze Haken, lange Sonden, Schröpfgefäße, Furcht erregende Zangen. Alles lag akkurat nebeneinander. Etwas weiter dahinter standen aufgereiht kleine Glasphiolen mit Stöpseln, und eine jede war mit einem Etikett gekennzeichnet. Eine öffnete ich. Sie schien leer zu sein. Ich nahm sie an mich, um sie bei Tageslicht genauer untersuchen zu können. Weiter unten auf den Regalen standen noch mehr Phiolen. Ich öffnete sie aufs Geratewohl; wie es aussah, enthielten sie eine Vielzahl an Kräutern und Gewürzen. Nur in der letzten war eine Substanz, die ich kannte: das Pulver des Schlafmohns. Weiter hinten auf dem Regal standen noch viele weitere Gläser, und alle enthielten sie die gleiche Substanz: ein beträchtlicher Vorrat. Die Bank war ordentlichst aufgeräumt, alles war äußerst effizient.

Doch als ich einen weiteren Schritt vortrat, spürte ich, wie es unter meinen Sandalen knackte und knirschte. Ich ging mit meiner Lampe in die Hocke und sah, dass der Boden mit Knochen übersät war: mit kleinen Schädeln und Flügeln von Vögeln; mit den Skeletten von Mäusen und Ratten; den Kieferknochen und Läufen von Hunden, Pavianen, Hyänen und Schakalen; und auch mit größeren Knochen, von denen ich fürchtete, dass es sich um menschliche handelte, sowie zertrümmerten Knochensplittern. Es war, als sei ich in ein Massengrab allen Lebens getreten. Ich hielt die Lampe hoch, um tiefer in die Finsternis schauen zu können. Und dort entdeckte ich etwas noch Seltsameres: Von der Decke hingen Schnüre herab, und an denen baumelten zahllose Knochen und Knochenteile und formten die Skelette fremder, unmöglicher Kreaturen, die teils Vogel, teils Hund und teils Mensch waren.

Bemüht, nicht noch auf weitere der sterblichen Überreste zu meinen Füßen zu treten, und von Abscheu erfüllt, weil es sich nicht vermeiden ließ, mit den baumelnden Knochen in Berührung zu kommen, die ich in meinen Haaren wie auch auf meinem Rücken spürte, tastete ich mich weiter vor und erspähte am Ende des Raumes ein großes, niedriges und nur schemenhaft erkennbares Objekt. Als ich näher herankam, sah ich, dass es sich dabei um einen Einbalsamierungstisch handelte. Auf der Bank stand eine kleine Holzkiste. Auf die Wand hinter der Bank hatte man einen großen schwarzen Kreis gemalt. Die zerstörte Sonne. Ich hielt die Lampe dichter daran und entdeckte überall um den Kreis herum diese seltsamen, bestürzenden Zeichen, die ich auch auf dem Innen- und Außenrand des Kistendeckels gefunden hatte: Kurven, Sicheln, Punkte und Striche. Den Kreis selbst hatte man mit Blut beschmiert, mit schwarzem Blut, das zum Teil heruntergelaufen war und lange Linien gebildet hatte. Ich sah mir den Einbalsamierungstisch genauer an. Im Gegensatz zu der Schweinerei an der Wand war dieser pedantisch sauber, und das Gleiche galt für die chirurgischen Instrumente, die aufgereiht an den Wänden hingen. Nur waren es keine Heilinstrumente. Es waren Folterinstrumente. Mit wie vielen Opfern hatte er in diesem Raum experimentiert, während sie um Barmherzigkeit flehten? Um ihr Leben. Oder um die Gnade, sterben zu dürfen.

Die Holzkiste war mit einem Etikett versehen. Darauf stand in ordentlicher Handschrift ein einziges Wort: »Rahotep.« Die Kiste war also Sobeks Geschenk für mich. Mir blieb nichts anderes übrig, als sie zu öffnen. Ich weiß, dass ich das, was ich im nächsten Moment sah, für den Rest meines Lebens sehen werde, jedes Mal, wenn ich einzuschlafen versuche: Augen. Menschliche Augen. Paarweise ausgelegt wie Juwelen auf einem Tablett. Ich dachte an Neferet und an die beiden Jungen. Allen hatten die Augen gefehlt. Und hier war eine Kiste voller fragender, verschreckter Augen, die mich anstarrten wie ein winziges Publikum, das mir größte Aufmerksamkeit schenkte.

41

Ich schloss die Kiste und übergab die Augen wieder der Dunkelheit. Er verhöhnte mich mit diesem Geschenk. Er hatte mich hereingelegt. Er wusste, dass ich in Erfahrung bringen würde, wo er wohnte. Er wusste, dass ich immer noch nicht begriffen hatte, was er tat. Die Augen waren wie Zeichen – er beobachtete mich. Und wenn er mich beobachtete, was wusste er dann sonst noch? Mit einem Mal schnürte mir die Furcht die Kehle zu: Vielleicht wusste er von meiner Familie – er hatte sie schließlich bei der Party auf dem Dach von Nachts Stadthaus gesehen. Ich musste sie beschützen. Sofort wollte ich Kheti losschicken, damit er eine sichere Bewachung organisierte. Aber da kam mir schon der nächste Gedanke: Wie war er dahintergekommen, dass ich von seiner Beziehung zu Mutnedjmet wusste? Und der nächste Gedanke schoss gleich hinterher: Wir hatten nicht dafür gesorgt, dass Mutnedjmet bewacht wurde.

Kaum dass das Boot im Hafen des Malqata-Palastes angelegt hatte, stürmten Simut und ich durch die bewachten Eingangstüren und rannten die langen Korridore hinunter. Verzweifelt versuchte ich mich zu erinnern, wie man zu Mutnedjmets Gemächern gelangte, aber das düstere Labyrinth des Palastes verwirrte mich nur.

»Bring mich zu Khays Dienstzimmer!«

Simut nickte, und wir rannten weiter. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, an die Tür zu klopfen, sondern stürmte gleich hinein. Khay schlief tief und fest, lag schnarchend auf seiner Liege, den Kopf im Nacken, die Kleider noch am Leib, der Weinkelch leer. Brutal schüttelte ich ihn, und er schreckte hoch wie ein Mann, der nach einem Unfall das Bewusstsein wiedererlangt, und starrte uns beide mit wildem Blick an.

»Bringt uns zu Mutnedjmets Gemächern! Sofort!«

Verdutzt sah er mich an, aber ich packte ihn, riss ihn auf die Füße und schob ihn gewaltsam durch die Tür. »Nehmt Eure Hände von mir!«, tönte er mit quengeliger Stimme. »Ich bin durchaus in der Lage, ohne Hilfe zu gehen.«

Er stolperte los und versuchte, seinem Erscheinungsbild wieder so etwas wie Würde zu verleihen.

Die Türen zu Mutnedjmets Gemächern waren geschlossen, und die Seile waren verknotet und versiegelt. Als wir darauf zugingen, spürte ich ein leichtes Knirschen unter meinen Füßen. Verwirrt ging ich in die Hocke, und im nächsten Moment sah ich im Schein unserer Lampen etwas glitzern. Ich fuhr mit der Fingerspitze darüber und rieb mir dann damit über die Lippen. Natronsalz. Vermutlich war es aus einem Sack gerieselt, den jemand in die Gemächer getragen hatte. Aber warum tat man so was?

Ich brach die Siegel auf, und vorsichtig traten wir ein. In den Räumen war es totenstill und finster. Von den Zwillingen fehlte jede Spur. Ich hielt die Lampe hoch und lief durch den Korridor, der in den Salon führte. Doch als ich an den Vorratsräumen vorbeiging, sah ich, dass etwas nicht stimmte. Der Inhalt zweier großer Vorratskrüge – der eine war voller Korn, der andere voller Mehl gewesen – war auf dem Fußboden zu ordentlichen Haufen aufgeschüttet worden. Simut sah mich an. Vorsichtig hob ich den Deckel von einem der beiden Krüge. Darin saß eine gutangezogene kleine Gestalt bis zur Brust in ihrem eigenen Blut. Als ich genauer hinschaute, sah ich den Griff seines juwelenbesetzten Dolches, den man dem Zwerg ins Herz gerammt hatte. Den kleinen Hinterkopf hatte man ihm ebenfalls eingeschlagen. Ich öffnete den anderen Krug. Das gleiche Bild.