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Ich bemühte mich, tief durchzuatmen und nur ja nichts preiszugeben. Ich war in diesem Moment versucht, ihm alles zu sagen, dass ich Sobek als Täter identifiziert hatte und wusste, welche Verbindung zwischen ihm und Haremhabs Gemahlin bestanden hatte. Ich war versucht, ihn nach den Blutblasen zu fragen, mit denen man den König und die Königin während des Festes beworfen hatte. Allerdings befand ich mich momentan in einer Lage, die er unter Kontrolle hatte, deshalb behielt ich meine Informationen besser für mich. Sie waren das Einzige, was ich hatte. Ich würde sie mir für einen günstigeren Zeitpunkt aufheben.

Ich wollte seinen Vorschlag gerade annehmen, als aus irgendeinem unfassbaren Grund – denn bis zum Abend waren es noch etliche Stunden – in auffallendem Maße das Tageslicht schwand. Es war, als würden die Luft und das Licht plötzlich stocken. Jedem fiel das auf. Für einen Moment wirkten Haremhab und seine Soldaten verwirrt. Thot fing an, im Kreis zu laufen, und brabbelte dabei mit angelegten Ohren ängstlich vor sich hin. Bereits im nächsten Moment ertönten aus jedem Winkel des Tals und aus den Siedlungen in der Ferne unnatürliche Schreie und Tiergeheul. Alle standen wir da, hielten uns die Hände über die Augen und starrten nach oben in die Sonne und versuchten zu verstehen, was da vor sich ging. Im Himmelreich schien sich eine gewaltige Katastrophe zu ereignen. Mit einem Mal bildeten sich riesige Schatten, jagten über die Steigungen und Senkungen der Berghänge, und es war, als erhöben sich die Geister und Seelen der Unterwelt aus dem roten Fels, um das Licht der Lebenden zu bezwingen.

Aus der Ferne vernahm ich schrille Töne, die mahnend durch die Stille riefen. Das mussten die Zeremonialtrompeten sein, die ihre Not von den Tempelmauern bliesen. Die gewaltigen Pforten des Pylons wurden jetzt geschlossen, die Menschen ausgesperrt, und im Inneren der Tempelanlage huschten weißgewandete Priester los, um Opfer zu bringen, die Re vor der noch nie zuvor dagewesenen Finsternis bewahren sollten, die plötzlich über alles hinwegfegte.

Es fühlte sich an wie das Ende der Welt. Ich dachte an die Kinder und an Tanefert. Ich hoffte, dass sie alle daheim waren, im Haus, wo sie zumindest eine solide Holztür schützte. Ich hoffte, dass sie keine Angst hatten. Die Kraft der gewaltigen Schatten nahm immer mehr zu, sie sammelten sich und hüllten alles in ein seltsames Zwielicht. Dann wurde es plötzlich totenstill. Selbst der Nordwind, der am Spätnachmittag immer aufkam, wurde zusehends schwächer und erstarb dann gänzlich. Die Welt wirkte auf einmal wie ausgestorben. Auf den Feldern, die sich unter uns in der Ferne auftaten, sah ich nur noch einige Maultiere, die unsicher und unbewacht herumstanden, und die letzten paar Arbeiter, die über ihre sorgfältig bestellten Äcker um ihr Leben rannten. Ich hörte die schwachen Schreie eines verlassenen Kindes, konnte es aber nicht ausmachen und hätte es ohnehin nicht sehen können, weil die Finsternis immer schneller und immer stärker um sich griff.

In der Zwischenzeit spendete die Sonne nur noch so wenig Licht, dass es mir möglich war, mir das außerordentliche, unerklärliche Spektakel, das sich am Himmel vollzog, durch den Maschendraht meiner ineinandergeschlungenen Finger anzusehen. Auf die große Sonnenscheibe hatte sich der schwarze Rand eines geschwungenen Schwertes gelegt. Im nächsten Moment schossen riesige, sich ringelnde Bänder aus Licht und Schatten, die aussahen wie Lichtreflexe am Boden eines im Sonnenlicht liegenden Teiches, über das Land unter uns, dann über unsere Köpfe hinweg und schließlich weiter ins Rote Land. Ich streckte meine Hände nach ihnen aus, um sie zu fangen, aber aus irgendeinem Grund waren sie auf meiner Haut gar nicht zu sehen. Und dann wurde das Licht noch schwächer und nahm eine seltsam graue Farbe an, die an ein Kleidungsstück, das man zu häufig gewaschen hat, erinnerte.

Alles begann zu rasen. Der große schwarze Vogel der Nacht warf sich gänzlich auf das Antlitz des Tages, mit einem Schlag erstrahlten die unvergänglichen Gestirne am Firmament, und der Tag wurde zur Nacht – in einem einzigen Augenblick, den Tropfen einer Wasseruhr nicht messen konnten. Re, der Herr über die Ewigkeit, entschwand ebenso, wie er bei Sonnenuntergang am Horizont des Himmels versank. Das Einzige, was jetzt noch von ihm übrig war, war eine schmale Korona aus Licht, die die große schwarze Scheibe der siegenden Finsternis umkränzte. Es sah aus, als sei der Sonnengott gezwungen worden, sich zu ergeben. Um mich her war tiefe Nacht, und trotzdem sah ich, so unfasslich das auch war, die Ränder des Horizonts in der Ferne in den Orange- und Gelbtönen des Sonnenuntergangs leuchten. Auf einmal war es kalt, wie im Winter, und totenstill.

Und dann sah ich mit meinen eigenen Augen etwas, was ich zeit meines Lebens nicht vergessen werde: Das gewaltige Auge der Schöpfung starrte geradewegs auf mich nieder. Das Schwarz der Pupille, die strahlend weiße Korona der Iris und für den Bruchteil einer Sekunde ein dünnes, tiefrotes Band, das aussah, als sei es aus Blut, und die Ränder der Finsternis umflackerte. Ich konnte nicht atmen, und die Welt blieb stehen und verstummte. Das war das herrlichste Mysterium, das ich je gesehen hatte.

Doch so plötzlich, wie die Dunkelheit das Licht erobert hatte, so plötzlich verlagerte sich das Gleichgewicht der Kräfte wieder, und ein schimmernder, nur ganz zart strahlender Bogen zeichnete sich auf der einen Seite ab und blitzte auf wie die feingeschliffene Klinge eines goldenen Messers im Sonnenlicht, um die Finsternis mit seinem Triumph zu blenden. Zunächst verwandelte sich die Farbe der Welt wieder in ein schimmerndes Grau, und die seltsamen Bataillone aus Licht und Schatten wanden sich neuerlich über uns hinweg, nur dieses Mal in entgegengesetzter Richtung, von uns weg und wieder nach oben. Und rasch nahm der Himmel wieder die so vertraute blaue Farbe an. Die Sterne verblassten, und die Welt füllte sich neuerlich mit Farben, Leben und Zeit.

Haremhab war hingerissen. So verzückt hatte ich ihn noch nie erlebt. Er sah mich an, und sein so attraktives, unfreundliches Gesicht hatte einen triumphalen Ausdruck.

»Hast du das gesehen? Die Finsternis hat den Aton verschlungen. Das ist ein Zeichen der Götter, dass sie die korrupte Macht dieser armseligen Familie nicht länger unterstützen.« Und sodann schlug er sich triumphierend mit der Faust auf die Brust und rief entschlossen in die Runde: »Es wird eine neue Ordnung geben! Das dort oben ist eine neue Sonne, und sie strahlt nieder auf ein neues Zeitalter!« Diszipliniert jubelten seine Soldaten ihm zu.

Danach ritt er in Begleitung seiner rennenden Mannen den unfruchtbaren Hügel hinunter, und Thot und ich konnten allein zusehen, wie wir zum Palast zurückkamen. Während unseres Rückweges über die staubigen Pfade konnte ich an nichts anderes denken als an das Himmlische Auge. Das Symbol des schwarzen Kreises war Wirklichkeit geworden. Mein Bauchgefühl hatte mich nicht getäuscht. Das Symbol war nicht nur das Zeichen eines Geheimbundes, es war auch eine Prophezeiung von etwas Realem, das kommen würde. Mir fiel plötzlich ein, was Nacht über den schwarzen Kreis gesagt hatte: »Er bedeutet, dass sich in der finstersten Stunde der Nacht die Seele des Re mit dem Leib und der Seele des Osiris vereinigt. Das ermöglicht es Osiris und damit allen Toten der Beiden Länder, wiedergeboren zu werden. Es ist der heiligste und bedeutsamste Moment der gesamten Schöpfung.«

Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto zwiespältiger wurden meine Gefühle. Hatte dieses Himmelsereignis ein Wunder der Wiedergeburt prophezeit oder eine bevorstehende Katastrophe?