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»Wir befinden uns in einer ausweglosen Situation. Solange ich den Beutel nicht habe, werde ich dir nicht verraten, wo der Junge ist. Und du wirst dafür sorgen, dass der Beutel erst in meinen Besitz gelangt, wenn du das Kind hast. Wir sollten also klug sein und das Ganze anders angehen«, meinte er.

»Und was schwebt dir da vor?«

»Das Leben deines Kindes kostet dich lediglich eine kurze Unterhaltung mit mir. Ich habe dich lange Zeit für einen hochgeschätzten Kollegen gehalten. Schließlich sind wir einander sehr ähnlich.«

»Wir haben nichts zu bereden. Du und ich haben nichts miteinander gemein. Ich will nur meinen Sohn. Lebend. Wenn du ihm etwas angetan hast, wenn du ihm auch nur ein einziges Haar gekrümmt hast …«

»Dann wirst du dich entweder in Geduld üben müssen, um ihn wiederzubekommen«, fiel er mir kühl ins Wort, »oder ich werde dir gar nichts verraten. Ich habe auf diesen Moment hier gewartet. Denk nach, Wahrheitssucher. Auch du hast Fragen. Vielleicht kenne ich die Antworten.«

Ich zögerte. Wie alle Mörder seiner Sorte war er einsam. Er verzehrte sich danach, verstanden zu werden.

»Worüber willst du dich unterhalten?«

»Lass uns über den Tod reden. Denn der fasziniert uns beide. Der Tod ist das größte Geschenk, denn er allein gibt uns Erhabenheit und Vollkommenheit, indem er uns von der Hoffnungslosigkeit und Banalität dieser Welt aus Blut und Staub erlöst«, sagte er.

»Der Tod ist kein Geschenk. Er ist ein Verlust«, entgegnete ich.

»Nein, Rahotep. Du fühlst dich am lebendigsten, wenn du dem Tod ganz nah bist. Ich weiß, dass du es so empfindest, trotz der heilen kleinen Welt deiner Familie. All diese herzigen Kinder und dein liebendes Weib … Aber Sterbliche sind nichts weiter als Säcke aus Blut und Knochen und widerwärtigem Gewebe. Das Herz, das famose Herz, von dem unsere Dichter und die Liebenden faseln, ist lediglich ein Fleischklumpen. Alles verwest.«

»Das nennt man die Natur des Menschen. Wir machen das Beste daraus. Was du treibst, ist auch in höchstem Maße banal. Du tötest hilflose, unter Drogen stehende Jungen und Mädchen und kleine Tiere. Du häutest sie, brichst ihnen die Knochen und reißt ihnen die Augen heraus. Und? Das ist nichts Besonderes. Im Grunde ist es armselig. Du bist wie so ein Schuljunge, der Insekten und Katzen quält. Ich habe schon wesentlich Schlimmeres erlebt. Mich interessiert nicht, warum oder wie du sie getötet hast. Das spielt keine Rolle. Du hast da zu deinem persönlichen Vergnügen eine Schau abgezogen, und das Ergebnis war eine Art Panoptikum des Todes. Du redest von Erhabenheit, hast dich aber tief in die Katakomben verkrochen, ein einsames, frustriertes Kerlchen, das von allen gehasst wird, ein Versager, der verzweifelt haben will, was in diesem kleinen Lederbeutel steckt.«

Er atmete inzwischen schneller. Ich musste ihn weiter reizen.

»Weißt du, dass einer der Jungen nicht gestorben ist?«, sprach ich weiter. »Er hat überlebt. Er hat dich beschrieben. Er kann dich identifizieren.«

Er schüttelte den Kopf.

»Ein Zeuge ohne Augen? Nein, Rahotep, du bist hier derjenige, der verzweifelt ist. Du bist der Versager. Der König ist tot, deine Karriere ist zu Ende, dein Sohn ist in meiner Gewalt.«

Ich hatte Mühe, mich zusammenzureißen, ihn nicht gegen die Wand der Katakombe zu knallen und ihm mit der Lampe das Gesicht zu Brei zu schlagen. Aber das durfte ich nicht tun, denn wie hätte ich dann Amenmose finden sollen? Außerdem fehlten mir immer noch Antworten.

»Was diese absurden Gegenstände betrifft, die du für den König hast hinterlegen lassen, deine merkwürdigen kleinen Geschenke: Hast du ernsthaft geglaubt, die würden ihm Angst einjagen?«

Mit finsterer Miene sah er mich an.

»Ich weiß, dass sie ihn in Angst und Schrecken versetzt haben. Sie haben ihm und diesem Mädchen genau das gezeigt, wovor sie sich am meisten fürchteten. Ich brauchte ihrer Todesangst lediglich einen Spiegel vorzuhalten. Nichts hat größere Macht als Angst. Angst vor der Dunkelheit, vor Verfall, vor Zerstörung und Untergang … und vor allem: die Angst vor dem Tod. Von ihr werden die Menschen getrieben. Diese Angst begleitet alles, was wir haben, und alles, was wir tun. Angst hat eine grandiose Macht, und ich habe sie gut eingesetzt!« Sobeks Stimme hatte jetzt einen angespannteren Ton.

Ich trat näher auf ihn zu.

»Du bist ein erbärmlicher, trauriger, perverser alter Mann. Eje hat dich rausgeschmissen, und aus Rache hast du einen Weg gefunden, dir wieder wichtig vorzukommen.«

»Eje war ein Narr. Er hat nicht begriffen, wen er da vor sich hatte. Er hat mich entlassen. Er hat sich über meine Behandlungsmethoden beschwert. Aber jetzt bedauert er das. Alles, was inzwischen passiert ist, das gesamte Chaos, die Ängste und die Furcht, dafür bin allein ich verantwortlich, ich habe sie ausgelöst! Selbst du, Rahotep, der berühmte Wahrheitssucher, konntest mich nicht aufhalten. Siehst du es immer noch nicht? Ich habe dich rufen lassen. Ich habe dir die Spur gelegt, vom ersten Moment an bis zu diesem Augenblick. Und der Gestank von Korruption und Tod hat dich dermaßen fasziniert, dass du ihr gefolgt bist wie ein Hund.«

Ich hatte es gewusst, es vor mir selbst aber nicht wahrhaben wollen. Das sah er mir an.

»Ja. Jetzt begreifst du. Und jetzt bekommst du Angst. Angst zu versagen.«

Ich sprach weiter, um mich von dieser Angst zu befreien.

»Aber warum hast du Tutanchamun gehasst? Warum hast du angefangen, ihn zu attackieren?«

»Er war die Saat einer Dynastie, die immer weiter verfiel und immer verderbter wurde. Er war untauglich. Er war unmännlich. Sein Geist war schwach und sein Leib mit Makeln behaftet. Er konnte keine gesunden Nachkommen zeugen, nur verkrüppelte, nutzlose Dinger. Er besaß keinerlei Heldenmut. Ich konnte nicht zulassen, dass er König wurde. Das musste verhindert werden. Früher, als die Menschen noch weise und nicht wie heute Narren waren, gab es den heiligen Brauch, den König zu töten, wenn seine Fehler oder Defizite Wohl und Macht des Landes gefährdeten. Ich habe diese edle Sitte wieder eingeführt. Ich habe die alten Rituale vollzogen. Ihm wurden die Knochen gebrochen, sein Gesicht wurde weggeworfen, ihm wurden die Augen ausgerissen, und seine Totenmaske wurde aus verwesenden Dingen erstellt, damit die Götter ihn im Totenreich nicht erkennen können. Ich habe dem Land die Hoffnung auf einen neuen König gegeben. Haremhab wird König werden. Er verfügt über Macht und Männlichkeit. Er wird Horus sein, der König des Lebens. Und der Kindkönig wird im Dunkel der Vergessenheit versinken, und niemand wird seinen Namen jemals wieder in den Mund nehmen.«

Endlich hatte er den General erwähnt. Ich hakte nach.

»Warum Haremhab?«

»Die Zustände in diesem Land kann man nur beklagen. Unsere Grenzen werden bedrängt, unsere Schatz- und Kornkammern sind leer, und in unseren Tempeln und Palästen regieren Huren, Diebe und Fantasten. Nur Haremhab verfügt über die Autorität, den Beiden Ländern wieder zu Ruhm und Glanz zu verhelfen.« Und dann brüllte er: »Ich bin es, der die Macht über die Lebenden hat. Ich bin es, der die Götter sieht. Ich bin die dunkle Sonne. Ich bin Anubis. Ich bin die Finsternis!«

»Du hast also alles, was du getan hast, auf Haremhabs Befehl hin getan? Die Gegenstände im Palast, das Relief in der Säulenhalle, der Mord an Mutnedjmet? Und als Gegenleistung hat er dir Ruhm und Macht versprochen?«

»Ich nehme keine Befehle entgegen! Haremhab hat meine Fähigkeiten erkannt und meine Taten angeordnet. Aber er ist Soldat. Für die größeren Wahrheiten fehlt ihm jedweder Sinn. Das gesamte Ausmaß meiner Arbeit kennt er noch gar nicht, denn das geht weit über die Macht und die Politik dieser Welt hinaus. Denn was nützt uns diese Welt, wenn wir nicht auch nach dem Jenseits greifen?«

Mit meiner Lampe in der Hand schritt ich um ihn herum. Ich wusste, da war noch mehr.