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»Du solltest dich hinlegen. Ich kann dir ein Beruhigungsmittel geben.«

»Ich scheiß auf dein Beruhigungsmittel. Mich würde nur beruhigen, wenn du mir zustimmst! Es war eine Irrsinnsreise. Oder, Doc?«

»Du weißt doch, daß ich so denke, Nid.«

»Und du denkst, ich bin ebenfalls irrsinnig.«

»Ich weiß nicht, ob du das bist oder nicht. Aber ich weiß, daß du kurz vor einem Zusammenbruch stehst.«

»Na und, wenn schon?« fragte Delagard. »Ich bin noch immer Kapitän auf diesem Schiff. Ich hab uns in die Scheiße reingeritten. Alle die Menschen, die sterben mußten — sie sind durch meine Schuld tot. Ich darf nicht zulassen, daß noch jemand stirbt. Ich bin dafür verantwortlich, daß wir von hier wieder fortkommen.«

»Und was ist dann dein Plan?«

»Was wir jetzt tun müssen…« — Delagard sprach schleppend und betont deutlich, wie aus einer abgrundtiefen Erschöpfung heraus —, »ist, einen Kurs bestimmen, der uns wieder in bewohnte Gegenden zurückbringt, und dort laufen wir die erste erreichbare Insel an und betteln, verdammt noch mal, daß sie uns aufnehmen. Elf Menschen — für elf Menschen werden sie immer noch Platz finden, egal was sie uns über ihre beengten Verhältnisse sagen werden.«

»Das klingt mir sehr vernünftig.«

»Das hab ich mir gedacht.«

»Also, gut dann. Zuerst aber ruhst du dich mal aus, Nid. Wir übrigen machen uns sofort daran, von hier wegzukommen. Felk kann die Navigation übernehmen, wir legen die Segel um, und bis zum halben Nachmittag sind wir hundert Kilometer weit von hier fort und steuern so schnell wie möglich auf Grayvard oder so zu.« Lawler schob Delagard mit leichtem Drängen zu den Stufen, die von der Brücke hinabführten. »Nun geh schon. Ehe du umkippst.«

»Nein«, sagte Delagard störrisch. »Ich hab dir doch gesagt, noch bin ich der Kapitän. Und wenn wir hier rausmüssen, dann nur mit mir am Ruder.«

»Schon gut. Wie du gern möchtest.«

»Es geht nicht darum, was ich gern möchte, sondern was ich zu tun habe. Was ich tun muß. Und noch etwas brauche ich von dir, ehe wir starten.«

»Und was wäre das?«

»Etwas, das es mir möglich macht, mit der veränderten Sachlage fertigzuwerden. Schließlich, es war doch eine totale Pleite, oder? Ein absoluter Reinfall. Ich hab in meinem ganzen Leben noch nie zuvor bei etwas versagt. Erst jetzt. Aber diese Katastrophe, dieser… dieses Unheil…« — plötzlich schoß Delagards Hand vor und klammerte sich an Lawlers Arm. »Ich brauch was, um damit weiterleben zu können, Doc. Diese Schmach und Schande! Die Schuldgefühle! Du denkst wahrscheinlich, ich bin zu so was gar nicht fähig, aber was, zum Teufel, hast du überhaupt je von mir gewußt? Wenn wir diese Reise überleben, werden alle auf Hydros, wohin ich auch komme, mich angaffen und sagen: ›Da geht der Mann, der Anführer der Reise, bei der er sechs Schiffe voll mit Menschen direkt in die Höllenscheiße geführt hat.‹ Und die ständigen Mahnungen die ganze Zeit. Jedesmal wenn ich von nun an dich sehe, oder Dag, Felk, Kinverson…« Delagards Augen blickten starr und wild: »Du hast da doch eine Medizin, stimmt’s, die das Gefühl in einem abstumpft und betäubt und auslöscht? Ich bitte dich um das Zeug. Ich möchte mich damit betäuben, und zwar tüchtig, und das will ich von jetzt an bis zum Schluß bleiben. Weil mir nämlich sonst nur noch eins übrigbleibt, nämlich mich umzubringen, und dazu fehlt’s mir einfach an Phantasie.«

»Drogen sind auch eine Methode, sich umzubringen, Nid.«

»Verschon mich mit solchem frömmelnden Geseich, Doktor, ja?«

»Es ist mir völlig ernst. Glaub mir, ich hab mich schließlich jahrelang selbst mit diesem Zeug vergiftet. Es ist, als wäre man ein lebender Leichnam.«

»Das ist immer noch erträglicher als ein toter Leichnam.«

»Vielleicht. Aber trotzdem kann ich dir nichts geben. Ich hab die letzten Tropfen meines Vorrats aufgebraucht, bevor wir hier ankamen.«

Delagards Griff an Lawlers Arm verschärfte sich heftig. »Lüg mich nicht an!«

»Tu ich das?«

»Ich weiß, daß du lügst! Du kannst ohne die Droge nicht leben. Du brauchst sie jeden Tag. Denkst du, ich weiß das nicht? Meinst du, das wissen wir nicht alle?«

»Nid, es ist wirklich nichts mehr da. Weißt du noch, letzte Woche, als es mir so schlecht ging? Was wirklich mit mir los war? — Ich litt unter Entzug. Es ist nicht ein Tropfen mehr übrig. Du kannst gern meine Vorräte durchsuchen, aber du wirst nichts finden.«

»Du lügst!«

»Geh und sieh nach. Du kannst gern alles haben, was du findest. Das ist ein verbindliches Versprechen.« Damit schob Lawler behutsam Delagards Klammerhand von seinem Arm. »Hör mir zu, Nid, leg dich jetzt erst mal hin und gönn dir ein wenig Erholung. Wenn du wieder aufwachst, sind wir weit weg von hier, du fühlst dich dann besser, glaub es mir, und dann kannst du auch besser mit dir selber umgehen und diesen ganzen Prozeß deiner Selbst-Entsühnung leisten. Du bist ein zäher Bursche, Nid, hast Stehvermögen. Du weißt bestimmt, wie man mit so was wie Schuld und Schuldgefühlen umgeht — glaub es mir, du weißt das. Aber im Moment bist du dermaßen erschöpft und niedergeschlagen, daß du nicht einmal die nächsten fünf Minuten im Griff hast. Aber sobald wir wieder in der offenen See sind…«

»Wart mal ’nen Moment!« sagte Delagard und stierte über Lawlers Schulter. Er zeigte zum Krandeck am Heck. »Was, zum Teufel, ist da los?«

Lawler drehte sich um. Dort kämpften zwei Gestalten, ein großer und ein viel schmalerer Mann: Kinverson und Quillan, eine ziemlich unpassende Paarung von Gegnern. Kinverson hatte dem Priester seine Pranken auf die hageren Schultern gelegt und hielt ihn auf Armeslänge fest im Griff, während Quillan sich zu befreien versuchte.

Lawler stolperte über die Treppe und rannte zum Heck. Delagard kam taumelnd hinter ihm her.

»Was machst du denn da?« rief Lawler. »Laß ihn los!«

»Wenn ich den loslaß, dann haut der ab, rüber aufs Land. Sagt er jedenfalls, daß er das will. Möchtest du, daß er das macht, Doc?«

Quillan hatte einen absonderlichen Ausdruck der Entrückung im Gesicht. Die Augen waren glasig-starr wie bei einem Schlafwandler. Die Pupillen unnatürlich geweitet. Und seine Haut wirkte dermaßen bleich, als hätte er keinen Tropfen Blut mehr im Leib. Die Lippen waren zu einem erstarrten Grinsen verzerrt.

Kinverson erklärte: »Er ist da so rumgewandert wie einer, der den Kopf verloren hat. Zu ihm, zu ihm, in sein ›Antlitz‹, hat er die ganze Zeit gebrabbelt. Dann fing er an und wollte über Bord klettern, also hab ich ihn mir gegriffen, und der haut doch glatt wie irre auf mich los. Himmel, ich hätt mir nie träumen lassen, daß der Zahnstocher ein derart zäher Fighter ist! Aber ich denke, allmählich wird er wohl ’n bißchen ruhiger.«

»Versuch mal, ihn loszulassen. Mal sehen, was er dann macht«, sagte Lawler.

Kinverson ließ Quillan mit einem Achselzucken los. Der Priester drängte sofort wieder auf die Reling zu. Seine Augen schienen wie von einem inneren Feuer zu glühen.

»Na? Seht ihr?« fragte der Fischer.

Delagard kam nun mit schwankenden Schultern heran. Er wirkte schwer angeschlagen, aber entschlossen. Auf seinem Schiff hatte Ordnung zu herrschen. Er packte sich den Priester am Handgelenk. »Was soll das? Was hast du vor? Was versuchst du da?«

»Ich will an Land gehen — das ANTLITZ … die FLÄCHE… zu IHM…« Das traumverlorene idiotische Grinsen in Quillans Gesicht wurde breiter, bis es fast schien, als würden sich ihm die Wangen spalten. »Der Gott verlangt nach mir… der Gott dort drüben…«