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Sie schauten ihm nach.

»So, also jetzt gibt’s nur noch dich und mich, Kleines«, sagte Lawler zu Sundira. Und dann lachten sie. Was sonst hätten sie auch tun können, als zu lachen?

* * *

Die Nacht kam. Eine Nacht der Kometen und Wunder, voll vielfarbiger funkelnder Lichter. Nach Einbruch der Dunkelheit waren Sundira und Lawler an Deck geblieben, hatten still am Hauptmast gesessen und nur hin und wieder ein Wort gewechselt. Lawler fühlte sich wie betäubt, wie ausgebrannt von den Ereignissen des Tages. Und Sundira schien ebenfalls erschöpft und blieb stumm.

Droben fanden gewaltige Farbexplosionen im Himmel statt. Zur Feier der neuen Konvertiten, dachte Lawler. Die Aurae seiner einstigen Schiffsgefährten schienen am Himme l zu leuchten und zu funkeln. Der große stürmisch-blaue Schwall da drüben, war das Delagard? Und dieses warme Bernsteinglühen? — Quillan? Und konnte diese scharlachrote Säule da Kinverson sein? Und dieser Spritzer geschmolzenen Goldes überm Horizont — Pilya Braun? Und Felk — und Tharp — Neyana — Lis — Gharkid…

Der emotionale Eindruck war, als wären sie allesamt ganz dicht in seiner Nähe, jeder einzelne von ihnen.

Das Firmament kochte und brodelte von pulsierenden Farben. Aber wenn Lawler sich mühte, ihre Stimmen auszumachen, konnte er sie nicht hören. Da war nur ein warmes harmonisches undifferenziertes Tönen.

Am Ende der kleinen Bucht setzte sich über dem dunkler werdenden Horizont das wildwuchernde Wachstum der Vegetation auf der Insel ungehemmt fort: Es sproßte und zuckte und bebte vor dem dunkleren Himmel und sprühte Funkenregen leuchtender Energie empor. In Wellen strömte das Licht in den Himmel. Unablässig, ohne Pause ging das so weiter dort drüben. Lawler und Sundira saßen da bis tief in die Nacht und betrachteten sich das Schauspiel. Irgendwann stand Lawler auf und sagte: »Hast du denn keinen Hunger?«

»Überhaupt keinen.«

»Ich auch nicht. Aber — laß uns dann wenigstens ein bißchen schlafen.«

»Ja, du hast recht.«

Sie streckte ihm die Hand hin, und er zog sie auf die Füße. Dann standen sie eng beisammen an der Reling und starrten zur Insel hinüber.

»Spürst du irgendwas von diesem Sog?« fragte sie.

»Ja. Er ist immer da — wartet bloß auf seine Chance, nehme ich an. Auf den Moment, wo es uns unvorbereitet und schutzlos erwischen kann.«

»Ja. Ich spür es auch. Es ist nicht mehr so stark wie vorher, aber ich weiß, das ist nur ein Trick, um uns einzulullen. Ich muß meinen Kopf die ganze Zeit zusammenhalten wie eine geballte Faust, um mich dagegen zu wehren.«

»Ich überlege mir schon die ganze Zeit, wieso ausgerechnet wir zwei als einzige diesem Zwang widerstehen konnten, ebenfalls rüberzugehen«, sagte Lawler. »Sind wir stärker und gesünder als die anderen, besser ausgerüstet für ein Leben als Monade in den Grenzen der eigenen Individualität? Oder ganz schlicht dermaßen darauf konditioniert, uns als anders und abgehoben von der uns umgebenden Gesellschaft zu fühlen, daß es uns einfach unmöglich ist, uns selber mal loszulassen und in ein Gruppenfeeling einzutauchen.«

»Bist du dir in deinem Leben auf Sorve wirklich so isoliert vorgekommen, Val, so nicht dazugehörend?«

Er dachte darüber nach. »Vielleicht ist ›nicht dazugehörend‹ ein zu starkes Wort. Ich war durchaus Teil der Sorve-Gemeinde, und sie betrachteten mich als zu ihnen gehörig. Aber ich gehörte eben nicht so dazu, wie die meisten anderen Menschen dort. Ich stand immer ein bißchen abseits.«

»So war das auch bei mir, auf Khamsilaine. Aber ich glaube, ich war noch nie besonders gut, wo es um feste Bindungen an Gruppen oder so geht.«

»Ich ebenfalls nicht.«

»Und im Grunde hab ich so was auch nie gewollt. Manche wollen das und können es dann nicht. Gabe — Gabe Kinverson war mindestens so stark ein Einzelgänger wie wir beide das sind. Mehr noch, wahrscheinlich. Und dann hat er einen Punkt in seinem Leben erreicht, wo er das nicht mehr ertragen wollte. Und da ist er jetzt dort drüben — und lebt — im ›Antlitz‹. Aber ich krieg einfach Gänsehaut bei der Vorstellung, daß ich mein ganzes Selbst aufgeben soll, wenn ich da rübergeh, und daß ich mich einem fremden Bewußtsein ausliefern und eingliedern soll.«

»Ich hab ihn nie begriffen. Kinverson, meine ich«, sagte Lawler.

»Ich auch nicht. Ich hab’s versucht. Aber der war die ganze Zeit dermaßen fest in sich verkapselt. Verkrustet. Verkrampft. Sogar wenn wir uns liebten.«

»Darüber möchte ich lieber nichts hören.«

»Tut mir leid.«

»Ja, ist ja schon gut.«

Sie drückte sich fester an ihn.

»Und jetzt gibt es bloß noch uns zwei«, sagte sie.

»Gestrandet am popligen Ende der Welt im Nirgendwo. Und ganz allein in einem aufgegebenen Schiff. Unglaublich romantisch. Solang es dauern kann. Was sollen wir tun, Val?«

»Wir gehen jetzt runter und veranstalten eine wilde Liebesorgie. Heut nacht können wir nämlich das breite Bett von Delagard besteigen.«

»Und dann?«

»Über das dann machen wir uns dann Sorgen. Später!« sagte Lawler.

9

Er wachte kurz vor dem Morgen auf. Sundira schlief weiter — mit einem Gesicht, so glatt und unbekümmert wie das eines Kindes. Er schlich sich aus der Kabine und stieg an Deck. Die Sonne kam über den Horizont, und das verwirrende Farbenspiel, das unentwegt vom ›Antlitz‹ aufstieg, wirkte an diesem Morgen gedämpfter als tags zuvor und viel weniger spektakulär. Er konnte noch immer den lockenden Sog als leises Kitzeln am Rand seines Bewußtseins spüren, aber mehr war es nun auch nicht, eben nur ein sanftes Kitzeln.

Die Gestalten der früheren Schiffsgefährten wanderten am Strand umher. Er beobachtete sie. Auch über die Entfernung hin vermochte er sie ganz leicht zu identifizieren: Kinverson, den Riesen, den kleinen Tharp, den vierschrötigen Delagard, den säbelbeinigen Felk und Father Quillan, ganz Haut und Knochen. Gharkid, dunkelhäutiger als die übrigen und schwebendleicht wie ein Geist. Und die drei Frauen, die vollbusige Lis und die kräftige breitschultrige Neyana und die hübsche biegsame Pilya. Was taten die dort? Wateten sie den Strand entlang? Nein! Sie wateten in die Bucht heraus, sie kamen hierher, sie kehrten zum Schiff zurück! Alle. Gelassen und mühelos kamen sie durch das seichte Wasser auf die Queen of Hydros zugeschwommen.

Lawler überlief ein Angstschauder. Es war wie eine Totenprozession, die da übers Wasser auf ihn zukam. Er eilte hinunter und weckte Sundira.

»Sie kommen zurück«, sagte er brutal.

»Was? Wer? Oh! Oh!«

»Alle, die ganze Besatzung kommt aufs Schiff zugeschwommen.«

Sie nickte, als bereite es ihr weiter keine Mühe zu akzeptieren, daß die früheren leiblichen Hüllen ihrer ehemaligen Schiffskameraden von jener unerläßlichen Wesenheit wiederkehrten, die ihre Seelen verschlungen hatte. Vielleicht ist sie ja noch nicht ganz wach, dachte Lawler. Doch sie erhob sich sogleich und eilte mit ihm an Deck. Überall rings um das Schiff schwammen jetzt ihre Gestalten, dicht unter der Reling, und Lawler rief zu ihnen hinab.

»Was wollt ihr denn?«

»Wirf die Strickleiter aus«, erwiderte die Kinverson-Gestalt mit erkennbar Kinversons Stimme. »Wir kommen an Bord.«

»O Gott«, flüsterte Lawler und warf Sundira einen entsetzten Blick zu.

»Tu’s!« befahl sie.

»Aber sobald die mal hier oben sind…«

»Was spielt das noch für eine Rolle? Wenn das ›Antlitz‹ beschließen wollte, seine ganze Energiestärke auf uns loszulassen, wären wir wahrscheinlich sowieso machtlos dagegen. Wenn sie an Bord kommen wollen, dann laß sie doch. Wir haben sowieso nicht mehr besonders viel zu verlieren, oder?«