Выбрать главу

Achselzuckend warf Lawler die Strickleiter aus. Kinverson kam zuerst an Bord gestiegen, dann Delagard, Pilya und Tharp. Die übrigen folgten. Sie waren alle splitternackt, und es fehlte ihnen an Leben und Leibhaftigkeit, sie wirkten wie Schlafwandler, wie Gespenster. Aber sie sind ja Gespenster, sagte Lawler sich.

»Also?« fragte er schließlich.

»Wir sind gekommen, um euch das Schiff segeln zu helfen«, sagte Delagard.

»Das Schiff? Wohin?« fragte er verblüfft.

»Dorthin, woher ihr gekommen seid. Es ist euch doch klar, daß ihr hier nicht bleiben könnt. Wir bringen euch nach Grayvard, damit ihr dort um Asyl bitten könnt.«

Delagards Stimme klang sachlich und ruhig, und seine Augen waren klar und gelassen, völlig ohne das gewohnte fiebrige Funkeln. Wer oder was immer dieses Geschöpf da war, es war etwas anderes als der Nid Delagard, den Lawler über so viele Jahre hin gekannt hatte. Seine Dämonen waren exorziert und gebannt. Er hatte eine tiefgreifende Verwandlung erfahren — vielleicht tatsächlich so etwas wie eine Erlösung und Befreiung. All sein Pläneschmieden und Ränkespiel war nun beendet. Und seine Seele schien Ruhe gefunden zu haben. Und so wirkten auch die übrigen: sie hatten ihren Frieden, waren im Frieden. Sie hatten sich dem Ding da, diesem ›Antlitz‹ überantwortet, hatten ihm ihre Individualität, ihr Selbst preisgegeben, etwas für Lawler geradezu Ungeheuerliches und Unvorstellbares; aber er mußte sich andererseits zugeben, daß die Rückkehrer anscheinend so etwas wie ihre Glückseligkeit gefunden hatten.

Mit einer Stimme, die leicht wie Luft klang, sagte die Quillan-Gestalt: »Ehe wir segeln, eine letzte Chance. Möchtet ihr nicht vielleicht doch auf die Insel? Doktor? Sundira?«

»Du weißt doch, daß wir nicht wollen«, sagte Lawler.

»Das liegt bei euch selbst. Aber wenn ihr erst einmal wieder zurück in eurem heimatlichen Meer seid, wird es nicht mehr ganz so leicht für euch sein, hierher zurückzukommen, falls ihr eure Ansicht ändert.«

»Damit kann ich leben.«

»Sundira?« fragte Quillan.

»Ich auch.«

Die Priesterhülle lächelte betrübt. »Die Entscheidung liegt bei euch. Aber ich wünschte, ich könnte euch begreiflich machen, was ihr für einen Fehler begeht. Begreift ihr eigentlich, warum wir auf der ganzen Seereise so unablässig angegriffen wurden? Warum die Rammhörner kamen und die Napfschnecke, die Hexenfische und alles übrige? Doch nicht, weil das bösartige Geschöpfe wären. Es gibt auf Hydros keine bösen Lebewesen. Sie haben nichts weiter versucht als eine Verletzung ihrer Welt zu heilen, mehr nicht.«

»Die Welt heilen?« fragte Lawler.

»Ja. Sie säubern. Sie von einer Verunreinigung befreien. Für sie — und für jede andere Lebensform auf Hydros — sind die hier hausenden Erdlinge Eindringlinge, Fremdkörper, weil sie nicht Teil der Harmonie sind, die das ›Antlitz‹ darstellt. Für sie sind wir Abkömmlinge von der Erde so etwas wie Viren oder Bakterien, die in einen gesunden Organismus eingedrungen sind. Die Angriffe gegen uns waren nichts weiter als der Versuch, den Körper von Krankheitserregern zu befreien.«

»Oder wie wenn man Sand aus dem Getriebe einer Maschine entfernt«, sagte Delagard.

Lawler wandte sich ab. Er merkte, wie in ihm Zorn und Ekel heraufquollen.

Sundira sagte leise zu ihm: »Sie sind wirklich schrecklich. Wie Gespenster. Nein, schlimmer: wie Zombies! Wir hatten Glück, daß wir genug Kraft hatten, uns dem zu widersetzen.«

»Hatten wir wirklich Glück?« fragte Lawler.

Ihre Augen weiteten sich. »Was meinst du damit?«

»Ich bin mir nicht sicher. Sie sehen so zufrieden aus, Sundira. Vielleicht sind sie ja in was anderes verwandelt worden, etwas Fremdes, aber wenigstens sieht es so aus, als hätten sie ihren Frieden.«

Ihre Nasenflügel blähten sich verächtlich. »Du sehnst dich nach diesem Frieden? Na, dann geh doch! Geh rüber! Du brauchst bloß ein kleines Stück weit zu schwimmen.«

»Aber nein. Nein!«

»Bist du sicher, Val?«

»Komm zu mir. Halt mich fest.«

»Ach, Val… Val…«

»Ich liebe dich.«

»Und ich liebe dich, Val.« Sie umarmten und küßten sich, als wären die Rückkehrer um sie herum gar nicht da. Dicht an seinem Ohr flüsterte sie: »Ich geh da nicht rüber, wenn du nicht auch gehst.«

»Ich werde nicht gehen, hab keine Angst.«

»Aber wenn doch, dann gehen wir gemeinsam.«

»Was?«

»Ja glaubst du denn, ich will die einzige auf diesem Schiff sein, die noch ein real existierender Mensch ist, und mit zehn Zombies, zehn lebenden Toten fahren? Das ist ein echtes Paktangebot, Vaclass="underline" Entweder wir gehen gemeinsam, oder ganz und gar nicht.«

»Wir gehen nicht.«

»Aber wenn…«

»Dann gehen wir gemeinsam«, sagte Lawler. »Aber wir werden nicht gehen.«

* * *

Als hätte sich nichts von außergewöhnlicher Bedeutung vor und auf der Insel ereignet, machte sich die Besatzung der Queen of Hydros daran, die Vorbereitungen zur Rückreise zu treffen. Kinverson legte seine Netze aus, und sie füllten sich prompt mit Fischen. Gharkid schob sich gemächlich durch das hüfthohe Wasser und sammelte verwertbare Algen ein. Neyana, Pilya und Lis zogen zwischen dem Schiff und der Insel hin und her und füllten die Behältnisse mit Trinkwasser; das sie aus einer Quelle am Ufer holten. Onyos Felk brütete über seinen Navigationskarten. Dag Tharp bastelte an seinen Funkgeräten herum und stellte sie neu ein. Delagard überwachte die Checks in den Masten und Segeln, am Ruder und am Schiffsrumpf und bestimmte, wo Ausbesserungsarbeiten nötig waren, und ansonsten griff er — wie Sundira und Lawler und sogar Father Quillan — mit zu, wo es nötig war.

Es wurde kaum gesprochen. Alle erledigten ihre Aufgaben, als wären sie Teile einer gutdurchdachten Maschinerie. Die Rückkehrer gingen behutsam mit den beiden ›Fremdkörpern‹ um und behandelten sie fast so, als wären sie entwicklungsgestörte Kinder, die besonders viel zärtliche Zuwendung brauchen; doch Lawler verspürte nicht, daß sich zwischen ihm und denen ein echter Kontakt ergab.

Immer wieder starrte er beklommen und fragend zum Land hinüber. Das farbige Lichterschauspiel, das von dort ausging, setzte sich ununterbrochen fort. Und diese konstante berserkerhaft wilde Kraftabstrahlung faszinierte ihn ebenso, wie sie ihn abstieß. Er versuchte sich vorzustellen, wie das für die anderen gewesen sein mußte, als sie an Land gegangen waren, wie sie sich durch diese Dschungel fremdartigen kochenden Lebens bewegten. Doch er wußte auch, daß derlei Spekulationen gefährlich waren. Immer wieder einmal verspürte er — und zuweilen unerwartet stark — den Sog, der von der Insel ausging. Und dann war die Versuchung sehr stark. Es würde doch so einfach sein, sich über Bord gleiten zu lassen wie die anderen, durchs warme einladende Wasser der Bucht zu schwimmen und diesen fremden Strand hinaufzugehen…

Aber es gelang ihm noch immer, Widerstand zu leisten. Er hatte sich so lange gegen den Sog der Insel gewehrt; er war nicht bereit, sich jetzt geschlagen zu geben. Die Vorbereitungen zur Abfahrt gingen weiter, und er blieb weiter beharrlich an Bord, und Sundira gleichfalls, während die anderen unbekümmert zwischen Schiff und Land hin und her pendelten. Es war irgendwie absurd und seltsam, aber keineswegs unangenehm. Als wäre das Leben irgendwie zwischen zwei Polen im Suspensionszustand. In gewisser Weise empfand Lawler das sogar als seltsam beglückend: Er hatte überlebt, hatte sich allen möglichen Widerwärtigkeiten mutig widersetzt und sie gemeistert; er war in den Schmelztiegel von Hydros geworfen worden und nur desto stärker und gestählter soeben dabei, daraus hervorzutauchen. Es hatte sich der Glücksfall ergeben, daß er Sundira liebte, und er fühlte, daß auch sie ihn liebte. Alles ganz neue Erfahrungen für ihn. Wie immer, wenn überhaupt, das neue Leben sein mochte, das ihm vielleicht nach dem Ende dieser Reise beschieden sein mochte, er würde gewiß besser befähigt sein als früher, mit den Untiefen und Trübstellen seiner Seele umzugehen.