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Inzwischen war das Schiff fast startklar.

Es war nun später Nachmittag. Delagard hatte verkündet, man werde bei Sonnenuntergang aufbrechen. Daß sie im Dunkel aus dem Umkreis der Insel abfahren würden, schien ihn nicht weiter zu beunruhigen. Der Lichtschein würde das Schiff eine ganze Weile lang begleiten und lenken, und danach konnten sie sich an den Gestirnen orientieren. Von der See war nichts zu befürchten, jetzt nicht mehr. Sie würde ihnen von nun an freundlich begegnen. Alles auf Hydros würde freundlich sein.

Auf einmal merkte Lawler, daß er allein an Deck war.

Die anderen waren wo an Land gegangen; zu einem Abschiedsbesuch, vielleicht. Aber wo war Sundira?

Er rief ihren Namen.

Es kam keine Antwort.

Einen panischen Augenblick lang dachte er, ob sie vielleicht mit hinübergegangen sein könnte. Dann sah er sie am Heck am Ladedeck. Und Kinverson stand neben ihr. Anscheinend waren die beiden tief im Gespräch.

Verstohlen schlich Lawler sich näher an sie heran. Und dann hörte er Kinverson auf sie einreden: »Du kannst doch überhaupt nicht beurteilen, wie das ist, solang du nicht selber drüben warst. Es ist so anders, völlig verschieden von dem gewöhnlichen Menschsein — wie es lebendig sein vom tot sein ist.«

»Ich fühl mich aber eigentlich ziemlich lebendig, so wie ich jetzt bin.«

»Aber du hast ja keine Ahnung! Du kannst es dir nicht vorstellen. Komm doch mit mir, jetzt gleich, Sundira. Es dauert nur einen Moment. Und dann wird dir alles aufgehen. Ich bin doch auch nicht mehr der Mann, der ich früher war, oder?«

»Eigentlich kaum noch…«

»Und trotzdem bin ich’s. Aber ich bin darüber hinaus so viel mehr geworden. Komm doch mit mir!«

»Bitte, Gabe. Laß mich!«

»Du willst doch rübergehen. Ich weiß, daß du es willst. Du willst doch nur wegen diesem Lawler bleiben.«

»Ich bleibe hier, weil ich es so will!« sagte Sundira.

»Das ist nicht wahr. Ich weiß es. Der armselige, müde, erbärmliche Hund. Du willst ihn bloß nicht im Stich lassen.«

»Nein, Gabe!«

»Du wärst mir dann aber dankbar.«

»Nein!«

»Komm doch mit mir!«

»Gabe — bitte!«

Aber auf einmal schwang ein zweifelnder Ton in ihrer Stimme mit, eine Klangfärbung, als gerate ihr fester Entschluß in Schwanken. Und Lawler empfand das wie einen schmerzhaften Schlag. Er sprang zu den beiden auf das Krandeck. Sundira wich mit einem entsetzten Keuchen zurück. Kinverson blieb, wo er war, und blickte Lawler gelassen entgegen.

Die Gaffeln und Harpunen lagen in ihren Halterungen. Lawler packte sich einen der Speere und richtete ihn auf Kinversons Gesicht.

»Du läßt sie in Ruhe!«

Der Riese besah sich die scharfe Waffe mit einem Ausdruck der Belustigung, vielleicht auch der Verachtung.

»Aber, Doc, ich tu ihr doch gar nichts.«

»Du versuchst sie zu verführen.«

Kinverson lachte. »Na, dazu braucht es ja wohl bei ihr nicht viel, oder?«

In Lawlers Ohren dröhnte plötzlich ein wütendes Getöse. Es kostete ihn große Mühe sich zu beherrschen. Am liebsten hätte er Kinverson den Speer in den Hals gerammt.

Und dann sagte Sundira: »Val, bitte. Wir haben doch bloß miteinander geredet.«

»Ja, das hab ich gehört. Über was ihr da — geredet habt. Der will dich beschwatzen, daß du mit ihm rübergehst, oder?«

»Das leugne ich ja nicht«, sagte Kinverson leichthin.

Lawler fuchtelte erneut mit der Gaffel. Ihm war bewußt, wie drollig, wie kindisch und dumm seine Erregtheit auf Kinverson wirken mußte. Schließlich überragte ihn Kinverson — trotz all seiner neugewonnenen heiligmäßigen Sanftheit — beträchtlich und bedrohlich und sah geradezu unverletzbar und unbesiegbar aus.

Doch Lawler mußte dem ein Ende machen. Mit gepreßter Stimme sagte er: »Ich will nicht, daß du noch einmal mit ihr sprichst, ehe wir losfahren.«

Kinverson lächelte freundlich. »Ich hab ihr doch nichts Böses getan.«

»Ich weiß, was du versucht hast. Und ich werde es nicht zulassen.«

»Sollte sie das nicht lieber selbst entscheiden, Doc?«

Lawler warf Sundira einen fragenden Blick zu. Sie sagte sanft: »Es ist schon gut, Val. Ich kann schon auf mich selber achtgeben.«

»Ja. Ja, natürlich.«

»Gib mir die Gaffel, Doc«, sagte Kinverson. »Sonst tust du dir damit noch weh.«

»Bleib, wo du bist!«

»Es ist meine Harpune, ja? Es steht dir nicht zu, damit herumzufuchteln.«

»Paß auf!« sagte Lawler. »Los, verschwinde! Verzieh dich vom Schiff! Los! Geh zurück zur Insel! Los, Gabe! Du gehörst nicht mehr hierher. Keiner von euch hat mehr hier was verloren… Das ist ein Schiff für Menschen!«

»Val!« rief Sundira.

Lawler packte den Speer fest und hielt ihn, wie er ein Skalpell halten würde, dann ging er ein, zwei Schrit te auf Kinverson los. Der Fischer richtete sich zu seiner ganzen gewaltigen Größe auf. Lawler holte tief Luft. »Los, hau ab!«, schrie er. »Geh zurück auf die Insel! Spring, Gabe! Gleich jetzt, da rüber!«

»Ach, Doc, Doc, Doc…«

Lawler stieß die Harpune scharf und heftig von unten her gegen Kinversons Zwerchfell. Der Stoß hätte ihn direkt ins Herz treffen müssen, doch Kinversons Arm bewegte sich mit unglaublicher Gewandtheit. Die Hand faßte den Speerschaft und drehte ihn, und Lawler fuhr ein stechender Schmerz durch den ganzen Arm. Und dann war die Harpune in Kinversons Hand.

Automatisch kreuzte Lawler die Arme vor dem Bauch, um sich gegen den zu erwartenden Stoß zu schützen. Kinverson betrachtete ihn, als tastete er ihn nach der richtigen Stelle für den Stoß ab. Bring’s schon hinter dich, Mistkerl, dachte Lawler. Jetzt und rasch! Er glaubte schon fast, den Stoß zu spüren, das brennende Eindringen der Zacken, das Zerreißen des Gewebes, die scharfe Spitze, die im Brustkorb zum Herzen vorstieß.

Doch es kam kein Stoß. Kinverson beugte sich nur gelassen nach vorn und klemmte die Gaffel wieder in ihre Halterung.

»Du solltest nicht so mit dem Werkzeug herumhantieren, Doc«, sagte er sanft. »Und jetzt entschuldige mich, bitte. Ich laß dich und die Lady jetzt allein.«

Er wandte sich ab, ging an Lawler vorbei und stieg aufs Hauptdeck hinab.

* * *

»Ich hab wohl recht blöd ausgesehen, da vorhin?« fragte er Sundira.

Sie lächelte, aber fast unmerklich. »Du hast in ihm immer schon eine Bedrohung gesehen, ja?«

»Er hat dich überreden wollen, da rüberzugehen — die Seiten zu wechseln. Ist das eine Bedrohung oder nicht?«

»Wenn er mich gepackt und körperlich von Bord geschleppt hätte, das hätte den Tatbestand der körperlichen Bedrohung erfüllt, Val.«

»Ja, schon gut, schon gut.«

»Aber ich verstehe, warum du dich aufgeregt hast. Sogar dermaßen, daß du glatt mit einer Waffe auf ihn losgegangen bist.«

»Das war blödsinnig. Pubertäres Verhalten…«

»Ja, das war es.«

Er hatte nicht erwartet, daß sie ihm so rasch und ohne Zögern zustimmen werde. Bestürzt sah er sie an und erblickte etwas in ihren Augen, das ihn sogar noch tiefer überraschte und bedrückte.

Etwas war anders. Zwischen ihnen lag jetzt eine Distanz, wie es sie schon seit langem nicht mehr gegeben hatte.

»Was ist mit dir, Sundira? Was geht da vor?«

»Ach, Val, Val…«

»Sag’s mir doch!«

»Es hat nichts mit dem zu tun, was Kinverson zu mir gesagt hat. Mich kann man nicht so leicht beschwatzen. Es ist ganz und gar mein eigener Entschluß.«