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Lawler sagte: »Das Wasserreservoir ist extrem stabil. Glaub mir, Father. Ich lebe schon mein ganzes Leben lang hier, und nicht ein einzigesmal hat es einen Bruch gegeben. Wir könnten es uns nicht leisten, daß so was passiert.«

Quillan lachte verlegen. »Darum ging es mir eigentlich gar nicht. Tatsächlich wollte ich nur seine Kraft umarmen.«

»Verstehe.«

»Ich wollte diese gesamte geballte Stärke fühlen. Erfahren, wie sich gewaltige Stärke unter Kontrolle anfühlt — diese Hektoliter Wasser, die einzig durch den entschlossenen menschlichen Willen gebändigt sind.«

»Ja, und durch Massen von Seebambus und Reifen, Father. Und nicht zu vergessen, durch die Güte Gottes.«

»Ja, das wohl auch«, sagte Quillan.

Ziemlich seltsam, dieses Verhalten. Umarmt den Wassertank, weil er spüren will, wieviel Kraft da drinsteckt. Aber Father Quillan machte immer derart sonderbare Sachen. Der Mann schien von einer Art verzweifelten Hungers erfüllt: einem Verlangen nach Gnade und Erbarmen, nach der Preisgabe an ein Etwas, das größer war als er selber. Die Sehnsucht vielleicht gar, glauben zu können. Lawler berührte es als recht merkwürdig, daß ein Mann, der behauptete, ein Priester zu sein, dermaßen des göttlichen Geistes ermangelte.

Er sagte: »Mein Ur-Urgroßvater hat die Zisterne konstruiert, weißt du? Harry Lawler, einer der Gründer der Kolonie. Wie mein Großvater immer zu sagen pflegte, gelang ihm alles gut, was er anpackte. Eine Appendektomie ebenso wie die Navigation eines Schiffes von einer Insel zur anderen, wie halt auch der Entwurf eines Wasserreservoirs.« Lawler machte eine Pause. »Er ist hierher deportiert worden wegen Mordes, der alte Harry. Wegen Totschlags, sollte ich wohl korrigieren.«

»Das wußte ich nicht. Also hat deine Familie schon immer auf Sorve gelebt?«

»Von Anfang an. Ich bin hier geboren. Genau gesagt, zirka hundertachtzig Meter von unserem jetzigen Standpunkt entfernt.« Lawler tätschelte zärtlich die Zisternenwand. »Der gute alte Harry. Ohne das da würden wir hier wirklich echte Probleme haben. Du merkst ja, wie trocken das Klima hier ist.«

»Ja, ich merke es allmählich«, antwortete der Priester. »Regnet es denn hier nie?«

»Ach doch, zu bestimmten Zeiten im Jahr schon. Aber jetzt ist eben nicht der rechte Zeitpunkt. Mit Regen darfst du für die nächsten neun, zehn Monate hier nicht rechnen. Deshalb haben wir uns ja so bemüht, unsere Zisternen so zu konstruieren, daß keine Leckagen auftreten.«

Auf Sorve war Wasser eben knapp; jedenfalls das Wasser, das für die Bedürfnisse der Humanbevölkerung geeignet war. Fast das ganze Jahr hindurch schwamm die Insel durch Zonen ohne Regenfälle in der unerbittlichen Gezeitendrift. Aber die schwimmenden Inseln auf Hydros, die mehr oder weniger frei durch die Gewässer trieben, wurden nichtsdestoweniger manchmal jahrzehntelang in klar abgegrenzten planetograpischen Längenzonen durch starke Meeresströmungen von der Kraft gewaltiger Flüsse festgehalten. Jede Insel machte eine jährliche klarbestimmte Migration zwischen den Polen durch, hin und zurück; um die Pole kreisten Wirbelströmungen heftiger bewegten Wassers, von denen die herantreibenden Inseln erfaßt, gedreht und in gegenläufige Bewegung in Richtung auf das andere Ende des Planeten katapultiert wurden. Trotz dieser alljährlichen Nord-Süd-Wanderung durch sämtliche Breitenzonen blieb die ost-westliche Fluktuation wegen der übermächtigen Meeresströmungen minimal. So war etwa Sorve, soweit Lawler sich zurückzuerinnern vermochte, bei seiner unentwegten Weltwanderung zwischen Norden und Süden stets zwischen vierzig und sechzig Grad westlicher Breite geblieben. Dies schien in fast allen Breiten ein Trockengürtel zu sein. Regen kam nur unregelmäßig, außer wenn die Insel durch die polnahen Zonen trieb, wo dann heftige Niederschläge die Regel waren.

Für die einheimischen Kiemlinge, die Gillies, bedeuteten die wiederkehrenden Trockenzeiten kein Problem; ihr Metabolismus war sowieso auf den Konsum von Meerwasser hin angelegt. Doch für die Menschen komplizierte sich das Leben dadurch enorm. Die Trinkwasserrationierung gehörte auf Sorve zur Alltagsroutine. Zwei Jahre hatte es gegeben — einmal, als Lawler erst zwölf war, und in seinem zwanzigsten Jahr, diesem schwarzen Jahr, in dem sein Vater starb —, in denen abnorm üppige Regen wochenlang ununterbrochen über der Insel niedergegangen waren, so daß die Zisternen überflossen und man die Wasserrationierung aufgab. Während der ersten Woche etwa war dies beide Male als interessantes Novum empfunden worden, aber dann wurden die endlosen Regen, die grauverhangenen Tage und der widerwärtige Modergeruch den Menschen lästig. Alles in allem zog Lawler aber die Dürreperioden vor; an sie war er jedenfalls besser gewöhnt.

Father Quillan sagte: »Ich bin fasziniert von diesem Ort. Es ist die seltsamste Welt, die ich je gesehen habe.«

»Wahrscheinlich könnte ich das auch sagen.«

»Bist du viel herumgereist? Auf Hydros, meine ich.«

»Ich war einmal auf Thibeire Island«, antwortete Lawler. »Die kam damals ganz nahe an uns heran, trieb dicht drunten an den Hafen heran, und ein paar von uns ruderten mit einem Flechtboot hinüber und blieben dort den ganzen Tag lang. Ich war damals fünfzehn. Das einzige Mal, daß ich in der Fremde war.« Er bedachte den Priester mit einem forschenden Blick. »Aber du, du bist ein richtiger weitgereister Mann, sagen die Leute. Und sie sagen, du hast zu deiner Zeit ein ziemliches Stück der Galaxie kennengelernt.«

»Ein wenig nur«, sagte Father Quillan. »Nicht besonders viel. Ich war auf sieben Welten. Nein, acht, wenn ich die hier mitrechne.«

»Das macht sieben mehr, als ich je sehen werde.«

»Aber jetzt bin ich am Ende angekommen.«

»Ja«,sagte Lawler, »das trifft sicher zu.« Außerweltler, die nach Hydros kamen, um hier zu leben, waren Lawler unbegreiflich. Wieso taten sie das? Sich auf Sunrise, gleich nebenan, also bloß so etwa zwölf Millionen Kilometer weit weg, in eine Abwurfkapsel stecken zu lassen, um dann auf einen Landeorbit hinausgeschnippt zu werden, der einen schließlich im Meer in der Nähe einer Treibinsel absetzen sollte… und dies im vollen Bewußtsein, daß du Hydros nie -nie-wieder verlassen kannst? Da die Gillies sich der Errichtung eines Raumflughafens an irgendeinem Punkt von Hydros strikt widersetzten, bedeutete die Reise hierher unweigerlich den Endpunkt… und jeder da draußen wußte dies. Und dennoch kamen sie immer noch — nicht gerade in großer Zahl, aber sie träufelten stetig herein, entschlossen, bis zu ihrem Ende als Gestrandete auf einem uferlosen Meer zu leben, einer Welt ohne Bäume und Blumen, ohne Vögel, Insekten und grünes Gras, ohne fellbedeckte und ohne Huftiere… ohne Muße und Annehmlichkeit, ohne eine der Segnungen der modernen Technologie, schiffbrüchig in den nie endenden Gezeiten, auf Inseln aus Rutengeflecht zwischen den Polen einer Welt unablässig hin und her treibend, die nur für Geschöpfe mit Finnen und Flossen geeignet war.

Lawler hatte keine Ahnung, warum Quillan nach Hydros hatte kommen wollen; doch so etwas fragte man hier andere Menschen grundsätzlich nicht. Vielleicht war es wegen irgendeiner Bußübung, als eine Strafe. Als ein Akt der Selbstverleugnung. Ganz gewiß nicht, um hier ein kirchliches Amt auszuüben. Die ›Alle Welten umfassende Kirche‹ war eine post-vatikanische katholische Splittersekte, und soweit Lawler wußte, besaß sie auf Hydros nirgendwo Anhänger. Auch sah es nicht so aus, als wäre Father Quillan als Missionar gekommen. Seit seinem Eintreffen auf Sorve hatte er keinen Versuch unternommen, Proselyten zu gewinnen, was nur vernünftig war, denn Religionen hatten bei den Insulanern noch nie größeres Interesse erregt. »Gott ist weit weg von uns auf Sorve«, pflegte Lawlers Vater oft zu sagen.

Quillan schaute eine Weile ziemlich düster drein, als wäge er noch einmal die realen Aspekte seines lebenslänglichen Gestrandetseins auf Hydros ab. Dann sagte er: »Stört es euch nicht, daß ihr immer hier an dem einen Ort seid? Werdet ihr denn nie kribbelig? Neugierig, wie es auf den anderen Inseln ist?«