Er begann zu zittern. Mühsam gewann er wieder die Kontrolle über sich.
Zwischen den Zähnen sagte er: »Es ist ganz gewiß keine Heldentat, einige Taucher bei einem Industrie -Entwicklungsprojekt umzubringen. Aber das da erscheint mir denn doch als ziemlich übertriebene Reaktion. Du hast sie bestimmt mißverstanden.«
»Ja, Scheiße, hab ich! Keine Spur… Die haben außerordentlich deutlich gemacht, was sie meinten.«
»Und wir müssen alle fort?«
»Wir alle, ja. In dreißig Tagen.«
Habe ich mich da nicht verhört, fragte Lawler sich. Ist das alles wirklich wirklich?
»Haben sie dir einen Grund angegeben?« fragte er. »War es wegen der Taucher?«
»Natürlich wegen denen«, sagte Delagard mit leiser, von Scham verschleierter Stimme. »Wie du schon heut früh gesagt hast: Diese Kiemlinge wissen immer ganz genau über alles Bescheid, was wir tun.«
»O Jesus!« Inzwischen begann sein Zorn die erste schockierte Bestürzung abzulösen. Delagard hatte frech und unbekümmert das Leben aller auf der Insel hausenden Menschen aufs Spiel gesetzt — und er hatte verloren. Die Gillies hatten ihn vorher bereits gewarnt: Mach so was nicht noch mal, oder ihr fliegt hier raus! Und Delagard hatte es trotzdem wieder getan! »Was bist du doch für ein widerwärtiges, dreckiges Schwein, Delagard!«
»Aber ich weiß doch gar nicht, wie sie mir draufgekommen sind. Ich hab alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Wir haben sie in der Nacht gelandet. Wir haben sie zugedeckt gehalten, bis wir im Schuppen waren, und auch der war abgeschlossen…«
»Aber sie wußten es trotzdem.«
»Haben sie«, konzedierte Delagard. »Diese Kiemlinge wissen immer alles, was los ist. Wenn du mit der Frau von ’nem andern schläfst, die wissen es. Aber es ist ihnen egal. Bloß hier nicht. Wenn einem ein paar Taucher draufgehen, dann ist es ihnen auf einmal gar nicht mehr egal und sie werden wütend.«
»Was hatten sie dir beim letztenmal gesagt, als es einen Taucherunfall gegeben hat? Als sie dich abgemahnt haben, bei deinen Arbeiten keine Taucher mehr zu beschäftigen? Was sagten sie, was sie tun würden, falls sie dich wieder dabei erwischen würden?«
Delagard blieb stumm.
»Was haben sie gesagt?« Lawler fragte heftiger.
Delagard fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Daß sie uns von Sorve vertreiben würden«, murmelte er, und wieder blickte er wie ein gescholtener Schuljunge auf seine Füße.
»Aber du hast es trotzdem getan. Trotzdem!«
»Wer hätte das schon ernstgenommen? Himmel, Lawler, wir leben hier seit hundertfünfzig Jahren! Haben die was dagegen gehabt, als wir hierherkamen? Wir fielen vom Himmel und haben uns genau auf ihren blöden Inseln niedergelassen. Na, und? Haben sie zu uns gesagt: Verschwindet, ihr abstoßend häßlichen haarigen Vierbeiner aus der Fremde? Nein, haben sie nicht. Sie haben sich keinen Furz um uns geschert.«
»Es gab aber Shalikomo«, sagte Lawler.
»Ja, aber vor langer Zeit. Ehe du oder ich geboren wurden.«
»Die Gillies haben auf Shalikomo eine Menge Menschen umgebracht. Unschuldige.«
»Andere Gillies. Eine andere Situation.«
Delagard drückte die geballten Fäuste gegeneinander, die Knöchel gaben ein knackendes Geräusch von sich. Seine Stimme wurde heller und lauter. Es schien ihm ziemlich rasch zu gelingen, die Schuldgefühle und Zerknirschung abzuschütteln, die ihn zuvor bedrückten. Das war ein besonderer Kniff, den der Mann beherrschte, dachte Lawler, dieser Stehaufmännchen-Mechanismus seiner eignen Wertigkeit. »Shalikomo war eine Ausnahme«, sagte er. Die Sassen waren zu der Überzeugung gelangt, es gebe auf Shalikomo, das eine sehr kleine Insel war, zu viele von den Menschen und hatten angeordnet, daß einige fortgehen müßten; aber die Menschen auf Shalikomo hatten sich nicht einigen können, wer fort sollte und wer bleiben, und so verließ kaum jemand die Insel; und schließlich entschieden die Gillies selber, wie viele Menschen sie unter sich auf der Insel haben wollten, und töteten den Rest. »Das ist eine uralte Geschichte«, sagte Delagard.
»Sicher, es war vor langer Zeit«, gab Lawler zu. »Aber was bringt dich zu dem Glauben, daß es sich nicht erneut ereignen könnte?«
Delagard sagte: »Die Kiemlinge waren sonst an keinem anderen Ort je besonders feindselig. Gut, sie mögen uns nicht, aber sie hindern uns auch nicht daran, zu tun, was wir wollen, solang wir auf unserem Teil der Insel bleiben und nicht zu zahlreich werden. Wir ernten Kelp, wir fischen soviel wir wollen, wir errichten Gebäude, wir jagen Speisefisch, wir treiben alles mögliche, von dem man vermuten könnte, daß es Andersartigen nicht paßt, und sie sagten nicht ein Wort dagegen. Und wenn es mir gelungen ist, ein paar Taucher als Hilfskräfte bei der Mineralgewinnung auf dem Meeresgrund auszubilden, wodurch die Gillies genauso profitieren würden wie wir, wieso hätte ich deiner Meinung nach daran denken sollen, daß der tödliche Unfall von ein paar Tieren bei der Arbeit sie dermaßen aufregen würde, daß sie… daß sie…«
»Vielleicht war das der letzte Strohhalm, der dem Kamel das Rückgrat brach.«
»Wie? Was, zum Teufel, meinst du damit?«
»Eine alte Spruchweisheit von der ERDE. Vergiß es. Ich meine damit, daß diese Sache mit den Tauchern irgendwie ihre Toleranzgrenze überstieg und daß sie uns jetzt weghaben wollen.«
Lawler schloß kurz die Augen und malte sich aus, wie er seine Siebensachen packen und in ein Boot steigen würde, das zu einer fremden Insel fuhr. Die Vorstellung fiel ihm nicht leicht… Wir werden von Sorve fortmüssen… Wir werden von Sorve fortmüssen… Wir müssen…
Dann merkte er, daß Delagard immer noch weitersprach.
»Das war ehrlich ein Tiefschlag, kann ich dir sagen. Mit so was hätte ich nie gerechnet. Da steh ich, und zwei Brocken von Kiemlingen drücken mich gegen die Wand, halten mir die Arme fest und ein dritter schnieft mir direkt in die Nase und sagt: Ihr alle müßt binnen dreißig Tagen von hier verschwinden. Haut ab — oder… Was glaubst du, wie ich mir da vorgekommen bin, Doc? Besonders weil mir ja klar war, daß ich dafür verantwortlich bin. Du hast heut früh gesagt, ich hab kein Gewissen, aber du hast überhaupt keine verdammte Ahnung von mir. Du hältst mich für einen sturen Bauernklotz, für einen rücksichtslosen Ausbeuter, einen Kriminellen. Aber was weißt du denn schon? Du versteckst dich hier ganz allein, säufst dich um den Verstand und hockst dich hin und urteilst über andere Leute, die im kleinen Finger mehr Energie und Zielstrebigkeit verfügen als du in deinem ganzen…«
»Hör auf mit dem Gesäusel, Delagard.«
»Du hast gesagt, ich hab kein Gewissen.«
»Und? Hast du eins?«
»Also, das will ich dir aber doch mal sagen, Lawler: Ich komme mir vor wie die letzte Scheiße, weil ich so was über uns gebracht hab. Ich bin nämlich auch hier geboren, weißt du! Und du brauchst also keineswegs so hochnäsig deinen Rotz von wegen Erste, Alteingesessene Familie über mich zu schnauben. Nicht bei mir! Meine Familie war von Anfang an hier, genau wie deine. Wir — wir Delagards — haben die Insel praktisch gemacht! Und wenn ich jetzt eröffnet bekomme, daß ich wie ein Stück verfaulter Fisch weggeworfen werden soll, daß alle anderen auch wegmüssen…« Wieder veränderte sich seine Stimme. Der Zorn zerschmolz; er sprach auf einmal leiser, eindringlich, beinahe demütig. »Ich möchte nur, daß du weißt, daß ich die volle Verantwortung für meine Handlungen auf mich nehme. Und ich werde folgendes tun…«
»Still!« Lawler unterbrach ihn mit erhobener Hand. »Hörst du den Lärm?«
»Lärm? Was für Lärm? Wo?«