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»Aber sicher mach ich das.«

Es klang nicht überzeugend. Lawler sagte: »Das kannst du halten, wie du willst, Nicko. Aber wenn sich die Entzündung ausbreitet und den Arm runterwandert, werde ich dir vielleicht den ganzen Arm amputieren müssen. Meinst du, du kannst auch mit nur einem Arm richtig weiterarbeiten?«

»Ist ja bloß mein linker, Val.«

»Das kann ja wohl kaum dein Ernst sein.«

»Nein. Natürlich nicht.« Er stöhnte knurrend, als Lawler die Geschwulst erneut berührte. »Also, vielleicht hab ich ja mal einen Tag auf die Medizin vergessen, oder vielleicht auch zwei. Tut mir leid, Val.«

»In einiger Zeit wird es dir noch viel mehr leid tun.«

Und kühl und ohne Zimperlichkeit säuberte Lawler den Infektionsherd, als schnitte er an einem Stück Holz herum. Thalheim blieb bei der Prozedur stumm und bewegte sich nicht.

Als Lawler den Drainagetubus wieder anheftete, sagte Thalheim auf einmaclass="underline" »Wir kennen uns schon sehr lange, Val.«

»Ja, fast vierzig Jahre.«

»Und uns hat es alle beide nicht gedrängt, auf eine andere Insel zu gehen.«

»Ich bin nie auf so einen Gedanken gekommen«, sagte Lawler. »Aber davon mal abgesehen, ich war schließlich hier der Doktor.«

»Genau. Und mir hat es einfach hier gefallen.«

»Ja«, sagte Lawler. Worauf wollte er hinaus?

»Weißt du, Val«, sprach Thalheim weiter. »Ich hab drüber nachgedacht, über diese Geschichte, daß wir hier fort müssen. Es ist mir zuwider. Es macht mich innerlich ganz krank.«

»Ich bin auch nicht begeistert davon, Nicko.«

»Klar. Aber du scheinst dich damit abgefunden zu haben.«

»Was bleibt mir denn anderes übrig?«

»Vielleicht gibt‹ s doch ’ne andere Möglichkeit, Val.«

Lawler schaute ihn an und wartete.

Thalheim fuhr fort: »Ich hab dich bei der Gemeindeversammlung gehört. Was du da gesagt hast, daß es zu nichts führt, wenn wir versuchen, uns gegen die Gillies zu wehren. Ich war da nicht einverstanden mit dir, aber nachdem ich noch mal über alles nachgedacht habe, sah ich, daß du recht hast. Trotzdem überlege ich mir die ganze Zeit, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt, daß ein paar von uns hierbleiben können.«

»Was?«

»Also, wenn zehn, zwölf von uns sich am anderen Ende verstecken, dort wo die Schwestern sich niedergelassen haben. Du, und ich, meine Familie, und die Katzins, die Hains — das wäre ein Dutzend. Und außerdem ’ne recht anständige Gruppe, keine Reibereien, alle mitsammen Freunde. Wir verhalten uns ganz still, gehen den Gillies aus dem Weg, fischen auf der anderen Seite der Insel und versuchen so weiterzuleben wie bisher.«

Der Gedanke war dermaßen absurd, daß er Lawler an einem ungeschützten Punkt traf. Eine verrückte Sekunde lang fühlte er sich tatsächlich in Versuchung. Hierbleiben, trotz allem? Die vertrauten Pfade, die liebe vertraute Bucht nicht aufgeben zu müssen? Und die Gillies kamen nie zum unteren Inselende. Vielleicht merkten sie es gar nicht, wenn ein paar Humaninsulaner zurückblieben…

Doch, nein!

Die Aberwitzigkeit des Plans knallte ihm ins Bewußtsein wie die Faust der Tidenwoge. Die Gillies brauchten gar nicht zur Inselspitze zu gehen, um zu wissen, was dort los war. Sie wußten immer irgendwie, was sich irgendwo auf ihrer Insel tat. Sie würden sie innerhalb von fünf Minuten finden und sie über den rückwärtigen Deich ins Meer werfen, und damit hatte es sich dann. Außerdem, selbst wenn es ein paar Leuten gelingen sollte, der Aufmerksamkeit der Gillies zu entgehen, wie konnte jemand annehmen, sie würden danach genauso weiterleben können, wie sie es gewohnt waren, wo doch der größere Teil der Gemeinde in der Fremde lebte? Nein. Nein, das Ganze war absurd und unmöglich.

»Na, was hältst du davon?« fragte Thalheim.

Nach einer kurzen Pause sagte Lawler: »Vergib mir, Nicko. Aber es ist ebenso hirnrissig wie dieser Vorschlag von Nimber neulich, wir sollten den Gillies eins ihrer Götzenbilder stehlen und es als Sicherheitspfand behalten.«

»Meinst du wirklich?«

»Ja!«

Thalheim schaute stumm zu, wie Lawler ihm die Geschwulst unter dem Arm verband.

Dann sagte er: »Du hast schon immer die Dinge mit einem praktischen Verstand gesehen. Irgendwie kaltblütig, Val, aber praktisch, immer praktisch. Du gehst einfach nicht gern ein Risiko ein, denk ich mir.«

»Nicht wenn die Chancen eine Million zu eins gegen mich sind.«

»Du glaubst, es ist so schlimm?«

»Es kann nicht klappen, Nicko. Auf gar keine Weise. Nun gib es schon zu. Keiner kann die Gillies austricksen. Die Idee ist das reine Gift, sie ist selbstmörderisch.«

»Ja, vielleicht.«

»Nicht vielleicht.«

»Einen Moment lang kam sie mir recht gut vor.«

»Wir hätten nicht die geringste Chance«, sagte Lawler.

»Nein. Nein. Wir hätten wirklich keine Chance, was?«

Thalheim schüttelte den Kopf. »Ich möchte aber wirklich so gern hier auf der Insel bleiben, Val. Ich will von hier nicht weg. Ich würde alles dafür geben, wenn ich bleiben dürfte.«

»Ich auch«, sagte Lawler. »Aber wir ziehen fort. Wir müssen!«

* * *

Sundira Thane kam in seine Sprechstunde, als sie ihren Taubkraut- Tranquilizer ganz aufgebraucht hatte. Ihre energiegeladene lebhafte Persönlichkeit wirkte in dem kleinen Sprechzimmer des Vaargh wie ein Trompetenstoß.

Allerdings hustete sie auch wieder. Und Lawler wußte auch, warum, und es war nicht etwa, weil fremdartige Fungi ihre Lungen befallen hatten. Sie machte einen angespannten, überreizten Eindruck. Und das Leuchten, das ihren Augen diese intensive Lebendigkeit verlieh, war diesmal nicht Ausdruck ihrer inneren Stärke, sondern der Angst.

Lawler füllte den kleinen Vorratskürbis mit einem frischen Vorrat der rosa Tropfen, genug für die Zeit bis zum Tag des Auszugs. Danach, wenn der Husten sie auch auf See noch immer belästigte, konnte sie von seinem Vorrat abbekommen.

Sie sagte: »Eins von diesen verrückten Weibern war grad vorhin im Ort, hast du davon schon gehört? Sie hat allen Leuten erzählt, daß sie uns das Horoskop gestellt hat, und keiner wird die Reise zu der neuen Insel überleben. Nicht ein Mensch, hat sie gesagt. Einige werden auf See zugrundegehen, und die übrigen werden glatt über den Rand der Welt hinaussegeln und im Himmel landen.«

»Das war Schwester Thecla, nehme ich an. Sie behauptet, daß sie das Zweite Gesicht hat.«

»Und? Stimmt es?«

»Sie hat mir mal mein Horoskop gestellt, vor langer Zeit, vor Gründung der Schwesternschaft, als sie sich noch herabließ, mit Männern zu sprechen. Damals sagte sie, ich würde bis in ein reifes hohes Alter ein glückliches erfülltes Leben führen. Und jetzt sagt sie, wir gehen alle zugrunde. Also muß eins von diesen beiden Horoskopen falsch sein, meinst du nicht auch? So, und jetzt mach mal den Mund auf, ich will mir mal deinen Hals und Kehlkopf anschauen.«

»Vielleicht hat aber Schwester Thecla gemeint, daß du zu denen gehörst, die direkt in den Himmel segeln werden?«

»Schwester Thecla ist keine besonders zuverlässige Informationsquelle«, sagte Lawler. »Um es drastisch zu sagen: Schwester Thecla ist eine psychisch ernstlich gestörte Person — Mund auf!«

Er schaute ihr in den Rachen. Er sah dort eine leichte Gewebsreizung, weiter nichts Besonderes, eben was man so als Folge eines gelegentlichen psychosomatischen Hustens erwarten durfte.

»Wenn Delagard wüßte, wie man in den Himmel fährt, der hätte das längst getan«, sagte er. »Er hätte längst einen Pendelverkehr mit Fährschiffen eingerichtet. Und die frommen Schwestern hätte er längst dorthin verfrachtet. Und was deinen Hals angeht, so ist das immer noch das gleiche wie anfangs. Spannungen, nervöser Reizhusten. Versuch eben, dich mehr zu entspannen. Dich beispielsweise von Schwestern fernzuhalten, die dir deine Zukunft weissagen wollen, wäre eine gute Idee.«