»Ich wollte, ich könnte es.«
»Aber du bist doch hier geboren!«
»Na und?«
»Ich versteh nicht…«
»Nun, bin ich ein Gillie? Ein Taucher? Ein Fleischlingsfisch? Die fühlen sich hier zu Hause. Die sind hier zu Hause!«
»Aber du doch auch.«
»Du begreifst noch immer nicht«, sagte Lawler.
»Ich bemühe mich. Ich würde dich gern verstehen.«
Das wäre jetzt der Augenblick, dachte Lawler, um nach ihr zu greifen, sie fest an mich zu ziehen, sie zu streicheln, dies und das zu tun, mit Händen und Lippen… es zu tun. Sie will dich verstehen, sagte er sich. Also gib ihr ihre Chance.
Und dann hörte er Delagards Stimme im Kopf: Außerdem ist sie Kinversons Partnerin, oder? Und wenn die zwei verbandelt sind, und sie erweist sich als nützlich, wozu sollte man sie trennen?
»Ja«, sagte er, und sein Ton war plötzlich abweisend. »Eine Menge Fragen, und kaum Antworten. Ist es nicht immer so?« Und plötzlich wollte er allein sein. Er tippte mit dem Zeigefinger auf den Flakon mit dem Tranquilizer. »Der Vorrat müßte dir für zwei weitere Wochen reichen, genau bis zum Termin unserer Abfahrt. Und wenn der Husten sich nicht wieder bessert, laß es mich wissen.«
Sie reagierte ein wenig bestürzt auf diese brüske Verabschiedung. Dann aber lächelte sie, bedankte sich und ging. Ach, Mist, Mist, Mist! dachte er.
Delagard sagte: »Die Schiffe sind so ziemlich in Schuß, und wir haben noch eine ganze Woche Zeit! Meine Männer haben sich regelrecht die Klöten abgerissen, um das hinzukriegen.«
Lawler stand am Rand der Werft und schaute aufs Wasser hinaus, wo Delagards ›Flotte‹ ankerte, alle Schiffe bis auf eins, das noch im Trockendock hing und dessen Rumpf ausgebessert wurde. Zwei Schiffszimmerer arbeiteten eifrig daran. Und auf den anderen Schiffen waren drei Männer und vier Frauen eifrig mit Hämmern und Hobeln am Werken. »Ich vermute natürlich, daß du das eben nicht wörtlich gemeint hast.«
»Was? Wie? Ach so. Sehr komisch, Doc. Aber hör mal, jeder, der für mich arbeitet, hat Klöten, sogar die Weiber. Ich drück mich halt nun mal so ordinär aus. Oder es ist eben eine meiner kleinen sprachlichen Absonderlichkeiten, was dir lieber ist. Möchtest du dir ansehen, was wir gemacht haben?«
»Ich war noch nie an Bord eines großen Schiffes, stell dir vor. Nur mal so in Fischerbooten, Rutenbooten, weißt du?«
»Es gibt für alles ein erstes Mal. Komm, ich zeig dir das Flaggschiff.«
Sobald er an Bord war, erschien Lawler das Schiff viel kleiner als Delagards Schiffe sonst, wenn sie draußen in der Bucht ankerten. Aber, nun ja, es sah doch einigermaßen geräumig genug aus. Fast wie eine Miniatur-Insel. Lawler spürte das leichte Rollen unter den Sohlen, sogar hier im Flachwasser. Der Kiel war aus demselben gelben zähfesten Kelpholzmaterial gefügt, aus dem auch der Inselgrund gefertigt war, aus langen zähen Fasern, die dicht zusammengepreßt und gebündelt und mit Pech kalfatert waren. Aber die Außenhülle der Schiffsrümpfe hatte eine andere Kalfaterung. Ebenso wie die Inseldeiche eine Deckschicht von lebendem Seefingerkraut überzog, das sich fortwährend selbst ergänzte und neustrukturierte im Anprall des Meeres gegen die Inseleinfassung, genau wie die hölzernen Bohlen des Lagunenbodens durch Schichten von schützenden Algen verstärkt wurden, so umspannten auch dichte grüne Geflechte der Seefinger den Schiffsrumpf bis fast zur Reling herauf. Die stummeligen kleinen blaugrünen Schläuche des Gewächses, die für Lawler stets mehr wie winzige Fläschchen als wie Finger ausgesehen hatten, überzogen den Schiffsrumpf mit einem dichten stachligen Mantel, der sich dicht unter der Wasserlinie in einem dichten wulstigen Geflecht ausstülpte. Das Deck war eine feste Fläche aus irgendeiner leichteren Holzart und sorgsam versiegelt, um das Schiffsinnere trocken zu halten, wenn Bugseen über Bord schwappten. Mittschiffs erhoben sich zwei Masten. Luken auf dem Vorschiff und am Heck führten in geheimnisvolle untere Regionen.
Delagard sagte: »Also, wir haben hauptsächlich die Decks frisch abgedichtet und den Rumpf neu belegt. Wir wollen überall wasserdicht sein. Es ist möglich, daß wir es mit ein paar häßlichen Stürmen zu tun kriegen werden, und mit Sicherheit wird uns da draußen irgendwo die verfluchte Tidenwelle einholen. Auf einem interinsularen Trip könnten wir um Schlechtwettergebiete herumskippern, und wenn es einigermaßen gut läuft für uns, besteht die Hoffnung, daß wir dem Schlimmsten von der Tidenwoge entgehen, aber diesmal wird’s vielleicht nicht ganz so leicht.«
»Ja, aber das soll doch eine Inselfahrt werden«, sagte Lawler.
»Schon, aber vielleicht nicht zwischen den Inseln, wie wir es gern hätten. Manchmal muß der Mensch, besonders bei so einer Reise, eben den langen Umweg nehmen.«
Lawler kam da nicht ganz mit, aber da Delagard nicht näher darauf einging, hakte er nic ht nach. Delagard schleppte ihn durch das ganze Schiff und spulte dabei eine Masse technischer Angaben herunter: Das ist das Kajüthaus, dort das Deckhaus, die Brücke, das Vorschiff und das Achterdeck, das Bugspriet, die Winsch, der Wasserläufer, die Kranbrücke und die Winde. Das da sind Gaffelhaken, da ist der Ruderkasten, das da ist das Kompaßhaus. Drunten haben wir da die Mannschaftsquartiere, den Frachtraum, die Magnetronkammer, den Funkraum, die Schiffszimmerei… und dies… und das… Lawler hörte kaum zu. Die meisten Begriffe sagten ihm sowieso nichts. Was ihm allerdings auffieclass="underline" Alles unter Deck war so unglaublich dichtgedrängt, alles ineinander gequetscht. Er war die Intimität und Abgeschlossenheit seines Vaargh gewöhnt. Aber hier würden sie sich alle gegenseitig in den Unterhosen rumkriechen sehen. Lawler versuchte sich vorzustellen, daß er es auf dem weiten offenen Ozean zwei, drei, ja vier Boot- Wochen lang in diesem überfüllten Boot würde aushalten müssen… und nirgendwo eine Insel in Sicht.
Na, also nicht grad ein Boot, sagte er sich. Ein Schiff! Ein hochseetüchtiges Segelschiff!
»Wie lauten die letzten Bescheide von Salimil?« fragte er, als Delagard ihn endlich aus der beklemmenden Enge des Schiffsbauches nach oben geleitete.
»Dag verhandelt grad jetzt mit denen. Die Ratssitzung sollte eigentlich heute früh stattfinden. Meiner Vermutung nach kommen wir mit Leichtigkeit durch. Die haben dort ’ne Menge Platz. Und mein Sohn Tylie rief mich letzte Woche von Salimil an und sagte mir, daß vier Ratsmitglieder fest für uns und zwei weitere nicht abgeneigt sind.«
»Von wie vielen?«
»Neun.«
»Klingt gut.« Also würden sie wohl nach Salimil gehen. Na schön. Wenn es denn sein mußte. Er beschwor ein Bild von Salimil in sich herauf, wie er es sich vorstellte — natürlich ziemlich genauso wie Sorve, aber irgendwie größer, großartiger, üppiger —, und er malte sich aus, wie er seine medizinische Ausrüstung in einem Vaargh verstaute, den sein Kollege, Dr. Nikitin von Salimil, für ihn bereitgestellt hatte. Mit Nikitin hatte er viele Male über Funk gesprochen. Jetzt fragte er sich, wie der Mann tatsächlich aussehen mochte. Salimil, doch, das konnte angehen. Lawler wollte gern glauben, daß Rylie Delagard wußte, wovon er redete, und daß Salimil sie aufnehmen werde. Dann fiel ihm ein, daß Kendy, der andere Delagard, der auf Velmise lebte, ebenso fest überzeugt gewesen war, daß man dort den Flüchtlingen aus Sorve Asyl gewähren werde.
Sidero Volkin kam an Deck gehumpelt und wandte sich an Delagard. »Dag Tharp ist da. In deinem Büro.«
Delagard grinste. »Da haben wir unsere Antwort. Gehn wir an Land.«
Aber Tharp war bereits unterwegs zum Ufer und kam ihnen entgegen, als sie von Bord kletterten, und sobald Lawler den verdatterten Ausdruck in dem scharfen roten Gesicht des kleinen Funkers sah, wußte er, wie die Antwort aus Salimil ausgefallen war.
»Nun?« fragte Delagard trotzdem.