Выбрать главу

»Sie haben uns abgewiesen. Fünf Stimmen gegen vier. Sie haben nicht genug Wasser, sagen sie. Weil der Sommer so trocken war. Sind allerdings bereit, sechs Personen aufzunehmen.«

»Die Saukerle! Sollen sie in der Hölle braten!«

»Soll ich ihnen das sagen?« fragte Tharp.

»Du sagst denen gar nichts. Mit denen vergeuden wir nicht noch mehr Zeit. Wir schicken ihnen auch nicht die sechs Leute. Entweder alle — oder keiner, wohin wir auch gehen.« Er schaute Lawler ins Gesicht.

»Und was kommt als nächstes?« fragte Lawler. »Shaktan? Kaggeram?« Die Namen der Inseln gingen ihm leicht über die Lippen. Doch er hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden oder wie es dort sein mochte.

»Die werden uns mit dem gleichen Scheiß abspeisen« sagte Delagard.

»Ich könnte es aber trotzdem mit Kaggeram versuchen«, sagte Tharp. »Ich erinnere mich, die sind dort ziemlich honnete Leute. Ich war da mal vor zehn Jahren, als…«

»Scheiß auf Kaggeram«, sagte Delagard. »Die haben dort ebenfalls so ’ne Räteregierung. Die werden eine Woche brauchen, um darüber zu debattieren, dann machen sie ’ne öffentliche Versammlung und ’ne Volksabstimmung und den ganzen Quatsch. Aber wir haben nicht mehr soviel Zeit.« Delagard schien in Gedanken zu versinken. Er wirkte weltenweit weg. Wie jemand, der unter höchster geistiger Anspannung abstruse Berechnungen anstellt. Die Augen hatte er halb geschlossen, die dichten schwarzen Brauen standen eng beisammen. Eine dicke Schale von Schweigen umgab ihn. Schließlich sprach er: »Grayvard…«

»Aber Grayvard liegt acht Wochen weit weg«, warf Lawler ein.

»Grayvard?« Tharp blickte bestürzt drein. »Du willst, daß ich Grayvard anrufe?«

»Nicht du. Ich. Ich spreche selber mit denen, direkt vom Schiff aus.« Wieder schwieg er eine Weile. Und wieder sah er aus, als sei er woanders und stelle im Geiste Berechnungen an. Dann nickte er, anscheinend befriedigt über das Ergebnis, und sagte: »Ich hab Vettern auf Grayvard. Beim Himmel, ich werd schließlich wissen, wie ich mit meinen eignen Gevattern verhandeln muß. Was ich ihnen anbieten muß. Die werden uns aufnehmen. Da könnt ihr verdammt sicher sein. Gar kein Problem! Also — Grayvard!«

Lawler blickte ihm nach, als er wieder dem Schiff zustrebte.

Grayvard? Grayvard?

Er wußte fast nichts darüber; eine Insel am äußeren Rand der Inselgruppe, in der auch Sorve trieb; eine Insel, die fast ebensoviel Zeit in dem angrenzenden Roten Meer verbrachte wie im Mare Nostrum, dem Heimat-Meer. Und es lag so weit entfernt, daß es nur gerade noch einen halbwegs realen Bezug zu Sorve hatte.

In der Schule hatte Lawler gelernt, daß es auf vierzig der Hydros- Inseln Humankolonien gebe. Vielleicht war die offizielle Zahl mittlerweile auf fünfzig oder sechzig gestiegen; er wußte es nicht. Die tatsächliche Gesamtzahl lag wahrscheinlich um etliches höher, denn alle lebten noch immer unter dem bedrückenden Schatten des Massakers auf Shalikomo, das sich zur Zeit der Dritten Generation abgespielt hatte, und wo immer die Humanpopulation auf einer Insel zu stark anwuchs, zogen zehn, zwanzig Personen fort, um sich anderwärts eine neue Existenz aufzubauen. Die Siedler auf diesen neuen Inseln verfügten nicht immer von vornherein über die Mittel, mit dem restlichen Hydros in Funkkontakt zu treten. Darum verlor man leicht den Überblick über die genauen Zahlen. Gut, schätzungsweise achtzig Inseln durfte man inzwischen annehmen, vielleicht hundert, die von Menschen bewohnt waren. Verstreut über einen ganzen Planeten, der angeblich sogar größer sein sollte, als selbst die ERDE einst gewesen war. Die Kommunikation zwischen den Inseln war lückenhaft und außerhalb der eigenen kleinen Eilandgruppe auch schwierig. Verschwommene interinsulare Bündnisse entstanden und lösten sich wieder auf, während die Inseln in ihren Strömungen wanderten.

Einst, vor langer Zeit war das, hatten einige Menschen den Versuch gemacht, sich eine eigene Insel zu erbauen, damit sie nicht beständig unter den Augen von Gillies Nachbarn leben müßten. Sie hatten sich mit der Bauweise vertraut gemacht und die Fasern zu verflechten begonnen, doch bevor sie damit sehr weit gediehen waren, wurde ihre Insel von gewaltigem Seegetier angegriffen und zerstört. Es gab Dutzende Tote. Man nahm allgemein an, die Ungeheuer seien von den Gillies geschickt worden, weil es diesen anscheinend nicht gefiel, daß die Menschen sich ihr eigenes kleines unabhängiges Reich errichten wollten. Danach hatte keiner mehr einen solchen Versuch unternommen.

Aber Grayvard, dachte Lawler. Na ja, dann also.

Eine Insel ist so gut wie die andere, beruhigte er sich.

Irgendwie würde es ihm gelingen, sich anzupassen, wo immer sie landen mochten. Aber würden sie auf Grayvard auch tatsächlich willkommen sein? Ja, würden sie es überhaupt finden können, da draußen irgendwo in der Weite zwischen dem Heimatmeer und der Roten See? Ach, zum Teufel, sollte Delagard sich damit rumschlagen. Wozu sollte er sich plagen? Er hatte darauf sowieso keinen Einfluß.

* * *

Gharkids Stimme, schwach, piepsig, heiser, drang zu Lawler, als er langsam zu seinem Vaargh zurückging.

»Doktor? Herr Doktor?«

Er war schwer beladen und taumelte unter dem Gewicht zweier riesiger tropfender Körbe mit Algen, die er an einem Schulterjoch schleppte. Lawler blieb stehen und wartete auf ihn. Gharkid kam herangewankt, dann ließ er Lawler die Körbe praktisch vor die Füße plumpsen.

Gharkid war ein kleiner drahtiger Kerl, so viel kürzer als Lawler, daß er den Kopf zurücklegen mußte, um ihm ins Gesicht blicken zu können. Er lächelte mit blitzenden weißen Zähnen aus dem dunklen Gesicht. Der Mann hatte was Ernsthaftes und zugleich Gefälliges an sich. Doch die kindliche Einfalt, die fröhliche ländliche Arglosigkeit, die er zur Schau stellte, konnten gelegentlich ein wenig lästig werden.

»Was soll denn das alles?« Lawler besah sich das Pflanzengewirr, das aus den Körben quoll, grüne und rote Tangsträhnen, gelbe mit grellen Purpuradern.

»Für dich, Herr Doktor. Medizin. Wenn wir fortgehen. Zum Mitnehmen.« Gharkid grinste breit. Er schien sehr zufrieden mit sich selber zu sein.

Lawler kniete nieder und stocherte in dem matschigen Gewirr herum. Einige der Wasserpflanzen konnte er identifizieren. Die bläuliche da war schmerzlindernd; die mit den dunklen bandartigen, seitlich abführenden Blättern lieferte das brauchbarere der zwei verfügbaren Antiseptika, und diese da — ja, tatsächlich, das war Taubkraut. Ohne Zweifel, Taubkraut. Der gute alte Gharkid. Lawler blickte auf, und während sich ihre Augen begegneten, blitzte da in Gharkids dunklem Blick etwas auf, das ganz und gar nicht naiv und kindhaft war.

»Um’s mit aufs Schiff zu nehmen«, sagte er, wie wenn Lawler es vorhin nicht begriffen hätte. »Das sind die guten Pflanzen, die für die Medizin. Ich hab mir gedacht, du wirst sie brauchen, einen Extravorrat.«

»Das hast du sehr gut gemacht«, sagte Lawler. »Komm, ich helf dir das rauf zum Vaargh zu tragen.«

Es war eine reiche Ausbeute. Der Mann hatte von allem, das irgendwie medizinisch brauchbar war, etwas gesammelt. Lawler selbst hatte die Sache immer und immer wieder aufgeschoben, und schließlich war Gharkid einfach raus in die Bucht gefahren und hatte den ganzen Arzneibestand aufgestockt. Wahrhaftig, eine gute Arbeit, dachte Lawler. Ganz besonders das Taubkraut. Ihm blieb gerade noch ausreichend Zeit, das alles zu destillieren und fertigzustellen, ehe sie lossegeln mußten, die Pülverchen, Salben, Öle und Tinkturen zu bereiten. Und dann war seine Schiffsapotheke für den langen Trip nach Grayvard recht gut bestückt. Der kannte sich wirklich mit seinen Algen aus, der alte Gharkid. Und wieder einmal fragte sich Lawler, ob der Mann wirklich so einfältig war, wie es den Anschein hatte, oder ob das nur Tarnung war. Gharkid erweckte oft den Eindruck, als sei er eine leere Seele, eine tabula rasa, ein unbeschriebenes Blatt, auf das jeder kritzeln konnte, was er wollte. Doch es mußte mehr in ihm stecken, irgendwo tief drinnen. Aber was?