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»Ich hab ihm bei der Arbeit zugeschaut«, sagte der Priester, als Lawler zu ihm trat. »Wie er den ganzen Seetang sortiert und auf Haufen teilt. Er arbeitet unablässig. Er wirkt so weich und mild, doch irgendwo trägt der Mann tief im Innern eine tiefe Wut mit sich herum. Was weißt du übrigens von ihm?«

»Von Gharkid? Nicht viel. Ein Einzelgänger, spricht nicht viel. Ich habe keine Ahnung, wo er lebte, ehe er vor ein paar Jahren in Sorve auftauchte. Anscheinend interessiert er sich für nichts außer für Algen.«

»Ein rätselhafter Mensch.«

»Ja. Ein Rätsel. Früher dachte ich, er ist vielleicht ein Denker, der weiß-der-Himmel-was für ein philosophisches Problem in der Abgeschiedenheit seines Kopfes zu lösen versucht. Doch inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher, ob in seinem Schädel außer der Kon- templation der verschiedenen Algenarten noch was anderes vor sich geht. Man verwechselt leicht Wortlosigkeit mit Gedankentiefe, aber das weißt du ja. Inzwischen neige ich mehr und mehr zu der Überzeugung, daß der Mann ganz und gar so einfältig ist, wie er es zu sein scheint.«

»Ja, so könnte es sein«, sagte der Priester. »Allerdings würde mich das sehr wundern. Mir ist nämlich noch nie ein wahrhaft einfältiger Mensch begegnet.«

»Meinst du das im Ernst?«

»Du hältst sie vielleicht dafür, aber es stimmt nie. In meiner Arbeit bekommt man hin und wieder die Möglichkeit, in die Seele der Menschen zu schauen, wenn sie einem endlich ihr Vertrauen schenken können, oder wenn sie endlich davon überzeugt sind, daß ein Priester nichts weiter ist als ein Schutzschleier zwischen ihnen und Gott. Und dabei entdeckst du dann, daß sogar die einfachen Seelen keineswegs einfältig sind. Schuldlos vielleicht, aber niemals simpel. Das menschliche Bewußtsein, selbst das minimal entwickelte, ist viel zu komplex, als daß es je simplex sein könnte. Verzeih also, Doktor, wenn ich dir vorschlage, deine erste Gharkid-Hypothese wieder aufzugreifen. Ich bin überzeugt, daß er denkt. Ich bin überzeugt, er ist ein Gottsucher — genau wie wir anderen alle auch.«

Lawler lächelte. An Gott glauben, schön, das war eine Sache, aber Gott suchen, das war doch wohl etwas ganz anderes. Gharkid mochte ja, dachte Lawler, gut und gern auf irgendeiner primitiven, unkritischen Ebene ›gläubig‹ sein. Aber der Gott-Sucher, das war dieser Quillan hier. Es amüsierte Lawler stets aufs neue, wie die Menschen ihre eigenen Sehnsüchte und Nöte auf ihre Umwelt projizierten und sie dabei in den Rang allgemeingültiger Gesetze des Universums erhoben.

Aber wollten sie wirklich alle ›Gott finden‹? Jeder einzelne dieser Sucher? Quillan, ja, doch, der schon. Für ihn bestand da sozusagen ein beruflicher Zwang. Aber Gharkid? Kinverson? Delagard? Und Lawler selbst?

Er schaute Quillan lange eindringlich an. Mittlerweile hatte er gelernt, im Gesicht des Geistlichen zu lesen. Es gab da zwei Ausdrucksmodi. Der eine war sozusagen das aufrichtige, gottesfromme Gesicht. Das andere war kalt, zynisch und gottesleer. Er wechselte von dem einen zum anderen, je nach den seelischen Stürmen, die in ihm toben mochten. Im Augenblick, argwöhnte Lawler, bekam er den frommen, den aufrechten Quillan vorgesetzt.

Er fragte ihn: »Du hältst also auch mich für einen der nach Gott sucht?«

»Selbstverständlich tust du das!«

»Weil ich ein paar Bibelzitate kenne?«

»Weil du meinst, du kannst dein Leben in SEINEM Schatten verbringen, ohne auch nur einen Augenblick die Tatsache SEINER Existenz zu akzeptieren. So etwas ist eine Situation, die automatisch ihr Gegenteil erzeugt. Leugne GOTT, und du bist dazu verurteilt, dein Leben lang nach IHM zu suchen, und sei es nur, um herauszufinden, ob du recht hattest, IHN für nichtexistent zu halten.«

»Und das ist genau deine Situation, Father.«

»Aber gewiß doch!«

Lawler blickte übers Deck zu Gharkid, der geduldig den jüngsten Algenfang sortierte, abgestorbene Stränge wegschnitt und sie über Bord warf. Er sang leise tonlos vor sich hin.

»Und wenn du Gott weder leugnest noch ihn akzeptierst, was dann?« fragte Lawler. »Wärst du dann nicht der wahrhaft Einfältige?«

»Wahrscheinlich, ja. Aber ich müßte einen solchen Menschen erst noch finden.«

»Dann schlage ich vor, du unterhältst dich mal mit unserem Freund Gharkid.«

»Oh, das habe ich bereits getan.«

* * *

Noch immer Fiel kein Regen. Die Fische beschlossen, sich wieder in die Nähe von Kinversons Fanggeräten zu begeben, doch die Himmel blieben unergiebig. Die Fahrt dauerte nun schon die dritte Woche, und die Trinkwasservorräte, die sie aus Sorve mitgenommen hatten, gingen bedenklich zur Neige. Außerdem hatte das Wasser einen dumpfen brackigen Geruch angenommen. Rationierung war ihnen allen zur zweiten Natur geworden, aber die Aussichten, eventuell die ganzen acht Wochen der Reise nach Grayvard mit dem auskommen zu müssen, was sich in den Vorratsbottichen befand, waren bedrückend.

Noch war es nicht so weit, daß sie den Flüssigkeitsbedarf aus den Augen, dem Blut und dem Rückenmark von Seetieren decken mußten — Kinverson hatte von derartigen Überlebenstechniken berichtet —, die er auf langen, einsamen Seereisen ohne Regen angewandt hatte —, und die Lage war noch nicht so verzweifelt, daß man den Apparat hervorholen mußte, mit dem aus Meerwasser Trinkwasser destilliert werden konnte. Das war der letzte Ausweg, aber die Methode war wenig effizient und mühselig, das Trinkwasser sammelte sich nur tropfenweise und reichte auch nur für die Minimalversorgung.

Aber es blieben ihnen einige andere Möglichkeiten. Roher Fisch steckte voller Feuchtigkeit, bei relativ niedrigem Salzgehalt, und so gehörte er inzwischen zu jedermanns täglichem Proviant. Lis Nikiaus wirkte wahre Wunder, wenn sie den Fisch säuberte und in hübsche kleine Appetithappen zurechtschnitt, aber selbst so wurde es mehr und mehr zu einer langweiligen, manchmal sogar widerwärtigen Ernährungsweise. Sich die Haut und die Kleidung mit Seewasser zu benetzen, half auch etwas. Es verminderte die Körperwärme und reduzierte dadurch das innere Flüssigkeitsbedürfnis. Außerdem war es die einzige Möglichkeit, sich zu säubern, da die Wasservorräte an Bord dafür zu knapp und zu kostbar waren.

Aber dann verdunkelte sich unerwartet eines Nachmittags der Himmel, und es fiel ein Wolkenbruch auf sie nieder. »Eimer!« brüllte Delagard. »Flaschen, Fässer, Becher, alles, was ihr habt, raus an Deck!«

Wie von Dämonen gehetzt rannten sie auf und ab und zerrten alles hervor, womit sich Wasser auffangen ließ, bis das ganze Deck übersät war von aller Art Gefäßen. Dann zogen sie sich allesamt aus und tanzten nackend wie die Irren im Regen herum und wuschen die Salzkrusten von den Leibern und aus den Kleidern. Delagard hüpfte auf der Brücke herum, ein untersetzter Satyr mit behaarten üppigen Brüsten. Lis tanzte mit ihm und lachte und schrie und stampfte, die langen gelben Haare klebten ihr auf den Schultern, und die deftigen Kugelbrüste sprangen wie Planeten, die aus der Bahn zu geraten drohten. Der hagere, ausgemergelte Dag Tharp tanzte mit der stämmigen Neyana Golghoz, die kräftig genug aussah, als könnte sie ihn sich mit Leichtigkeit über die Schulter schleudern. Lawler genoß den Regen allein für sich am hinteren Mast, als Pilya Braun vorbeigetanzt kam. Ihre Augen blitzten, die Lippen waren in einem auffordernden Grinsen geöffnet. Die olivdunkle Haut schimmerte wundervoll unter dem Regen. Lawler tanzte ein paar Augenblicke mit ihr und genoß bewundernd den Anblick ihrer kräftigen Schenkel und die vollen Brüste, aber als sie durch ihre Bewegungen andeutete, daß sie mit ihm gern zu einem gemütlichen Plätzchen unter Deck davontanzen würde, tat Lawler, als begreife er nicht, und nach einer Weile gab sie auf.