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Die Clavicula von Nimber Tanamind schien anständig zu verheilen. Lawler mußte nicht noch einmal zur Sorve Goddess hinüberpaddeln, um den Bruch zu überprüfen, da nichts von dem, was Salai, Nimbers Eheweib, ihm über seinen Zustand berichtete, auf Komplikationen hinwies. Er erklärte ihr also nur, wie sie die Verbände wechseln müsse und worauf sie im Umfeld der Fraktur achten solle.

Martin Yanez von der Three Moons rief rüber und sagte, der alte Sweyner, der Glasbläser, sei im Gesicht von einem schnellfliegenden Hexenfisch verletzt worden, und nun sei sein Genick so versteift, daß er den Kopf nicht mehr geradehalten könne. Lawler erklärte Yanez, was er dagegen tun solle. Von der Hydra Cross, dem Schiff der Schwesternschaft, kam eine ungewöhnliche Anfrage: Schwester Boda klagte über stechende Schmerzen in der linken Brust. Es würde wenig Zweck gehabt haben, hinüberzufahren und sie zu untersuchen. Er wußte, daß die Schwestern so etwas nicht erlauben würden. Er schlug als Medikation Schmerzmittel vor und ersuchte, sie möchten ihn nach der nächsten Menstruation der Schwester wieder anrufen. Das war das letzte, was er von der schmerzenden Brust der Schwester Boda hörte.

Auf der Black Sea Star stürzte eine Frau aus der Takelung und renkte sich dabei den Arm aus. Lawler führte Poilin Stayvol über Funk Schritt für Schritt durch den Prozeß der Einrenkung. Jemand auf der Golden Sun erbrach schwarze Galle. Es stellte sich heraus, daß der Mann herumexperimentiert und ›Kaviar‹ gegessen hatte, den Rogen von Pfeilkopffischen. Lawler riet zu einer behutsameren Diät. Auf der Sorve Goddess klagte jemand über immer wiederkehrende Alpträume. Lawler riet zu einem Tröpfchen Schnaps vor dem Zubettgehen. Ansonsten war es für ihn die übliche Routine.

Father Quillan (vielleicht war er neidisch?) bemerkte, es müsse doch wundervoll befriedigend für Lawler sein, dermaßen gebraucht zu werden, von so wesentlicher Bedeutung für das Leben einer ganzen Gemeinschaft zu sein, fähig zu sein, die Leidenden zu heile n, jedenfalls doch meistens, wenn sie sich mit ihren Schmerzen an ihn wandten.

»Befriedigend? Ja, vielleicht. Aber darüber hab ich nie viel nachgedacht. Es ist einfach meine Arbeit.« Und genau dies war es. Dennoch verstand Lawler, daß etwas Wahres in den Worten des Priesters steckte. Der Einfluß, den er auf Sorve ausgeübt hatte, war nahezu göttergleich gewesen, nun ja, also wenigstens dem eines Priesters gleich. Aber was bedeutete es letzen Endes, über fünfundzwanzig Jahre hin der Inseldoktor gewesen zu sein? Daß er früher oder später das Genitalgehänge jedes menschlichen männlichen Sorveaners in der Hand gehabt hatte? Die Hand in der Scheide jeder Frau? Daß nahezu alle unter fünfundzwanzig von ihm ans Tageslicht gezogen worden waren, blutend und strampelnd, und daß er ihnen der ersten Klaps versetzt hatte? Das alles hatte ganz selbstverständlich zu einer ganz natürlichen Bindung geführt: Es verlieh dem Arzt ein gewisses Anspruchsrecht auf die Menschen — und umgekehrt. Kein Wunder, dachte Lawler, daß die Leute überall den Ärzten eine derartige Verehrung erweisen. Für sie ist der Arzt der Heilende, der Heiland, der Wissenskundige, der Wunderwirker. Der sie beschützt, der ihnen Erleichterung verschafft und die Schmerzen dämpft. Und so ist das schon seit den Tagen der Höhlenmenschen, dachte Lawler, damals dort auf der armen beschissenen, dem Untergang geweihten ERDE. Er selbst war nur ein später Spätling in einer langen, sehr langen Reihe. Und — anders als der unselige Father Quillan und andere seinesgleichen, deren undankbare Aufgabe es war, die unsichtbaren Segnungen eines unsichtbaren Gottes zu verbreiten -war er tatsächlich in einer Position, in der er sichtbare und greifbare Wohltaten spenden konnte. Manchmal. Und darum, ja doch, er war dank seiner Berufung in nerhalb der Gemeinschaft eine mächtige und einflußreiche Gestalt, der Mann, in dessen Händen Leben oder Tod liegen konnten, hochgeachtet, unvermeidlich und — vermutete er — wohl auch ein wenig gefürchtet. Und ja, das war wohl irgendwie befriedigend. Schön, also, er genoß es. Aber er sah nicht, was das für einen großen Unterschied machte.

* * *

Sie waren jetzt im Grünen Meer, und hier machte es der dichte Bestand der Kolonien einer bezaubernden Wasserpflanze fast unmöglich, daß die Schiffe vorankamen. Das Gewächs sah aus wie eine Sukkulente mit dicklichen, glatten löffelförmigen Blättern an einem braunem Zentralstamm und einem zentralen Sporophorenstengel, auf dem grelle gelbpurpurne Geschlechtskörper saßen. Luftgefüllte Blasen sorgten für die Schwimmfähigkeit der Pflanzen. Unterhalb der Wasserfläche wanden sich graue Federwurzeln wie Greifarme ineinander und waren zu dunklen Matten verflochten. Dort waren die Pflanzen dermaßen dicht verknüpft, daß sie praktisch einen Teppich über die ganze Meeresfläche bildeten. Und die Schiffe stießen mit dem Bug in dieses Gewirr, verloren Fahrt und kamen schließlich zum Stillstand.

Kinverson und Neyana Golghoz waren mit dem Wassergleiter draußen und versuchten mit Macheten den Algenfilz zu zerteilen.

»Hat keinen Zweck«, sagte Gharkid zu niemandem speziell. »Ich kenne die Pflanzen da, wenn du eine aufschneidest, verwandelt sie sich in fünf neue.«

Gharkid hatte recht. Kinverson hackte aus Leibeskräften los, während Neyana den Gleiter mit tierischer Wut voranbewegte, doch es zeigte sich keine Öffnung. Es war für einen einzelnen Mann, und mochte er noch so stark sein, einfach unmöglich, eine ausreichend breite Schneise in diese Pflanzenmasse zu schneiden, die eine Fahrrinne für die Schiffe ergeben hätte. Die abgehackten Pflanzenteile begannen sofort ein Eigenleben, man konnte beinahe sehen, wie sie nachwuchsen, die Schnittstelle verschlossen, neue Wurzeln trieben, frische schimmernde Löffelblätter und neue Sporenkolben emporreckten.

»Ich will mal in meiner Apotheke nachsehen«, sagte Lawler. »Vielleicht hab ich was, das wir über sie streuen können, das sie nicht mögen.«

Er stieg in den Frachtraum. Er dachte an diese große Flasche mit dem schwarzen viskosen Öl, die ihm vor langer Zeit von seinem Arztkollegen Nikitin von der Insel Salimil als Dank für eine Gefälligkeit gesandt worden war. Angeblich vermochte Dr. Nikitins Öl Feuerblumen abzutöten, eine unangenehm brennende Pflanze, die zuweilen für menschliche Schwimmer problematisch wurde, den Gillies aber überhaupt nichts ausmachte. Lawler hatte nie Anlaß gehabt, das Öl zu verwenden, denn die letzte Feuerblumen-Epidemie in der Bucht von Sorve hatte sich ereignet, als er noch ein junger Mann war. Aber dieses Öl war der einzige Stoff in seiner Sammlung von Drogen, Medizinen, Salben und Tränkle in, das dazu bestimmt war, pflanzliches Leben zu schädigen. Vielleicht erwies es sich als wirksam gegen die Pflanzen, mit denen sie es nun zu tun hatten. Er sah nicht, daß es etwas schaden könnte, den Versuch zu wagen.

Die Gebrauchsanweisung war in winziger, aber säuberlicher Schrift von Dr. Nikitin selbst verfaßt worden und besagte, daß eine Konzentration von einem Teil Öl auf tausend Teile Wasser ausreichen würden, eine Hektarfläche in der Bucht von den Feuerblumen zu befreien. Lawler machte die Mixtur class="underline" 100, und dann ließ er sich höchstpersönlich an den Davits über die See hinaustragen und verspritzte sein Gift vor dem Bug der Queen of Hydros.

Aber das See-Unkraut schien vollkommen unbeeinträchtigt zu bleiben. Als aber dann das verdünnte Öl durch den verwachsenen Pflanzenteppich tiefer hinabsickerte und sich im Wasser verbreitete, setzte unter Wasser eine Bewegung ein, die sich rasch zu einem Brodeln steigerte. Aus den Tiefen kamen Fische zu Tausenden, zu Millionen, kleine alptraumhafte Wesen mit großen klaffenden Mäulern, schmalen schlangenhaften Leibern und breit ausladenden Schwanzenden. Sie mußten in riesiger Zahl dort unter den Pflanzen angesiedelt gewesen sein, und nun stieg die ganze Kolonie wie durch einen einmütigen Entschluß an die Oberfläche. Sie zwängten sich gewaltsam durch die verwucherten Knollen der Treibwurzeln und gaben sich oben einer wilden Paarungsorgie hin. So unwirksam Dr. Nikitas Herbizid-Öl bei den Pflanzenwucherungen war, auf die unter ihnen lebenden Seetiere schien es eine aphrodisiakische Wirkung auszuüben. Das wilde Ge- schlechtsgetümmel einer dermaßen riesigen Zahl dieser kleinen schlängchenhaften Geschöpfen wirbelte die See zu einer derartig starken Turbulenz auf, daß die engverschlungenen Pflanzenteppiche aufgerissen wurden und sich die Schiffe durch die dabei entstehenden Fahrrinnen weiterbewegen konnten. Kurz nacheinander durchquerten alle sechs Schiffe die Zone der Verstopfung und gelangten wieder in die offene See.