Später trat er zu Gharkid und sagte: »Du darfst das nicht ernstnehmen, was Father Quillan da gesagt hat. Es würde mir sehr leid tun, wenn ich sehen müßte, daß du auf diesen unsäglichen Quatsch hereinfällst.«
In Gharkids unerforschlichen Augen blitzte kurz Erstaunen auf.
»Du denkst, ich fall da drauf rein?«
»Es sah mir ganz so aus.«
Gharkid lachte leise in sich hinein. »Ach, der Mann versteht doch nichts«, sagte er und ging davon.
Im späteren Tagesverlauf suchte Father Quillan Lawler auf und sprach ihn pikiert an: »Ich wäre dir dankbar, wenn du davon Abstand nehmen könntest, deine Meinung zu Gesprächsthemen zu äußern, die du heimlich belauschst. Geht das in Ordnung, Doktor?«
Lawler wurde rot im Gesicht. »Was meinst du damit?«
»Du weißt sehr gut, was ich meine.«
»Ah ja, vermutlich.«
»Wenn du zu unserem Dialog etwas beizutragen hast, dann komm und setz dich zu Gharkid und mir und laß es uns hören. Aber schleich dich nicht hinter meinem Rücken an.«
Lawler nickte und sagte: »Es tut mir leid.«
Quillan bedachte ihn mit einem langen frostigen Blick. »Ach, wirklich?«
»Findest du es anständig, deine Glaubensvorstellungen einem derart simplen Gemüt wie Gharkid aufzudrängen?«
»Darüber haben wir uns doch bereits unterhalten. Er ist nicht so einfältig, wie du denkst.«
»Möglich«, gab Lawler zu. »Mir hat er jedenfalls gesagt, daß er von deinen Dogmen nicht sonderlich beeindruckt ist.«
»Das stimmt. Aber wenigstens geht er mit unvernageltem Kopf an diese Dinge heran. Wohingegen du…«
»Schon gut«, sagte Lawler. »Was soll’s, ich bin von Natur aus nicht religiös. Ich kann’s nicht ändern. Also, nur zu, mach einen Katholiken aus Gharkid. Es ist mir wirklich egal. Von mir aus mach einen noch besseren Katholiken aus ihm, als du selber bist. Das dürfte ja nicht schwer sein. Wozu sollte ich mir darüber überhaupt Gedanken machen? Ich sagte bereits, daß es mir leid tut, daß ich mich dazu geäußert habe. Es tut mir leid. Also, nimmst du meine Entschuldigung an?«
»Ja, gewiß.« Die Antwort kam nach einigem Zögern.
Doch danach herrschte zwischen den beiden Männern eine Zeitlang eine gewisse Gespanntheit. Lawler hielt sich demonstrativ abseits, wann immer er den Priester und Gharkid zusammen sah. Aber es war klar zu sehen, daß auch Gharkid nicht mehr Sinn in diesen Lehren zu finden vermochte als Lawler, und nach einiger Zeit fanden die Zwiegespräche mit dem Priester ein Ende. Und das bereitete Lawler mehr Vergnügen, als er sich hätte vorstellen können.
Es kam eine Insel in Sicht, die erste auf der ganzen langen Reise, es sei denn, man zählte jene mit, welche die Gillies gerade zu bauen begonnen hatten. Dag Tharp rief sie über Funk, doch es kam keine Antwort.
»Sind die bloß ungesellig«, sagte Lawler zu Delagard, »oder ist es eine reine Gillie-Insel?«
»Bloß Gillies«, sagte Delagard. »Kein Menschenschwanz dort, bloß verdammte Kiemlinge. Glaub mir. Das ist keine von unseren Inseln.«
Drei Tage darauf sichteten sie eine weitere mondsichelförmige Insel, die wie ein schlafendes Tier am nördlichen Horizont lagerte. Lawler borgte sich vom Rudergänger das Spähglas aus und glaubte dann, er könne an der Ostseite Spuren menschlicher Behausungen ausmachen. Tharp raste hinunter in die Funkkabine, doch Delagard beorderte ihn zurück und sagte, er solle sich die Mühe sparen.
»Ist das auch eine Gillie-Insel?« fragte Lawler.
»Diesmal nicht. Aber es hat keinen Zweck, mit denen Kontakt aufzunehmen. Wir werden sie nicht besuchen.«
»Aber vielleicht lassen sie uns unseren Wasservorrat auffüllen. Wir sind verdammt knapp, fast am Ende.«
»Nein!« beschied ihn Delagard. »Das ist Thetopal da draußen. Meine Schiffe haben keine Landegenehmigung dort. Meine Beziehungen zu den Thetopali sind ganz und gar nicht gut. Die würden uns nicht mal einen Eimer voll abgestandener Pisse abgeben.«
»Thetopal?« Onyos Felk schaute verwirrt drein. »Bist du sicher?«
»Na sicher bin ich sicher. Was sollte es denn sonst sein? Das da drüben ist Thetopal.«
»Thetopal«, wiederholte Felk. »Also schön, dann isses eben Thetopal. Wenn du es sagst, Nid.«
Jenseits von Thetopal tauchten keine Inseln mehr in der See auf. Nichts als Wasser war ringsum zu sehen. Es war, als führen sie durch ein leeres Universum.
Lawlers Berechnungen nach mußten sie etwa die halbe Strecke bis Grayvard bewältigt haben, allerdings war das nur eine Schätzung. Mit Sicherheit war nur zu sagen, daß sie mindestens seit vier Wochen auf See waren; aber die Abgeschlossenheit an Bord und die unabänderlich gleichen täglichen Routineaufgaben machten es ihm schwer, ein irgendwie exakteres Gefühl für den Ablauf von Zeit zu entwickeln.
Seit drei Tagen harkte ohne Unterbrechung ein scharfer kalter Wind aus dem Norden auf die Flottille ein und wirbelte ringsum die See zu wütendem Tosen auf. Die erste Sturmwarnung war eine abrupte Veränderung der Atmosphäre, die in der Korallenriff-Region weich und beinahe tropisch-warm gewesen war. Nun plötzlich wurde die Luft sehr klar und straff, so daß sich das Firmament hoch und zitternd und fahl über den Schiffen wölbte wie eine riesige Metallkuppel. Lawler, der stets ein Amateur-Meteorologe gewesen war, fühlte sich davon beunruhigt. Er unterbreitete Delagard seine Ängste, der sie durchaus ernstnahm und den Befehl gab, die Schiffe zu verschalken. Wenig später erklang in der Ferne ein trommelndes Grollen, das die ersten scharfen Windstöße ankündigte, ein länger andauerndes dunkles Dröhnen, und dann kamen die Sturmböen selbst heran, rasche, nervöse, nur kurz dauernde Schwalle eisiger Luft, die über die See leckten und bissen und stießen, als rührten sie die Wasser mit einem Stößel um. Und mit ihnen kamen verstreute kleinere Salven von Hagel, aber kein Regen.
»Es wird noch schlimmer«, brummte Delagard. Er blieb beständig an Deck, als das Wetter sich verschlechterte, und schlief kaum ein paar Stunden. Father Quillan hielt sich viel in seiner Nähe auf, und dann standen die beiden da wie zwei alte Intimfreunde und spähten in den Wind. Lawler sah, wie sie miteinander redeten, mit den Händen deuteten, den Kopf schüttelten. Was hatten diese beiden einander eigentlich zu sagen? Dieser grobschlächtige, vulgäre Kloß mit seinen ordinären Leibeswonnen und der hagere enthaltsame von Gott gepeitschte priesterliche Melancholiker? Jedenfalls standen sie da beisammen im Ruderhaus, zusammen im Kompaßhaus, zusammen auf dem Achterdeck. Versuchte Quillan inzwischen, Delagard zu bekehren? Oder versuchten die beiden, gemeinsam den Sturm durch Beten abzulenken?