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Was immer zwischen Kinverson und Sundira vor sich ging, es schien keineswegs auszuschließen, was immer sich zwischen Sundira und Lawler an Beziehung zu entwickeln begann. Lawler war unfähig, diese Mehrfachbeziehungen zu verstehen; allerdings war er auch erfahren genug in derartigen Sachen, um zu wissen, daß die sicherste Methode, eine solche Beziehung zu ersticken, darin bestand, sie zu begreifen. Nein, er würde einfach annehmen müssen, was kam.
Eines wurde recht rasch deutlich: Kinverson bekümmerte es überhaupt nicht, daß Sundira sich mit Lawler eingelassen hatte. Anscheinend war ihm Besitzdenken im Sexualbereich unbekannt. Anscheinend war Sex für ihn etwas ebenso Natürliches wie Atmen, und er tat es, ohne weiter darüber nachzudenken. Mit jedem bereitwilligen Partner, sobald sein Körper danach verlangte, als Erfüllung eines reinen natürlichen Bedürfnisses, ein mechanischer, automatischer Vorgang. Und offenbar glaubte er, daß auch alle anderen so darüber dachten.
Als Kinverson sich am Arm verletzte und damit zu Lawler kam, damit der die Wunde säuberte und verbände, fragte er während der Behandlung: »Also du bumst jetzt auch mit Sundira, Doc?«
Lawler zurrte die Bandage fest.
»Ich sehe nicht ein, warum ich dir darauf eine Antwort geben müßte. Es geht dich ganz und gar nichts an.«
»Stimmt. Aber natürlich treibst du’s mit ihr. Sie ist eine prima Frau. Zu scharf für mich, im Kopf, meine ich, aber das stört mich nicht. Und es stört mich auch nicht, was ihr zwei beide mitsammen macht.«
»Äußerst freundlich von dir«, sagte Lawler.
»Aber natürlich hoffe ich, das gilt auch umgekehrt.«
»Was meinst du damit?«
»Ich meine, daß da zwischen Sundira und mir durchaus noch was weiterläuft«, sagte Kinverson. »Hoffentlich verstehst du das.«
Lawler starrte ihn an. »Sie ist eine reife, erwachsene Frau. Sie kann tun, was sie will, und wann sie will und mit wem sie will.«
»Fein. Es ist ziemlich eng auf so ’nem Schiff. Und wir wollen hier doch keinen Ärger — wegen einem Weib.«
In wachsender Gereiztheit sagte Lawler: »Du tust, was du willst, und ich tu, was ich will, und reden wir nicht mehr davon. So wie du von ihr sprichst, klingt das, als wäre sie ein Teil der Schiffsausrüstung, und wir beide wollten sie benutzen.«
»Hm, ja«, sagte Kinverson. »Aber doch ein verdammt gutes Stück Ausrüstung.«
Nicht lange danach wanderte Lawler in die Kombüse und stieß dort auf Kinverson und Lis Nikiaus, und die beiden kicherten und begrapschten und würgten sich und grunzten wie Gillies in der Brunft. Lis blinzelte und gluckste ihm rauh über Kinversons Schulter zu: »Hallo, Doc!« Es klang, als wäre sie stark betrunken. Lawler sah sie betroffen an und verzog sich eilends.
Die Kombüse war eigentlich alles andere als ein Ort für Intimitäten; aber anscheinend machte sich Kinverson weiter keine großen Sorgen, daß Sundira oder gar Delagard entdecken könnte, er habe auch was mit Lis. Immerhin, dachte Lawler, Kinverson beweist einen stetigen Charakter, es kümmert ihn nicht, und nichts kümmert ihn. Und keiner.
In der Woche nach dem Sturm fanden Lawler und Sundira mehrmals Gelegenheit, sich im Frachtdeck zu treffen. Sein Körper, dessen Feuer so lange geschlummert hatten, lernte sehr schnell wieder, was Leidenschaft war. Aber von Sundira schlug ihm keine Leidenschaft entgegen, jedenfalls spürte er sie nicht — es sei denn rasches, gekonntes, begeistertes, doch beinahe unpersönliches körperliches Lustempfinden wäre so etwas wie Leidenschaft. Lawler fand das nicht. Früher, als er noch jünger war, vielleicht, aber jetzt nicht mehr.
Sie sprachen nie miteinander, während sie sich körperlich liebten, und wenn sie danach beisammen lagen, um wieder in die Wirklichkeit zurückzufinden, schien es fast, als hätten sie eine Abmachung getroffen, ihr Gespräch auf harmlose Gemeinplätze zu beschränken. Diese neue Verkehrsordnung trat sehr rasch in Kraft. Lawler fügte sich ihrem Diktat, wie er es von Beginn an getan hatte: Sundira genoß offensichtlich, was da mit ihnen beiden geschah, doch ebenso deutlich schien sie eine Vertiefung der Transaktion nicht zu wünschen. Wann immer sie sich auf Deck begegneten, sprachen sie stets in einem oberflächlichen, beiläufigen Plauderton miteinander — glatt, höflich und nichtssagend. Er sagte nicht ein einziges Mal zu ihr: »Sundira, ich habe seit ungezählten Jahren für keinen Menschen das empfunden, was ich für dich fühle.« Und sie sagte niemals: »Ich kann es kaum erwarten bis zum nächstenmal, Val, daß wir uns da drunten wieder treffen.« Und er sagte nie: »Wir sind was ganz besonderes, wir zwei, von derselben Art, und wir passen wirklich nicht zu den anderen.« Und sie sagte niemals: »Der Grund, warum ich von Insel zu Insel wandere, ist der, daß ich immer nach etwas mehr gesucht habe, wo immer ich auch war.«
Anstatt daß er sie nun besser kennenlernte, seit sie eine Liebesaffäre hatten, mußte er erkennen, daß sie ihm immer ferner rückte und ungreifbarer wurde. Damit hatte er nicht gerechnet. Er wünschte sich — mehr. Doch er sah nicht, wie es dazu kommen sollte, es sei denn, sie würde es so wollen.
Aber sie schien es darauf abgesehen zu haben, ihn sozusagen auf Distanz zu halten, von ihm nicht mehr zu fordern als eben das, was sie sowieso bereits von Kinverson bekam. Wenn Lawler sie nicht gründlich mißverstand, dann wollte sie Intimität nicht in einer anderen Dimension als dieser rein körperlichen. Lawler hatte noch nie eine Frau wie sie getroffen, die dermaßen desinteressiert an Dauer, Stabilität, weiterführender Vereinigung der Seelen gewesen wäre, eine Frau, die allem Anschein nach alles, was sich in ihrem Leben ereignete, hinnahm und annahm, wie es kam, und die sich nie darüber Sorgen machte, wie sie es mit dem Vergangenen verbinden sollte, noch mit einer potentiellen Zukunft. Und dann fiel Lawler ein, daß er sehr wohl jemanden kannte, der genauso war.
Der Lawler aus den verschwundenen Tagen auf der Insel Sorve, vor langer Zeit, der seine Geliebten nahm und fallenließ und zu anderen wechselte, ohne über die Lust und Freude des Augenblicks hinauszudenken. Aber jetzt war er doch ein anderer geworden. Jedenfalls hoffte er es.
In der Nacht hörte Lawler gedämpftes Geschrei und Poltern aus der Nebenkabine. Delagard und Lis stritten sich. Es war nicht das erste Mal, doch klang es diesmal lauter und erregter als sonst.
Als Lawler dann verfrüht am Morgen in die Kombüse zum Frühstück kam, hockte Lis mit abgewandtem Gesicht an ihrem Herd. Von der Seite sah ihr Gesicht geschwollen aus, und als sie sich ihm zuwandte, sah er eine gelbliche Schwellung auf dem Wangenknochen und eine zweite um das Auge. Eine Lippe war aufgeplatzt und dick geschwollen.
»Soll ich dir was dafür geben?« fragte er.
»Ich werd’s überleben.«
»Ich hab heut nacht Geräusche gehört…«
»Ich bin aus meiner Koje gefallen, weiter nichts.«
»Und bist zehn Minuten lang durch die Kabine getaumelt und hast gebrüllt und geflucht? Und als Nid dich aufhob, fand er es ebenfalls nötig, zu brüllen und zu fluchen? Gib’s auf, Lis.«
Sie starrte ihn kalt und mürrisch an. Es sah aus, als werde sie gleich losweinen. Nie zuvor hatte er diese stabile, diese spottlustige Frau so knapp vor einem Zusammenbruch gesehen.
Ruhig sagte er: »Das Frühstück kann ein bißchen warten. Ich könnte die Platzwunde säubern und dir was geben, um die Schmerzen aus den Prellungen zu vertreiben.«