»Das könntest du trotzdem, Doc. Es wird nämlich das eine große Abenteuer in unser aller Leben sein.«
»Ach, wirklich?«
»Als Jolly zurückkam, war ich vierzehn«, sprach Delagard weiter. »Und ich habe genau zugehört, was er uns erzählt hat. Ganz, ganz genau. Vielleicht war er ja verrückt, aber mir kam das nicht so vor, jedenfalls anfangs nicht. Und ich glaubte ihm aufs Wort… Eine ausgedehnte, fruchtbare reiche und unbewohnte Insel… die nur darauf wartete, von uns in Besitz genommen zu werden… und keine stinkigen Gillies weit und breit, die uns in die Quere kommen könnten! Für mich klingt das wie das Paradies. Ein Land, in dem Milch und Honig fließen. Ein Wunderland. Du möchtest doch auch unsere Gemeinschaft beisammenhalten, ja? Also — warum sollten wir uns dann mit einem eklig engen Fleckchen, das sonst keiner haben will, auf der Insel von irgendwem sonst zufriedengeben und wie Bettler von der mildtätigen Duldung dieser Leute leben? Was für eine bessere Möglichkeit gäbe es denn für mich, unsere Leute zu entschädigen, für den Schaden, den ich ihnen zugefügt habe, als daß ich sie wegbringe, um den Globus herum, damit sie in einem Paradies leben können?«
Lawler starrte ihn sprachlos an.
»Nid, du hast völlig den Verstand verloren!«
»Nein, das glaub ich nicht. Das Land liegt da irgendwo in Reichweite für den, der’s nimmt, und wir können es uns nehmen. Die Gillies sind dermaßen voller abergläubischen Vorstellungen darüber, daß sie da nie hinziehen würden. Na schön, aber wir können es. Und wir können es besiedeln, darauf bauen, es gestalten. Wir können es so gestalten, daß es uns das gibt, was wir am meisten ersehnen.«
»Und was wäre das, das wir am meisten ersehnen?« soufflierte Lawler in einem Gefühl, als hätte er sich leicht von dem Planeten gelöst und in die Luft erhoben und sei darin in die Schwärze des Weltraums geschwebt.
»Macht«, sagte Delagard. »Die Kontrolle. Wir wollen dieses Land beherrschen. Wir haben lang genug auf Hydros gelebt wie klägliche erbarmungswürdige Flüchtige und Asylanten. Es ist höchste Zeit, daß wir das ändern und dafür sorgen, daß die Gillies uns in den Arsch kriechen müssen. Ich möchte dort eine Siedlung aufbauen, die zwanzigmal größer ist als jede existierende Gillie -Insel — ach was, fünfzigmal größer! — und eine richtige Kommune auf die Beine stellen, fünftausend, zehntausend Menschen, und einen Raumflughafen errichten und Handelsbeziehungen zu anderen von Menschen bewohnten Planeten in dieser beschissenen Galaxie, und ich will, daß wir endlich anfangen können, wie richtige Menschen zu leben, anstatt als elende Seegrasfresser auf gut Glück durch den Ozean zu driften, wie wir das seit hundertfünfzig Jahren tun.«
»Und dabei bleibst du so ruhig, deine Stimme klingt so vernünftig…«
»Ach, du denkst, ich bin verrückt?«
»Möglich. Vielleicht auch nicht. Was ich allerdings wirklich glaube, das ist, daß du ein monströser egozentrischer Hundesohn bist. Uns alle als Geiseln zu nehmen, für deine absurde Wunschvorstellung. Du hättest einen Teil von uns auf fünf, sechs verschiedenen Inseln aussteigen lassen können, wenn Grayvard uns nicht alle aufnehmen wollte.«
»Du selbst hast gesagt, daß du das nicht willst. Weißt du nicht mehr?«
»Aber ist das hier besser? Daß du uns hier ins Nichts mitschleppst? Unser aller Leben aufs Spiel setzt, nur weil du einem Märchen nachjagen willst?«
»Doch, es ist besser!«
»Du Mistkerl. Du vernagelter, hirnverbrannter Scheißkerl! Ja, du bist wirklich verrückt!«
»Nein, das bin ich nicht«, sagte Delagard. »Ich habe jahrelang an diesem Plan gearbeitet. Mein halbes Leben lang denke ich darüber nach. Ich hab Jolly immer wieder ausgequetscht, und ich bin vollkommen sicher, daß er diese Reise gemacht hat, wie er behauptete, und daß die Fläche genau das ist, was er darüber sagte. Jahrelang hab ich geplant, eine Expedition dorthin zu entsenden. Gospo wußte Bescheid. Er und ich, wir wollten zusammen dorthin fahren, in fünf Jahren so ungefähr. Und dann boten mir die Gillies den perfekten Anlaß, als sie uns so einfach von Sorve vertrieben; und die anderen Inseln wollten uns nicht alle aufnehmen, also dachte ich mir, jetzt ist der Augenblick, hier ist deine Chance… Ergreif sie, Nid! Und das hab ich getan.«
»Also hattest du das alles schon so vor, als wir aus Sorve aufbrachen.«
»Ja.«
»Und du hast nicht einmal deine Schiffskapitäne davon in Kenntnis gesetzt.«
»Nur Gospo.«
»Und der hielt das für eine superschlaue Idee.«
»Genau«, sagte Delagard. »Er hielt die ganze Zeit zu mir. Und auch Father Quillan steht fest zu mir, seit ich ihn eingeweiht habe. Er gibt mir vollkommen recht.«
»Aber sicher tut er das. Je fremder, desto besser: Je weiter weg von der Zivilisation entfernt er sich verstecken kann, desto lieber ist es ihm. Die Fläche ist für ihn das Gelobte Land. Und wenn wir hinkommen, kann dieser hirnverbrannte Fanatiker in diesem deinem Land voll Milch und Honig seine Kirche aufbauen, und er ist der Hohepriester, Archemandrit, Kardinal, Papst — oder wie er sich sonst zu nennen beliebt — und du baust dir gleichzeitig dein Imperium auf, wie, Nid? Und alle sind glücklich und zufrieden.«
»Ja. Du hast es genau erfaßt.«
»Also ist alles nach Plan und fest im Griff. In deinem. Und da sind wir jetzt, am Rand des Leeren Meeres, und wir fahren von Minute zu Minute immer tiefer hinein.«
»Es paßt dir nicht, Doc? Willst du das Schiff verlassen? Schön, ich hindere dich nicht. Geh. Wir fahren weiter, ob es dir paßt oder nicht.«
»Und deine Kapitäne? Glaubst du wirklich, die bleiben bei dir, sobald sie das wahre Ziel kennen?«
»Wetten, daß? Sie fahren, wohin ich es ihnen befehle. Das haben sie immer getan, und das werden sie weiter so machen. Möglich, daß die Schwestern ausscheren, wenn sie irgendwie rausfinden, wohin es geht, aber das kann mir nur recht sein. Wozu taugen sie schließlich schon, diese verrückten Schnepfen? Sie würden uns sowieso nur Schwierigkeiten machen, wenn wir am Zie l sind. Aber Stayvol, der segelt überall hin, wohin ich ihn beordere. Und Bamber und Martin ebenfalls. Und der arme Arsch Damis hätte das auch gemacht. Direkt weiter bis zum Ziel, und keine Fragen. Und wir werden hinkommen, und wir werden die verdammt größte und reichste Stadt bauen, die Hydros je gesehen hat, und werden dort in Glück und Wohlstand auf ewig leben. Ich garantiere es dir, es wird so sein! Magst du noch einen Schluck, Doc? Aber ja doch, ich glaub, du hast ihn nötig. Nimm dir einen steifen Dreimaster. Du siehst wirklich aus, als ob du ihn brauchst.«
Father Quillan stand an der Bordwand und starrte wie in Ekstase auf die Leere hinaus, die hier sogar noch leerer wirkte als der endlose Strang von Wasser, den sie inzwischen bereits hinter sich gela ssen hatten. Er schien sich gerade in einer seiner spirituellen Hochphasen zu befinden. Das Gesicht war gerötet, die Augen glühten. »Ja«, sagte er, »ich habe Delagard zu dieser Reise geraten. Zu der Fläche über den Wassern.«
»Und wann war das? Als wir noch auf Sorve lebten?«
»Aber nein. Auf See. Kurz nachdem Gospo Struvin getötet wurde. Der Tod von Gospo traf Delagard tief, mußt du wissen. Er kam zu mir und sagte, ›Father, ich bin kein religiöser Mensch, aber ich muß mit jemandem sprechen, und du bist der einzige hier, dem ich trauen kann. Vielleicht kannst du mir helfen.‹ Das waren seine Worte. Und dann erzählte er mir von dieser Fläche über den Wassern. Was das sei und warum er dorthin segeln wollte. Und über den Plan, den er mit Gospo ersonnen hatte. Und er wußte nicht, was er tun sollte, nun, da Gospo nicht mehr war. Er wollte immer noch unbedingt dorthin, aber er war sich nicht sicher, daß er es schaffen würde. Wir sprachen lange über diesen Begriff — Fläche, Gesicht, Antlitz, Festes über den Wassern — und er erklärte mir alles ausführlich, so wie er es von einem alten Seemann vor langer Zeit gehört hatte. Und nachdem ich die ganze Geschichte gehört hatte, drängte ich ihn, seinen Plan weiter durchzuführen, selbst ohne die Hilfe Gospos. Ich erkannte die Bedeutung seines Unterfangens, und ich sagte zu ihm, daß er der einzige Mensch auf diesem Planeten sei, der dabei überhaupt eine Aussicht auf Erfolg hatte. Nichts darf dir im Weg sein, sagte ich zu ihm. Zieh weiter, sagte ich, und führe uns in dieses Paradie s, zu dieser unverderbten, jungfräulichen Insel, auf daß wir einen Neuen Anfang setzen können. Und er wendete sein Schiff und steuerte gen Süden.«