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»Himmel«, flüsterte Lawler tonlos. So warm es in der dumpfen kleinen Kabine war, er spürte, wie ein Frösteln seine Beine heraufkroch. Auch seine Finger waren kalt und zuckten. Er wandte sich um und holte die Taubkrautflasche vom Bord. Dann goß er sich ein Schlückchen davon in einen Meßbecher. Er blickte Sundira fragend an, doch sie schüttelte den Kopf. »Heiß und wild und stark«, sagte er. »Eine atomare Kernreaktion.«

»Aber du mußt verstehen, daß dies nicht ihre Vorstellung war. Es ist meine Interpretation, gestützt auf ihre unbestimmten und zweifellos metaphorischen Ausdrücke. Du weißt ja, wie kompliziert es ist zu begreifen, was die Sassen zu uns sagen.«

»Ich weiß es.«

»Doch ich begann mich damals zu fragen, während sie mit mir darüber sprach, ob nicht vielleicht vor langer Zeit dort ein Experiment der Sassen durchgeführt worden sein könnte, eine Art Kernkraftwerk- Projekt, das außer Kontrolle geriet. Irgend etwas in dieser Richtung. Natürlich ist das eine bloße Vermutung, klar? Aber aus der ganzen Art, wie sie darüber redete, erkannte ich, wie beunruhigt sie war, und sie blockte immer wieder ab, wenn ich ihr zu viele Fragen stellte, aber anscheinend glaubt sie, daß an diesem Ort etwas existiert, das man tunlichst meiden sollte. Etwas, über das sie nicht einmal nachdenken und schon gar nicht sprechen will.«

»Mist, verfluchter Mist!« Lawler schüttete die ganze Dosis Taubkrautextrakt in einem Zug hinunter und verspürte sofort die beruhigende Wirkung. »Eine atomar verseuchte Wüste. Eine unentwegt weiterlaufende atomare Kettenreaktion. Das paßt nicht besonders gut zu dem, was mir Delagard gesagt hat. Oder dieser Father Quillan.«

»Du hast mit denen darüber gesprochen? Warum? Wieso ist auf einmal dieses große Interesse an diesem Globusbereich?«

»Im Augenblick ist das Thema Nummer Eins.«

»Val, möchtest du vielleicht mich liebenswürdigerweise informieren, was da los ist?«

Er zögerte, aber nur kurz, dann sagte er ruhig: »Seit Tagen segeln wir nicht mehr auf dem Kurs nach Grayvard. Wir liegen derzeit südlich vom Äquator und fahren gemütlich immer tiefer in das Leere Meer hinein.« Sie schaute ihn bestürzt an. Und er sprach unerbittlich weiter: »Und unser Ziel ist dieses ›Antlitz über dem Wasser‹.«

»Du sagst das, als meinst du das wirklich im Ernst.«

»Das tu ich.«

Sie wich von ihm zurück. Es war eine reflexhafte zuckende Ausweichbewegung, als hätte er die Hand erhoben, um sie zu schlagen.

»Und — das hat Delagard angerichtet?«

»Genau. Er hat es mir selbst gesagt. Noch keine halbe Stunde ist das her. Ich hatte ihm ein paar Fragen über den Kurs gestellt, den wir jetzt segeln.« Dann gab er ihr eine rasche Zusammenfassung: Jollys Seefahrergarn, Delagards Traum, in jenem fernen Land eine Stadt zu gründen und dadurch Macht über den ganzen Planeten zu erringen, über die Ur-Sassen und alle anderen, sein Plan, einen Raumflughafen zu errichten, und so irgendwann Hydros in den Interstellarhandel einzuklinken.

»Und Father Quillan? Wie paßt der da rein?«

»Er predigt Delagard und peitscht ihn voran. Er ist zu der Überzeugung gelangt — und frag mich nicht, wie —, daß diese feste Fläche dort irgendwie so eine Art Paradies ist und daß Gott — also sein Gott, nach dem er sein ganzes Leben lang vergeblich gesucht hat — genau dort sein Hauptquartier aufschlägt, wenn er grad mal in dieser Gegend weilt. Also brennt er darauf, daß Delagard ihn dorthin bringt, damit er endlich mal seinem Gott die Hand schütteln und Guten Tag sagen kann.«

Sundira sah ihn mit dem bestürzten Blick einer Frau an, der soeben bewußt geworden ist, daß sich an der Innenseite ihres Schenkels ein Reptilchen nach oben schlängelt.

»Ja, sind die beiden denn wahnsinnig? Was meinst du?«

»Jeder, der davon redet, daß er beschlossen hat, die politische Kontrolle oder die Macht zu übernehmen, erscheint mir einfach als verrückt«, sagte Lawler. »Und ebenso geht es mir mit Leuten, die sich darauf kapriziert haben, ›Gott zu finden‹. Für mich sind das einfach aberwitzige Wahnideen. Und wer widersinnigen Ideen nachhängt, der ist nach meiner diagnostischen und Begriffsdefinition paranoid, also leidlich verrückt. Leider hat einer von den beiden das Kommando über unseren Konvoi.«

* * *

Es dunkelte bereits, als Lawler aufs Hauptdeck zurückkehrte. Die Tagwache kletterte in der Takelung herum und zog unter Onyos Felks Anweisungen Segel ein. Es wehte ein frischer nördlicher Wind, ziemlich steif und kräftig bereits, und er sah so aus, als werde er im nächsten Augenblick sich zu einem Sturm auswachsen. Es drohte ihnen ein Orkan, der in wirbelnden Wolkenmassen von Süd heraufzog. Lawler sah weit in der Ferne Sturzbäche von Wasser niederregnen, während der Wind die See zu weißem Schaum aufwirbelte. Wetterleuchten zitterte über den Himmel, ein ungewohnter, ein seltener Anblick, dann ein schreckeinflößender gelber Gabelblitz, und fast sofort darauf das schwere Grollen des Donners.

»Eimer! Behälter! Da kommt Wasser!« brüllte Delagard.

»Ja — genug Wasser, um uns alle zu ersäufen«, knurrte Dag Tharp halblaut vor sich hin, als er an Lawler vorbei das Deck entlangtrottete.

»Dag, wart mal!«

Der Funker wandte sich um. »Was issen, Doc?«

»Wir zwei müssen die anderen Schiffe anrufen, sobald dieser Sturm vorbei ist. Ich hab mit Delagard gesprochen. Der führt uns genau zu dem Festen über dem Wasser, Dag.«

»Du machst wohl Witze!«

»Ich wollte, es wär so.« Lawler spähte zu den rasch dahinfliegenden Wolken empor. Der Himmel hatte eine unheimliche metallene Färbung angenommen, trübgrau, und vom Rand der großen schwarzen Gewitterwolke, die nun genau südlich von den Schiffen hing, fuhren kleine züngelnde Blitze. Das Meer nahm mehr und mehr das wilde Aussehen an, das es während des Dreitagesturms gehabt hatte. »Hör zu, wir haben jetzt keine Zeit, darüber zu reden. Aber Delagard hat sich ein ganzes Floß voll närrischer Begründungen zurechtgezimmert für seine Entscheidung. Und wir müssen ihm Einhalt gebieten.«

»Und wie sollen wir das machen?« fragte Tharp. Mit peitschender Wildheit schob sich an Steuerbord eine große Woge heran.

»Wir müssen mit den anderen Käptns sprechen. Eine Art Generalversammlung veranstalten. Allen auf allen Schiffen erklären, was vorgeht. Eine Abstimmung durchführen, nötigenfalls Delagard absetzen, irgendwie.« Er sah den Plan klar vor sich: Eine Volksversammlung aller Sorveser, die Aufdeckung der phantastischen Wahrheit über ihr Ziel, die leidenschaftliche Anklage gegen den Schiffseigner wegen seines krankhaften Ehrgeizes, dann der direkte Appell an den gesunden Verstand der Bevölkerung. Er würde sein Renommee als logischer und vernünftiger Mann gegen Delagard und seine größenwahnsinnigen Visionen und seine wilde und starrsinnige Natur ins Spiel bringen. »Wir dürfen einfach nicht zulassen, daß er uns wild und kopfüber an einen verrückten Ort zerrt, auf den er sich kapriziert hat. Wir müssen das verhindern.«

»Aber die Käptns sind ihm treu ergeben.«

»Werden sie auch weiter loyal bleiben, wenn sie erfahren, wie die wahre Situation ist?«

Eine weitere Woge traf das Schiff, ein scharfer Schlag wie mit dem Handrücken, und ließ es nach backbord krängen. Eine plötzliche Sturzsee kam über die Reling. Kurz danach zuckte ein schrecklicher Blitz auf, dem fast sofort der ohrenbetäubende Donner folgte, und dann prallte der Regen wie ein Brett herunter.

»Wir reden noch drüber«, rief Lawler Tharp zu. »Später, wenn der Sturm sich ausgetobt hat.«