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Der Funker ging weiter zum Bug. Lawler klammerte sich an die Reling. Er erstickte fast im Regen und im Wasser, die ihn von mehreren Seiten gleichzeitig angriffen: aus der wild springenden schäumenden See und mit der schweren und beinahe festen Wassermasse aus den Wolken. Mund und Nase waren voll Wasser, frisches und salziges Wasser gemischt. Er hustete und drehte den Kopf weg; er kam sich bereits halb ertrunken vor, und er hustete und keuchte und schniefte, bis er endlich wieder Luft bekam. Eine mitternächtliche Finsternis hatte sich über das Schiff gesenkt. Die See war unsichtbar, außer wenn ein Blitz die Schwärze aufriß und die dunklen riesigen gähnenden Wasserhöhlen ringsum sichtbar werden ließ, wie dunkle Kammern, die sie zu verschlingen drohten. Schemenhaft waren dunkle Gestalten auf Deck auszumachen, die auf Delagards und Felks gebrüllte Befehle hierhin und dorthin eilten. Die Segel waren inzwischen geborgen. Die Queen of Hydros rollte und torkelte heftig unter der vollen Wut des Sturms und drehte die kahlen Spieren in den Wind. Bald schoß sie in einer turmhohen See empor, bald sackte sie in einen gähnenden Abgrund und prallte mit furchtbarem Krachen auf den Boden des gischtenden Wellentals. Lawler hörte fernes Kreischen. Er hatte das überwältigende Gefühl, daß von allen Seiten Wasser erbarmungslos über ihn hereinbrach.

Und dann, mitten im unglaublichen Getöse des Sturms, dem schrecklichen Dröhnen, das auf sie einhämmerte, dem schrillen Kreischen des Windes und dem Donnergrollen und Trommeln des Regens, kam etwas, das noch furchtbarer war als alles Vorherige: der Klang der Stille, eine absolute Geräuschlosigkeit senkte sich wie durch einen Zauber wie ein Vorhang über dem Tumult. Alle an Bord bemerkten es gleichzeitig und hielten in ihren Tun inne, blickten bestürzt und verwirrt und angsterfüllt auf.

Sie dauerte etwa zehn Sekunden lang, diese seltsame Lautlosigkeit, aber es war eine Ewigkeit.

Und dem folgte etwas völlig Unbegreifliches. Und es war dermaßen niederschmetternd beängstigend, daß Lawler gegen den Drang ankämpfen mußte, sich auf die Knie zu werfen. Es war ein dumpfes Brüllen, das von einer Sekunde zur nächsten an Stärke zunahm, so daß es kurz darauf die ganze Luft erfüllte wie das Brüllen aus einem Maul, größer als die ganze Galaxis. Lawler wurde völlig taub davon. Jemand kam vorbeigelaufen — Pilya Braun, machte er sich später klar — und zerrte ihn heftig am Arm. Sie zeigte nach Luv und brüllte ihm etwas zu. Lawler verstand kein Wort und starrte sie nur an, und sie wiederholte es, und diesmal drang ihre dünne Stimme klar genug durch das monströse Brüllen zu ihm durch.

»Was treibst du an Deck?« fragte sie. »Geh nach unten! Runter! Verstehst du nicht — es ist die WOGE!«

Er spähte angestrengt in die Schwärze und sah dann etwas Langes, Hohes, das von einem goldenen Feuer im Innern zu glühen schien, in weiter Ferne über dem Ozean liegen: eine helle Linie über den ganzen Horizont, höher als jede Mauer, fließend im eigenen Licht. Er starrte benommen hin. Zwei Gestalten rannten an ihm vorbei, schrien ihm Warnungen zu, und er nickte zurück: Jaja, ich seh es, ich hab verstanden. Aber er konnte die Augen noch immer nicht von dem fernen heranrollenden Ding abwenden. Warum glühte es dermaßen? Wie hoch war es? Wo war es hergekommen? Irgendwie war es wunderschön: die schneeweißen Schaumzungen entlang der Krone, das kristallartige Schimmern im Kern, die ungebrochene Reinheit und Klarheit der sich nähernden Bewegung. Im Herankommen verschlang es den Sturm, überlagerte sein Chaos mit eigener titanenhaft geballter Ordnung. Lawler schaute gebannt zu, bis es schon beinahe zu spät war. Dann stürzte er zum vorderen Niedergang. Dort hielt er kurz inne und blickte zurück, und er sah die WOGE über dem Schiff emporragen wie einen Gott, der auf den Wassern reitet. Er stürzte sich durch das Luk und verschloß es hinter sich. Kinverson erschien neben ihm und rammte die Verkeilung fest. Stumm rutschte er die Leiter ins Herz des Schiffs hinab und kauerte sich dort bang in Erwartung des Aufpralls zu den anderen.

DRITTER TEIL

Das Feste Land über den Wassern

1

Das Schiff glitt wie auf Öl dahin und zog steuerlos seine Bahn um die Welt. Unter den Füßen spürte Lawler die weite rollende Dünung des Weltmeeres, das gewaltige Wogen des Planeten, die Wassermasse, auf der sie lagen und die sie unwiderstehlich mit sich forttrug. Sie waren nichts als Treibgut. Ein vereinzeltes Atom, das durch die Leere taumelt. Sie waren ein Nichts, und die Unermeßlichkeit der rasenden See war Alles.

* * *

Mittschiffs hatte er eine Stelle gefunden, wo er sich niederkauern und sich mit einem dicken Polster aus Decken gegen ein Schott verkeilen konnte. Aber er rechnete eigentlich nicht damit, daß er es überleben werde. Die Mauer aus Wasser war zu riesig gewesen; die See zu stürmisch, und ihr Schiff allzu zerbrechlich.

Einzig aus Geräuschen und Bewegungen versuchte er zu erraten, was jetzt auf Deck geschah.

Die Queen of Hydros schlitterte mit der Bewegung der Woge, in der sie gefangen war, hilflos über die See dahin, fest im Griff der tieferen Krümmung der Wasseraufstülpung. Selbst wenn es Delagard gelungen war, sein Magnetron rechtzeitig in Gang zu setzen, so hatte es doch offenbar wenig oder gar keine Wirkung gezeitigt und das Schiff nicht vor dem heranrollenden Aufprall geschützt, auch nicht dagegen, daß es einfach davon gepackt und fortgerissen wurde. Wie schnell oder langsam die WOGE dahinzog, Ihre Geschwindigkeit war nun zwangsläufig auch die Bewegung des Schiffes, das von dem gewaltigen Wasserberg vorwärtsgeschoben wurde. Lawler hatte noch nie eine dermaßen gigantische WOGE erlebt. Und vielleicht hatte dies auch sonst keiner in der kurzen hundertfünfzigjährigen Geschichte menschlicher Niederlassungen auf Hydros.

Eine einzigartige Verkettung in den Positionen der drei Monde und der Schwesterwelt höchstwahrscheinlich: das teuflische Zusammenwirken von Gravitationskräften. Ja, das mußte diese unvorstellbare Wasserbeule hervorgerufen und sie um den Bauch des Planeten in Kreisbewegung gebracht haben.

Aber irgendwie schwamm das Schiff noch immer. Lawler konnte sich nicht vorstellen, wieso. Aber er war ziemlich sicher, daß es immer noch wie ein Korken auf dem Wasser tanzte, denn er konnte die stetige Geschwindigkeit wahrnehmen, mit der die WOGE weiterzog. Diese unerbittliche Kraft rammte ihn gegen das Schott und drückte ihn dort so fest, daß er zu keiner Bewegung fähig war. Wenn sie bereits gekentert wären, rechnete er sich aus, hätte die WOGE inzwischen langst davongezogen sein müssen und sie wären sang- und klanglos auf der Rückseite am Absaufen. Doch nein. Nein. Das Schiff fuhr. Mitten in der WOGE steckten sie und wurden herumgewirbelt, kielober, kielunter, und alles im Schiff, was nicht festgemacht war, flog krachend umher. Er konnte das hören, Scheppern und Rasseln, als schüttelte ein Riese das Schiff in seiner Faust, und so war es ja wahrlich auch. Nach oben und unten und oben und unten. Er rang nach Luft, er keuchte, als wäre es er selber, nicht das Hauptdeck, der da unentwegt untergetaucht wurde und dann wieder auftauchen durfte. Hinab und wieder empor, und runter und rauf und runter. In seiner Brust hämmerte es. Benommenheit überkam ihn, aber auch eine Art betrunkener Leichtigkeit und Leere im Gehirn, die es ihm unmöglich machten, irgendwie Panik zu empfinden. Er wurde derart wild umhergewirbelt, daß er keine Furcht mehr empfinden konnte, es war dafür einfach keine Stelle in seinem Kopf frei.

Wann sacken wir endlich ab? Jetzt? Jetzt? Oder jetzt?

Oder würde die WOGE sie niemals loslassen, sondern sie ohne Ende um den Globus tragen, ewig kreisend wie ein von seiner schrecklichen Eigenkraft bewegtes Rad?

Aber dann kam der Zeitpunkt, an dem alles wieder stabil wurde. Wir sind davon frei, dachte er, wir treiben wie der aus eigenem. Doch, nein, nein. Es war nur eine Illusion. Nach ein, zwei Augenblicken fing das Wirbeln erneut an, und heftiger als zuvor. Lawler spürte, wie ihm das Blut aus dem Kopf in die Beine schoß und umgekehrt und wieder umgekehrt. Seine Lungen schmerzten. Bei jedem Atemzug brannte es wie Feuer in seinen Nasenlöchern.