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Es gab ein Krachen und Gepolter, das aus dem Schiffsinnern zu kommen schien, und lauteres Getöse, das von draußen zu kommen schien. Er hörte ferne Stimmen rufen, gelegentliche Schreie . Da war das Brüllen des Windes — oder doch jedenfalls die akustische Einbildung, als hörte er den Wind brüllen. Und da war dieses dunklere Dröhnen der WOGE selbst. Und ein helles knisterndes Zischen, das in scharfes Fauchen überging und das Lawler überhaupt nicht einordnen konnte: vielleicht der wütende Zusammenstoß von Wasser und Himmel an ihrem Kontaktpunkt. Oder vielleicht auch war die WOGE von unterschiedlicher Dichte, und ihre eigenen hydratischen Komponenten — nur flüchtig gebunden durch das Moment der übergeordneten Kraft — waren in Widerstreit zueinander geraten.

Und dann endlich trat erneut eine Weile Stille ein, und diesmal schien sie zu dauern und zu dauern und kein Ende finden zu wollen. Also, jetzt versinken wir, dachte Lawler. Wir sind fünfzig Meter tief unten, und wir sinken weiter. Gleich werden wir ertrinken. Jeden Moment kann der Druck des uns umgebenden Wassers unsere kleine Blase von einem Schiff zerquetschen, und die See bricht herein, und dann haben wir es überstanden.

Er wartete, daß diese Wasserimplosion endlich komme. Ein rascher Tod — sollte es eigentlich sein. Die Faust des Wassers gegen die Brust würde den Blutstrom zum Gehirn abwürgen; er würde im Nu bewußtlos sein. Und er würde nie erfahren, wie die Geschichte endete: das langsame Tiefersinken, die berstenden Balken und Planken, die Geschöpfe der Tiefe, die neugierig hereinkommen, glotzen und überlegen und schließlich fressen würden.

Aber es geschah nichts. Alles blieb still. Sie schwebten treibend in einer Zeit außerhalb der Zeit, ruhig und still. Lawler kam der Gedanke, daß sie wohl bereits tot sein müsse, sein müßten, daß dies hier das nächste Leben sein müsse, an das er nie hatte glauben können, und er schaute sich lachend um, weil er hoffte, Father Quillan irgendwo zu entdecken, damit er ihm sagen konnte: »Hattest du dir das so vorgestellt? Als ein endloses Dahintreiben im Schwebezustand? Genau an der Stelle, wo du gestorben bist, immer noch mit Bewußtsein behaftet, und um dich herum nichts weiter als eine maßlose Stille?«

Er mußte über seine Torheit lächeln. Wenn es das Leben danach gab, dann war es bestimmt nicht die bloße Fortsetzung des augenblicklichen. Nein, er befand sich durchaus noch in seinem alten gewohnten Leben. Und dort waren seine ihm vertrauten alten Füße, die vertrauten alten Hände mit den blasser gewordenen Narben in den Handflächen. Und das war das Geräusch seines eigenen Atems. Er lebte noch. Und das Schiff mußte demzufolge noch schwimmen. Die WOGE war also doch vorbeigezogen.

»Val?« fragte eine Stimme. »Bist du okay?«

»Sundira?«

Sie kam durch den engen, durch alles mögliche losgebrochene Zeug verstopften Gang auf ihn zugekrochen. Ihr Gesicht war sehr blaß, und sie wirkte wie betäubt. In den Augen stand ein starres Funkeln. Lawler regte sich, befreite sich von einer Planke, die von irgendwoher herabgestürzt und auf seiner Brust gelandet war, ohne daß er davon etwas gemerkt hätte, und dann wand er sich aus seinem gemütlichen Schlupfwinkel heraus. Sie trafen sich auf halber Strecke.

»Himmel«, sagte sie leise. »Oh, du mein Gott im Himmel!«

Dann begann sie zu weinen. Lawler griff nach ihr, um sie zu trösten, und merkte, daß auch er weinte. Und so hielten sie sich aneinander fest in dieser gespenstischen traumartigen Stille und weinten.

* * *

Eine der Luken war geöffnet, und durch sie fiel ein Lichtstrahl herein. Hand in Hand stiegen sie ins Freie.

Das Schiff schwamm aufrecht, saß ganz normal im Wasser, als sei überhaupt nichts gewesen. Das Deck war naß und schimmerte, wie Lawler es nie zuvor hatte blitzen sehen. Es sah aus, als ob eine Million Deckgasten es eine Million Jahre lang geschrubbt hätten. Das Ruderhaus war noch, das Kompaßhaus, das Quarterdeck, auch die Brücke. Verblüffenderweise standen auch die Masten noch, allerdings hatte der Vormast eine seiner Rahen verloren.

Kinverson stand bereits wieder auf Deck bei seinem Hebebaum, und Lawler sah Delagard vorn am Bug, breitbeinig und reglos aufgepflanzt und vom Schock wie verblödet. Es sah aus, als hätte er Wurzeln durch die Decksplanken getrieben, als wäre er dort an dieser Stelle die ganze Zeit über gestanden, während das Schiff von der WOGE davongerissen wurde. Weiter drüben nach steuerbord zu stand Onyos Felk in genau der gleichen reglosen Erstarrtheit.

Nach und nach kamen die übrigen aus ihren Schlupfwinkeln: Neyana Golghoz, Dann Henders, Leo Martello, Pilya Braun. Dann auch Gharkid, der von einem Mißgeschick unter Deck ein bißchen hinkte, und Lis Nikiaus, und dann Father Quillan. Sie wanderten mit vorsichtig schiebenden Schritten umher wie Schlafwandler, als vergewisserten sie sich zögerlich, ob das Schiff auch wirklich noch intakt war; sie berührten die Reling, die Mastblöcke, das Dach der Back. Der einzige, der fehlte, war Dag Tharp. Lawler nahm an, er sei unter Deck geblieben, um mit den anderen Schiffen Funkkontakt aufzunehmen.

Die anderen Schiffe? Es war nirgendwo etwas von ihnen zu sehen.

»Sieh nur, wie still es ist«, flüsterte Sundira.

»Still. Ja, und leer.«

Es sah so aus, wie man sich wohl den Ersten Tag der Schöpfung vorstellen konnte. Nach allen Seiten hin erstreckte sich eine völlig gestalt- und gesichtslose Wasserfläche, die See, graublau und ruhig, glatt und ohne die geringste Dünung, ohne Woge, ohne eine einzige Schaumkrone, ohne die kleinste Kräuselung: eine träge gleichmäßige horizontale Leere. Der Durchzug der WOGE schien alle Energie mit sich fortgerissen zu haben.

Auch der Himmel war glatt und grau und nahezu leer. Im fernen Westen hing eine vereinzelte breite Wolke, hinter der die Sonne unterging. Von jenseits des Horizontes stieg eine fahle Helligkeit auf. Von dem Sturm, der der WOGE vorausgeeilt war, war keine Spur mehr zu sehen. Er war genauso restlos verschwunden wie die WOGE selbst.

Aber die anderen Schiffe? Die anderen?

Lawler wanderte langsam von einer Seite des Schiffes zur anderen und wieder zurück. Seine Augen suchten das Wasser nach Auffälligem ab, nach Zeichen, nach Hinweisen: treibenden Balken, Fetzen von Segeln, Kleidungsstücken, um ihr Leben kämpfenden Schiffbrüchigen. Schon einmal hatte er auf dieser Reise — nach dem großen dreitägigen Orkan — so auf die See hinausgestarrt, auf der kein anderes Schiff sich zeigte. Damals war die Flotte nur von den Winden zerstreut worden und hatte sich wenige Stunden später neu formiert. Diesmal, fürchtete er, würde es nicht so kommen.

»Da ist Dag«, murmelte Sundira. »Mein Gott, sein Gesicht!«

Tharp kam durch die Heckluke herauf. Er war bleich, die Augen leer, die Schultern eingezogen, und seine Arme baumelten schlaff herab. Delagard löste sich aus seiner Starre, fuhr herum und fragte beißend: »Also? Wie sieht es aus?«

»Nichts. Es gibt keine Meldungen.« Tharps Stimme war nur ein hohles Geflüster. »Kein Ton! Ich hab’s immer wieder versucht: Meldet euch, Goddess, meldet euch, Star, meldet euch, Moons, meldet euch, Cross! Hier ist die Queen. Meldet euch! Meldet euch! Meldet euch!« Er klang fast, als hätte er den Verstand verloren. »Nicht ein Laut. Nichts!«

Delagards feistes Gesicht nahm eine bleigraue Färbung an und wurde ganz schlaff.

»Kein einziger von allen?«

»Nichts, Nid. Sie kommen nicht rüber. Sie sind nicht mehr da.«

»Dann ist dein Radio kaputt.«

»Aber ich habe Inselstationen empfangen. Ich hab Kentrup reingekriegt. Und Kaggeram. Das war ’ne schlimme WOGE, Nid. ’ne ganz böse.«