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Ein paar Tage später, sie waren wieder im Frachtraum, und wieder sprach sie zu Lawler von dem Leben, das sie hinter sich gelassen hatte. Ein Jahr auf Simbalimak — und eine ernste Liebesgeschichte dort, auf die sie bereits einmal angespielt hatte, und weitere Versuche, in die Geheimnisse der Gillies einzudringen, was beinahe ebenso katastrophal endete wie ihre Schnüffelei auf Khamsilaine — und dann war sie weitergezogen, ganz fort aus dem Azurblauen Meer und nach Shaktan. Ob dies auf den Druck der Gillies hin geschah, oder weil ihre Liebesbeziehung zerbrochen war, wurde Lawler nicht so recht klar, aber er mochte auch nicht danach fragen.

Von Shaktan nach Velmise, von dort nach Kentrup, und danach schließlich von dort nach Sorve… ein ruheloses und allem Anschein nach nicht übermäßig glückliches Leben. Hinter der letzten Antwort wartete stets immer schon die neue Frage. Weitere Versuche, die Geheimnisse der Gillies zu enträtseln, und als Folge davon immer neue Schwierigkeiten. Weitere Liebesgeschichten, die zum Scheitern verurteilt waren. Ein im Grunde einsames, brüchiges und unstetes Leben. Und warum war sie nach Sorve gekommen? »Warum sollte ich nicht nach Sorve gehen? Ich wollte weg von Kentrup. Und Sorve bot sich da an. Es war gerade in der Nähe, und es gab dort einen Platz für mich. Ich hatte vor, dort einige Zeit zu bleiben und dann wieder weiterzuziehen.«

»Und hast du dir das für dein ganzes Leben so vorgestellt gehabt? An einem Ort eine Weile bleiben, dann woanders hin ziehen, und immer so weiter?«

»Ja, wahrscheinlich«, sagte sie.

»Aber wonach hast du denn gesucht?«

»Nach der Wahrheit.«

Lawler sagte nichts dazu, sondern wartete.

»Ich glaube immer noch, daß hier etwas vorgeht, wovon wir kaum etwas ahnen. Die Sassen bilden eine global einheitliche Gesellschaft. Sie ist nicht von Insel zu Insel verschieden. Es besteht eine Verbindung zwischen den einzelnen Sassen-Gruppen, zwischen den Sassen und den Tauchern, den Sassen und den Plattformen, den Sassen und den Mäulern. Und wenn ich mich nicht irre, auch zwischen den Sassen und den Hexenfischen. Und ich will herausfinden, was diese Verbindung ist.«

»Warum sorgst du dich deswegen so?«

»Auf Hydros werde ich den Rest meines Lebens verbringen müssen. Ist es da nicht sinnvoll, wenn ich soviel wie möglich darüber lerne?«

»Also beunruhigt es dich gar nicht so sehr, daß Delagard uns gekidnappt hat und uns jetzt wie Gefangene herumschleppt?«

»Nein. Je mehr ich von diesem Planeten sehe, desto größer sind meine Chancen, ihn zu verstehen.«

»Und du hast keine Angst, daß wir zu diesem Land über den Wassern segeln? Uns in unerforschte Gewässer vorwagen?«

»Nein.« Und nach einer Pause: »Doch. Ein bißchen vielleicht schon. Sicher hab auch ich Angst. Aber nicht sehr.«

»Und wenn einige von uns Delagard daran hindern wollten, seinen Plan auszuführen, würdest du mitmachen?«

»Nein.« Sie sagte es ohne Zögern.

3

An manchen Tagen wehte nicht das leiseste Lüftchen, und das Schiff lag wie tot auf der völlig glatten See unter einer prallen Sonne, die immer mehr anschwoll. Die Luft hier tief in den Tropen war heiß und trocken, und manchmal machte es schon Mühe, auch nur zu atmen. Delagard vollbrachte Wunder am Ruder, befahl diese oder jene Segelsetzung, um die schwächste Brise aufzufangen, und irgendwie kamen sie meistens weiter voran und zogen stetig nach Südwest und immer in diese leblose Wasserwüste hinein. Doch es gab auch andere Tage, die schrecklichen Tage, an denen man das Gefühl bekam, daß nie wieder ein voller Wind die Segel blähen werde, niemals mehr, und daß sie alle für immer hier festliegen würden, bis sie zu Skeletten verdorrt waren. »So nutzlos wie ein gemaltes Schiff auf einem gemalten Meer«, sagte Lawler.

»Wie war das?« fragte Father Quillan.

»Ein Gedicht. Ein sehr altes, von der ERDE. Eins meiner Lieblingsgedichte.«

»Du hast schon früher daraus zitiert, nicht wahr? Ich erinnre mich noch an einen Vers. Irgendwas mit ›Wasser, Wasser, ringsumher…‹«

»Ja, ›und doch kein Schluck zu trinken‹«, sagte Lawler.

* * *

Das Trinkwasser war inzwischen fast aufgebraucht. Auf dem Boden der Fässer war nur noch ein klebriger dunkler Rest, und Lis verteilte die Rationen tröpfchenweise.

Lawler hatte Anspruch auf eine Extraration, wenn er sie für medizinische Zwecke benötigte. Er überle gte sich, wie er mit seiner Tagesdosis von Taubkraut zurechtkommen solle. Das Destillat mußte in starker Verdünnung eingenommen werden, oder es war schädlich; aber er durfte sich kaum den Luxus gestatten, soviel Wasser nur für sein kleines privates Laster zu vergeuden. Also, was tun? Die Tinktur mit Seewasser mischen? Damit konnte er — wenigstens eine Zeitlang — hinkommen; es würden sich allerdings akkumulative Nebenwirkungen in den Nieren zeigen, wenn er das über längere Zeit praktizierte, aber schließlich durfte man ja immer noch auf etwas Regen hoffen, morgen oder in ein paar Tagen, und dann konnte er sich wieder innerlich sauberspülen.

Es bestand natürlich auch die Möglichkeit, die Droge ganz einfach nicht mehr zu nehmen.

Er versuchte das eines Morgens — als ein reines Experiment. Gegen Mittag setzte ein merkwürdiges Kopfjucken ein. Am Spätnachmittag juckte seine ganze Haut, als hätte er eine Schuppenflechte. Und als es dämmerte, hatte er einen Tremor und schwitzte vor Verlangen nach der Droge.

Sieben Tropfen — und seine Übererregtheit machte wieder der alten vertrauten und geliebten Abstumpfung Platz. Aber sein Vorrat nahm immer mehr ab. Und dieses Problem war für Lawler gravierender als die Trinkwasserknappheit. Schließlich, hoffen durfte man ja immer noch, daß es bald einmal wieder regnen werde. Aber das Taubkraut schien in diesen Gewässern nicht zu wachsen.

Er hatte eigentlich damit gerechnet, die Pflanze zu finden, wenn sie in Grayvard landeten. Aber das Schiff würde nun nie mehr nach Grayvard kommen: Er hatte gerade noch genug Taubkraut für ein paar Wochen, schätzte er. Vielleicht nicht einmal soviel. Und bald würde es aufgebraucht sein, restlos.

Und dann? Was dann?

Versuch einfach, es bis dahin mit etwas Meerwasser zu mischen.

* * *

Sundira erzählte ihm noch mehr aus ihrer Kindheit auf Khamsilaine, ihren turbulenten Jugendjahren, von den späteren Wanderungen von Insel zu Insel, von ihren ehrgeizigen Erwartungen und Hoffnungen, den heftigen Bemühungen und den Fehlschlägen. Sie saßen stundenlang in der dumpfen Dunkelheit, die Beine zwischen die Packkisten ausgestreckt, Hand in Hand wie Jungverliebte, während das Schiff ruhig durch die tropische See glitt. Sie fragte ihn auch nach seinem Leben aus, und er erzählte ihr die kleinen Episödchen aus seiner ereignislosen Knabenzeit und aus den gleichmäßig ruhigen, sorgsam bewußt so gestalteten Erwachsenenjahren auf der einen Insel, die er gekannt hatte.

Dann stieg er eines Nachmittags hinunter, um sich aus seinen Vorratskisten frische Medikamente zu holen, und hörte Keuchen und Gestöhn aus einem dunklen Winkel des Frachtraums dringen. Und es war ihr besonderes Versteck, das Liebesnest… und es war die Stimme einer Frau. Neyana war in der Takelung, Lis in ihrer Kombüse, Pilya hatte Freiwache und aalte sich auf Deck. Die einzige andere Frau an Bord war Sundira. Wo war Kinverson? Er war mit Pilya in der Ersten Wache, also hatte auch er jetzt frei. Also war es wohl Kinverson, dort hinter diesen Kisten, der Sundiras bereitwilligem Körper diese keuchenden Lustlaute entlockte.

Also hatte die Beziehung zwischen den beiden — und Lawler wußte nur zu gut, von welcher Art sie war — ganz und gar nicht aufgehört; auch jetzt nicht, trotz der neuen Intimität zwischen ihr und ihm, der anvertrauten privaten Dinge aus ihrem Leben und des zuckersüßen Händchenhaltens.