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Acht Tropfen Taubkrautextrakt halfen ihm, das zu verkraften. Mehr oder weniger.

Er prüfte nach, was von seinem Vorrat noch übrig war. Nicht viel. Gar nicht mehr viel.

* * *

Auch das Essen wurde allmählich zum Problem. Es war schon so lange her, daß sie Frischfisch gefangen hatten, daß ein neuerlicher Angriff eines Schwarms von Hexenfischen schon beinahe als etwas Erwünschtes erschien. Sie zehrten von ihrem immer knapper werdenden Vorrat von Dörrfisch und Algenpulver, ganz als wären sie mitten in einem tiefen arktischen Winter. Manchmal gelang es ihnen, eine Ladung Plankton an Bord zu holen, indem sie eine Stoffbahn hinter dem Heck herzogen; aber Plankton schmeckte, als äße man groben Sand, und war außerdem bitter und schwer verdaulich. Es traten erste Mangelsymptome auf. Wohin Lawler blickte, er sah rissige Lippen, glanzloses Haar, fleckige Haut, fahle ausgemergelte Gesichter.

»Es ist Wahnsinn«, brabbelte Dag Tharp. »Wir müssen umkehren, oder wir werden alle sterben.«

»Und wie?« fragte Onyos Felk. »Riechst du irgendwo Wind? Wenn hier irgendwas weht, dann nur von Ost.«

»Das macht doch nichts«, sagte Tharp. »Wir werden schon einen Weg finden. Warum schmeißen wir nicht diesen Scheißkerl Delagard über Bord und wenden. Was meinst du dazu, Doc?«

»Ich meine, daß wir sehr bald Regen brauchen und einen dicken Schwarm Fische.«

»Ach, du bist also nicht mehr auf unserer Seite? Ich hab gedacht, du brennst genauso drauf, daß wir kehrtmachen, wie wir.«

»Onyos hat da einen stichhaltigen Punkt erwähnt«, sagte Lawler zurückhaltend. »Der Wind steht hier gegen uns. Und möglicherweise würden wir es nicht schaffen, wieder ostwärts zurückzukreuzen, ob mit oder ohne Delagard.«

»Was sagst du da, Doc? Daß wir glatt um die ganze Welt herumfahren müssen, bis wir auf der anderen Seite wieder in unsere Heimatsee kommen?«

»Vergeßt bloß nicht das Land«, mischte Dann Henders sich ein. »Erst kommen wir mal dahin, bevor wir auf der anderen Seite der Welt wieder rauffahren können.«

»Das Land«, sagte Tharp dumpf. »Dieses Land, Land, Land! Ich scheiß drauf, auf dieses Land!«

»Ich wollte, es würde dazu kommen«, sagte Henders.

* * *

Endlich kam eine frische Brise auf und sprang von Nordost auf Ostsüdost, wehte mit erstaunlicher Kühle und Kraft, und die See ging hoch und unstet und warf häufig Brecher über das Heck. Und plötzlich gab es wieder Fische, große silbrig-schimmernde Mengen, und Kinverson holte einen schweren Fang ein.

»Immer langsam!« mahnte Delagard, als sie bei Tisch saßen. »Stopft euch nicht gleich so voll, sonst platzt ihr!«

Lis übertraf sich selbst in der Zubereitung und zauberte sozusagen aus dem Nichts ein Dutzend verschiedene Tunken. Leider gab es noch immer kein frisches Wasser, und das machte den Genuß beim Essen mühselig. Erneut riet Kinverson, sie sollten den Fisch roh verzehren, wegen der in ihm enthaltenen Feuchtigkeit. Wenn man die blutigen frischen Stücke in Meerwasser tauchte, wurden sie etwas genießbarer, obwohl es das Durstproblem nur verschlimmerte.

»Was passiert, wenn wir Meerwasser trinken, Doc?« fragte Neyana Golghoz. »Stirbt man davon? Wird man verrückt?«

»Verrückt sind wir doch schon«, sagte Dag Tharp leise.

»Wir können ein gewisses Quantum Salzwasser aushalten«, dozierte Lawler und dachte dabei an die Menge, die er selbst in jüngster Zeit zu sich genommen hatte; allerdings gedachte er darüber nicht zu sprechen. »Wenn wir Trinkwasser hätten, könnten wir in der Tat die Menge durch eine Beimischung von zehn—, fünfzehn Prozent Salzwasser strecken, und es würde uns nicht schaden. Tatsächlich könnten wir dadurch den Salzverlust ausgleichen, den wir durch ständiges Schwitzen in diesem heißen Klima erleiden. Aber mit reinem Meerwasser können wir nicht lange überleben. Zwar könnten wir es im Körper zu reinem Wasser ausfiltern, aber unsere Nieren würden die Akkumulation der Salze nicht abbauen können, ohne dem übrigen Körpergewebe Flüssigkeit zu entziehen. Wir würden also ziemlich rasch austrocknen. Und dann: Fieber, Erbrechen, Delirium, der Tod.«

Dann Henders stellte eine Reihe kleiner Destillierapparate auf, indem er klare Plastikfolie über die Öffnung von Gefäßen spannte, die etwas Seewasser enthielten. In jedem Topf war sorgfältig ein Becher plaziert, um die Tropfen aufzufangen, die an der Unterseite der Plastikfolie kondensierten. Es war allerdings eine mühselige Prozedur. Es war irgendwie unmöglich, auf diese Weise genug Trinkwasser für ihre Bedürfnisse zu gewinnen.

»Und wenn es weiter nicht regnet?« fragte Pilya Braun. »Was werden wir dann machen?«

Lawler wies mit der Hand auf Father Quillan. »Wir könnten es ja mal mit Beten versuchen.«

* * *

Am folgenden Abend klebte die Hitze an ihnen wie ein Handschuh, und das Schiff lag fast völlig reglos in der See. Als Lawler zu seiner Kabine ging, um sich schlafen zu legen, hörte er Henders und Tharp im Funkraum flüstern. Ihre Stimmen klangen aufreizend rauh und krächzend.

Als Lawler kurz im Gang innehielt, kam Onyos Felk durch den Niedergang herunter, nickte ihm kurz grüßend zu und trat dann in den Funkraum. Und als Lawler vor der Tür zu seiner Kabine zögerte, hörte er Felk sagen: »Der Doc ist da draußen. Soll ich ihn reinholen?«

Die Antwort konnte er nicht hören, doch sie war wohl bejahend, denn Felk machte kehrt und winkte ihm. »Würdest du wohl ’ne Minute herkommen, Doc?«

»Es ist spät, Onyos. Was gibt’s denn?«

»Nur eine Minute.«

Tharp und Henders hockten fast Knie an Knie in dem winzigen Kabuff, eine spuckende Trankerze verbreitete trübes Licht. Eine Flasche Traubenschnaps und zwei Becher standen auf dem Tisch. Tharp trank gewöhnlich nicht, erinnerte sich Lawler.

Henders fragte: »Einen Schluck, Doc?«

»Nein, ich glaub, lieber nicht. Danke.«

»Läuft alles klar?«

»Ich bin müde«, sagte Lawler mit recht wenig Geduld. »Also, was gibt’s, Dann?«

»Wir, Dag und ich, haben über Delagard geredet. Und Onyos. Und darüber, wie der uns in diese idiotische beschissene Scheiße von ’ner Reise reingetrieben hat. Was hältst du von ihm, Doc?«

»Delagard?« Lawler zuckte die Achseln. »Ich wißt doch, was ich von ihm halte.«

»Wir wissen alle, was wir alle denken. Wir kennen uns schon so verdammt lange. Aber sag es uns trotzdem.«

»Ein Mann von sehr starker Entschlußkraft. Stur, Halsstarrig, stark, völlig skrupellos. Seiner selbst absolut sicher.«

»Verrückt?«

»Das kann nicht sagen.«

»Ich möchte wetten, du kannst!« warf Dag Tharp ein. »Weil du nämlich denkst, daß er völlig irre ist.«

»Das ist sehr gut möglich. Oder aber auch nicht. Manchmal ist es nicht so leicht, zwischen besessener Zielstrebigkeit und Wahnsinn zu unterscheiden. Viele geniale Menschen haben in ihrer Zeit als wahnsinnig gegolten.«

»Ach, du meinst, er ist ein Genie?« fragte Henders grinsend.

»Nicht unbedingt. Aber er ist ein außergewöhnlicher Mensch, das wenigstens. Ich bin nicht qualifiziert, über seine Denkvorgänge zu urteilen. Es ist durchaus möglich, daß er verrückt ist. Aber er kann vollkommen vernünftige Gründe für sein Verhalten vorlegen, darauf möchte ich wetten. Diese ganze Geschichte mit diesem ›Antlitz‹, dem Festen Land über dem Wasser, kann für ihn durchaus logisch, sinnvoll und konsequent sein.«

Felk sagte: »Tu doch nicht so unschuldig, Doc! Jeder Irre glaubt doch, daß sein Wahnsinn völlig sinnvoll ist. In der ganzen Welt hat’s noch nie ’nen Irren gegeben, der geglaubt hat, daß er irre ist.«

»Du bewunderst ihn, den Delagard?« fragte Henders.

»Eigentlich nicht«, erwiderte Lawler achselzuckend. »Aber er hat beachtliche Qualitäten, wie ihr zugeben müßt. Und er ist ein Mann mit Visionen. Auch wenn ich nicht unbedingt glaube, daß seine Visionen besonders wundervoll sind.«