Und nach den Eiern kam eine Spezies von Fliegenden Fischen, die jedoch weder Verwandte von den eleganten regenbogenfarbig schimmernden heimischen Spezies des Mare Nostrum waren, noch irgendwie den gräßlichen Hexenfischen der offenen Ozeane glichen. Diese hier waren zerbrechlich wirkende, etwa fünfzehn Zentimeter lange schimmernde Geschöpfe mit graziösen durchsichtigen Schwingen, die sie zu unglaublichen Höhen emportrugen. Man konnte sie aus der Ferne schon sehen, wie sie nahezu senkrecht aus dem Wasser aufstiegen und ungewöhnlich weit flogen, ehe sie erneut ins Meer tauchten, und dies nahezu, ohne daß das Wasser aufspritzte. Und Augenblicks darauf waren sie wieder in den Lüften und tauchten hinab und flogen wieder hinauf und wieder hinab, und kamen mit jedem Bewegungszyklus näher an das Schiff heran, bis sie schließlich dicht steuerbord waren.
Diese Fliegenden Fische schienen ebenso ungefährlich zu sein wie die driftenden Smaragdeier. Sie flogen dermaßen hoch, daß kaum Gefahr bestand, auf Deck mit ihnen zusammenzustoßen, also brauchte man sich auch nicht zu ducken oder in Deckung zu gehen, wie dies bei einem Flugangriff der Hexenfische unumgänglich gewesen wäre. Diese Fische waren so wunderschön und funkelten so prachtvoll unter dem grellen harten Lichterdom des Himmels, daß nahezu die gesamte Schiffsbesatzung sich an Deck einfand, um sie vorbeiziehen zu sehen.
Die Leiber der Wesen waren fast durchsichtig. Mit Leichtigkeit konnte man die zarten drahtfeinen Gräten ausmachen, die runden pumpenden rot-violetten Herzen, die fadenfeinen blauen Adern. Die blutroten Augen waren fein facettiert und blinkten je nach Lichteinfall.
Wunderschön, ja. Doch während sie hoch über das Schiff hinwegsetzten, regnete aus ihnen eine seltsame Flüssigkeit herab, ein schwacher schimmernder Schauer von dunkelblinkenden Tröpfchen, die scharf und beißend brannten, wo immer sie auftrafen.
Zuerst begriff niemand, was los war, denn die ersten flüchtigen Treffer der Exkrete dieser Flugwesen waren weiter nichts als eine kaum fühlbare Unannehmlichkeit. Aber die Reizwirkung war kumulativ, die Säure drang langsam tiefer, und aus einem leichten Jucken wurde bald heftiger Schmerz.
Lawler, der im Windschatten der Vorsegel gestanden hatte, war weitgehend gegen den Beschuß abgeschirmt gewesen. Ein paar Spritzer trafen seinen Unterarm, nicht genug, als daß ihm dies mehr als ein ärgerliches Stirnrunzeln abgenötigt hätte. Dann jedoch sah er, daß sich auf den blankgeschrubbten Decksplanken gelbe knotige Sterne abzuzeichnen begannen, und als er aufblickte, sah er seine Gefährten wild fuchteln und herumtanzen, schreien und sich auf die Arme klatschen und die Wangen reiben.
»Runter! Alle unter Deck!« brüllte er. »Geht in Deckung! Das kommt von den Fischen!«
Die Angreifer aus der Luft waren mittlerweile über das Schiff hinweggezogen und auf der anderen Seite verschwunden. Doch schon erhob sich steuerbords eine zweite Angriffswelle aus den Fluten.
Die Attacke dauerte insgesamt fast eine Stunde lang und kam in einem halben Dutzend von Angriffswellen. Hinterher fanden sich die Opfer nacheinander in Lawlers Sanitätsraum ein, um sich die Verätzungen behandeln zu lassen.
Sundira, die beim Angriff der Fische in der Takelung gearbeitet hatte, kam zuletzt. Sie hatte droben weiter nichts als ein Lendentuch getragen, und ihr ganzer Körper war blasenübersät. Stumm tupfte Lawler die Heilsalbe auf. Sie stand nackend vor ihm, und seine Hände glitten über ihre Haut und trugen das Medikament auf, um ihre Brustwarzen, auf den Schenkeln bis knapp unterhalb ihrer Lenden. Sie hatten sich seit der Nacht vor dem Ereignis mit der Napfschnecke nicht mehr geliebt. Doch Lawler fühlte nun bei der Berührung keinerlei Verlangen nach ihr, auch nicht wenn er die intimsten Stellen bestrich.
Auch Sundira war dies nicht entgangen. Das konnte er unter den tastenden Fingern an ihren Muskeln fühlen, die sich verspannten. Ärgerlich reckte sie sich. »Du faßt mich an, als wäre ich ein Klumpen Fleisch, Val.«
»Ich bin Arzt, der eine Patientin versorgt, die auf dem ganzen Körper ziemlich eklige Blasen hat.«
»Und mehr bin ich jetzt für dich nicht mehr?«
»In diesem Moment, nein. Hältst du es für nützlich, wenn ein Arzt jedesmal zu schwitzen und zu schnaufen anfängt, wenn er einen attraktiven Körper berühren muß?«
»Ja, aber ich bin doch nicht bloß irgendein Patient, oder?«
»Nein, nicht ein x-beliebiger.«
»Und doch gehst du mir schon tagelang aus dem Weg. Und jetzt behandelst du mich wie eine Fremde. Was ist denn los?«
»Los?« Er blickte sie bekümmert an. Dann klopfte er ihr sacht auf die Hüfte. »Dreh dich um, ich hab die Blasen in deinem Kreuz noch nicht behandelt. Was meinst du damit, Sundira?«
»Du willst mich nicht mehr, hab ich recht?«
Er tauchte die Fingerspitzen in das Salbengefäß und rieb sie dicht über den Pobacken ein.
»Ich wußte nicht, daß wir einen speziellen Terminplan hätten. Haben wir den?«
»Natürlich nicht. Aber sieh doch nur, wie du mich jetzt berührst.«
»Ich hab es dir doch grad gesagt. Ich wiederhole es noch einmal. Ich denke, du bist hier, weil du dich von einem Arzt medizinisch behandeln lassen willst, nicht um zu bumsen. Ärzte lernen es frühzeitig, daß es immer schlecht ist, wenn man beides verbindet. Aber es könnte mir natürlich auch in den Sinn gekommen sein — nicht aus Gründen der ärztlichen Ethik, sondern als schlichtes Ergebnis gesunden Menschenverstandes —, daß es dir vielleicht nicht ganz so angenehm sein könnte, wenn ich mich jetzt auf dich stürze, in einem Augenblick, wo du am ganzen Körper von schmerzhaften Blasen bedeckt bist. Klar jetzt?« Nie zuvor hatten sie Worte dieser beinahe zänkischen Art gewechselt. »Also, erscheint dir das nicht als vernünftig, Sundira?«
Sie fuhr herum und schaute ihm ins Gesicht. »Es ist wegen dem, was ich mit Delagard gemacht hab, ja?«
»Was?«
»Die Vorstellung ist dir zuwider, daß er mich mit seinen Händen berührt hat — und mehr als das. Und jetzt willst du nichts mehr mit mir zu tun haben.«
»Sprichst du im Ernst?«
»Ja, und ich hab auch recht. Wenn du dein Gesicht sehen könntest…«
Lawler sagte: »Wir waren alle von Sinnen, als sich dieses Ding ans Schiff geheftet hatte. Nie mand ist verantwortlich für etwas, das er in jener Nacht getan hat. Denkst du im Ernst, ich hätte es mit Neyana treiben wollen? Wenn du die Wahrheit hören willst, Sundira, ich hab dich gesucht, als ich an Deck kam. Ich konnte mich zwar nicht einmal an deinen Namen erinnern oder an meinen eignen, in dem Zustand, in dem ich war. Aber ich habe dich gesehen und dich begehrt und bin auf dich losgezogen, nur ist mir Leo Martello zuvorgekommen. Und dann hat Neyana mich erwischt, also ging ich mit ihr. Ich war unter Fremdbeeinflussung, genau wie du, wie alle anderen. Alle — außer Father Quillan, meine ich, ja und Gharkid. Unsere zwei Heiligen.« Lawlers Wangen waren erhitzt. Er merkte, daß sein Herzschlag sich beschleunigte. »Himmel, Sundira, ich weiß doch schon die ganze Zeit, daß du dich regelmäßig von Kinverson vögeln läßt, und das hat mich nicht daran gehindert, oder? Und in jener Nacht der Schnecke warst du doch zuerst mit Martello zusammen, vor Delagard. Warum sollte das, was du mit Delagard getrieben hast, mir irgendwie mehr ausmachen als das mit all den anderen?«
»Weil Delagard was anderes ist. Du haßt ihn. Und er widert dich an.«
»Wirklich?«
»Ja. Er ist ein Mörder und ein brutaler Unterdrücker. Er ist dafür verantwortlich, daß wir alle aus Sorve vertrieben wurden. Und die ganze Zeit hat er sich auf dieser Expedition aufgeführt wie ein Tyrann: Er prügelt Lis. Er hat Henders umgebracht. Er lügt, er betrügt, er tut, was ihm grad in den Sinn kommt, um seinen Willen durchzusetzen. Alles an ihm und um ihn ist dir ein Greuel, und der Gedanke, daß er jetzt auch noch mit mir fickt, egal ob ich bei Verstand war, als ich es zuließ, oder nicht, ist für dich unerträglich. Also — läßt du deinen Groll an mir aus. Du willst nicht deine Lippen dorthin drücken, wo Delagards Mund gewesen ist, schon gar nicht zu reden von deinem Schwanz. Ist das nicht die Wahrheit, Val?«