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Lawler legte die Hand auf Martellos Bauch und drückte fest. Er spürte eine Bewegung unter der Bauchdecke: ein Zucken, ein seltsames, unerwartetes Zittern unter dem straffen Muskelgewebe des Abdomens.

Ist da was Fremdes drin? Ja. Dieser verfluchte Ozean, dieses Ungeheuer schlich sich überall ein, wo man ihm nur die geringste Blöße bot. Aber vielleicht war es ja noch nicht zu spät, den Jungen zu retten, dachte Lawler. Ihn purgieren durch und durch, die Wunde verschließen, das war es, und so dafür sorgen, daß die Gemeinschaft nicht noch einen weiteren Verlust erleiden mußte.

Schatten beugten sich über ihn nieder. Alle drängten heran und glotzten. Sie sahen zugleich abgestoßen und fasziniert aus.

Lawler sagte scharf: »Verschwindet hier, ihr alle. So was wollt ihr bestimmt nicht mitansehen. Und ich will nicht, daß ihr mir dabei zuschaut!«

Keiner rührte sich.

»Ihr habt gehört, was der Doktor gesagt hat«, schnauzte Delagard. »Also weg da! Laßt ihn seine Arbeit tun.«

Sundira stellte seine Instrumententasche neben ihn.

Lawler betastete den Unterleib von Martello erneut. Ja. Da war eine Bewegung. Ein unverkennbares Zurückweichen. Ein Zucken, Zittern. Martellos Gesicht war hochrot, die Pupillen erweitert, und die Augen starrten in eine fremde Welt. Aus allen Poren lief fiebriger Schweiß.

Lawler holte sein feinstes Skalpell aus der Tasche und legte es aufs Deck. Dann legte er Martello beide Hände dicht unterhalb des Zwerchfells auf den Bauch und begann nach oben zu pressen. Martello stieß einen dumpfen Seufzer aus, und über seine Lippen sickerten dünn Seewasser und Erbrochenes. Nichts sonst. Lawler versuchte es erneut. Nichts. Aber unter seinen Fingern fühlte er wieder diese Bewegung, weitere Krampfbewegungen, erneutes gleitendes Ausweichen.

Und noch ein Versuch. Er drehte Martello auf den Bauch und rammte die beiden verschränkten Hände mit aller verfügbaren Kraft dem Jungen in die Mitte des Rückens. Martello rülpste und spuckte noch einmal eine dünne Flüssigkeit aus. Mehr kam nicht.

Lawler hockte sich hin und dachte einen Moment lang nach, so gut es eben ging.

Dann wälzte er Martello wieder auf den Rücken und nahm sein Skalpell.

»Das wird euch nicht gefallen, wenn ihr da jetzt zuschaut«, murmelte er vor sich hin, an alle gerichtet, die vielleicht immer noch zuschauten. Er blickte dabei nicht auf. Dann schnitt er mit der dünnen Klinge eine rote Linie von links nach rechts quer über Martellos Unterleib. Martello schien es kaum zu spüren. Er gab einen weichen unverständlichen Laut von sich.

Die Haut, das Muskelgewebe. Das Messer schien die Schnitte zu kennen. Geschickt legte Lawler die Gewebschichten frei. Dann durchschnitt er das Peritoneum. Er hatte sich dazu erzogen, sich in einen anderen Bewußtseinszustand zu versetzen, wenn er operierte, in dem er sich einbildete, er sei ein Bildhauer und der Patient etwas Unbeseeltes, etwa ein Holzblock, und nicht ein leidendes menschliches Wesen. Durch diesen Trick allein vermochte er die Prozedur überhaupt durchzustehen.

Tiefer. Jetzt hatte er die innere Bauchdecke durchschnitten. Blut mischte sich in die Pfütze aus Seewasser um Martello auf den Decksplanken.

Nun mußte das Gekröse der Eingeweide hervorquellen und sichtbar werden…

Ja. Da waren sie.

Jemand schrie. Jemand knurrte angeekelt.

Doch es war nicht wegen des Anblicks der Gedärme. Aus Martellos Bauch schob sich noch etwas anderes herauf, etwas Helles, Schlankes, das sich langsam entrollte und sich aufrichtete: Es waren etwa sechs Zentimeter sichtbar: augenlos, anscheinend auch ohne Kopf, nichts weiter als ein glatter, glitschiger rosa Streifen undifferenzierter lebender Materie. Am oberen Ende befand sich eine Öffnung, irgendwie mundähnlich, durch die eine kleine rote raspelscharfe Zunge sichtbar wurde. Das schlanke schimmernde Geschöpf bewegte sich mit unirdischer Grazie und schwang in gleitenden hypnotisierenden Bewegungen von einer Seite zur anderen. Das Kreischen in Lawlers Rücken setzte sich hemmungslos fort.

Er fuhr auf das Ding mit einer raschen sicheren Bewegung aus dem Handgelenk los, und sein Skalpell zerschnitt es säuberlich in zwei Hälften. Der obere Teil landete zuckend neben Martello und begann sich sofort auf Lawler zuzubewegen. Kinversons schwerer Stiefel krachte nieder und zermalmte das Ding zu Schleim.

»Danke«, sagte Lawler ruhig.

Aber die andere Hälfte steckte noch in Martello. Lawler versuchte, sie mit der Spitze des Skalpells hervorzulocken. Daß es zerteilt worden war, schien dem Ding nichts auszumachen: es tanzte weiter, genauso graziös wie zuvor. Lawler stocherte hinter der schweren Wölbung der Eingeweide herum, um das Ding loszubekommen. Er drückte hier und zerrte dort. Dann glaubte er, das andere Ende entdeckt zu haben und schnitt zu, aber da war noch immer etwas übrig und etliche Zentimeter mehr entzogen sich ihm gemeinerweise immer wieder. Er schnitt erneut, und diesmal hatte er es zur Gänze erwischt. Er schleuderte es fort, und Kinverson zertrat es.

Inzwischen waren alle hinter Lawler verstummt.

Er begann damit, den Einschnitt wieder zu schließen, doch eine neuerliche zuckende Bewegung ließ ihn innehalten. Noch einer? Ja. Ja, mindestens noch einer. Vielleicht mehr. Martello stöhnte und bewegte sich geringfügig. Dann bäumte er sich plötzlich heftig und schnellte sogar ein Stück vom Deck in die Höhe. Lawler hatte das Skalpell gerade noch rechtzeitig weggerissen, damit er Martello nicht verletzte. Und dann hob sich ein zweiter Aalwurm ans Licht und ein dritter, und sie tanzten den gleichen unheimlichen Tanz wie der erste; dann zog sich der eine in sich selber zurück, verschwand wieder in Martellos Bauchhöhle und schien sich aufwärts in Richtung auf die Lungen durchzuwinden.

Lawler lockte den anderen heraus, halbierte ihn und dann noch einmal und riß das Endstück heraus. Er wartete darauf, daß der andere, der sich zurückgezogen hatte, sich wieder zeige. Dann, kurz darauf, erblickte er ihn flüchtig, gelb und schimmernd in Martellos blutiger Leibesmitte. Aber es war nicht der einzige Aalwurm. Lawler sah jetzt auch die schlanken Schlingen anderer, die geschäftig herumschlängelten und ein Fest feierten. Wie viele waren denn da noch? Zwei, drei? Dreißig?

Lawler hob den Kopf. Sein Gesichtsausdruck war grimmig-ernst. Delagard starrte ihn seinerseits an. In seinen Augen stand ein Ausdruck von Schock, Bekümmerung und Ekel.

»Kannst du die alle rausholen?«

»Nicht die geringste Chance. Er steckt voll davon. Sie fressen sich durch ihn hindurch. Ich könnte schneiden und weiterschneiden, und bis ich sie alle gefunden habe, hätte ich ihn völlig zerschnitten, und auch dann würde ich sie nicht alle entdeckt haben.«

»O Gott!« murmelte Delagard. »Wie lang kann er damit leben?«

»Bis einer von ihnen das Herz erreicht, vermute ich. Und das wird nicht lang dauern.«

»Meinst du, er spürt was?«

»Ich hoffe, nein«, sagte Lawler.

* * *

Martellos Agonie dauerte noch fünf Minuten. Noch nie waren Lawler fünf Minuten derart endlos vorgekommen. Hin und wieder zuckte Martello und bäumte sich auf, wenn ein größeres Nervenbündel attackiert wurde; einmal sah es sogar aus, als wollte er vom Deck auffliegen. Danach gab er ein leises Seufzen von sich, sank zurück, und das Licht in seinen Augen erlosch.

»Es ist vorbei«, murmelte Lawler. Er fühlte sich benommen, ausgehöhlt, erschöpft. Er war über alle Betrübnis, über allen Schock hinaus.

Wahrscheinlich, dachte er, war da sowieso nicht die geringste Chance, Martello zu retten. Es müssen mindestens zehn, zwölf von diesen Aalen in ihn eingedrungen sein, höchstwahrscheinlich viel mehr, ein ganzer Schwärm, die blitzschnell durch seinen Mund oder den Anus hineinglitten und sich zielstrebig durch Fleisch- und Muskelgewebe bis ins Zentrum seines Unterleibes vorarbeiteten. Lawler hatte neun Teile von diesen Wurmaalen extrahiert; aber die übrigen waren noch da und am Werk in Martellos Bauchspeicheldrüse, der Milz, der Leber, den Nieren. Und wenn sie mit diesen Organen, den ›Delikatessen‹, fertig sind, dann machen sie sich mit ihren rötlichen Raspelzungen über den Rest seines Körpers her. Nein, kein chirurgischer Eingriff — und wäre er noch so schnell und fehlerfrei durchgeführt worden — hätte ihn rechtzeitig von diesen Parasiten befreien können.