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»Du siehst wieder okay aus«, informierte ihn Sundira. »Bist du es auch?«

»Mehr oder weniger, ja. Aber die schlimmen Phasen werden wiederkommen. Das wird ein langes Ringen werden.« Doch als der Schub dann wieder einsetzte, war er weniger heftig als vorher. Lawler fand keine Erklärung dafür. Er hatte mit drei, vier, fünf Tagen sogar von äußerst entsetzlichen Qualen gerechnet, auf die dann — vielleicht — eine stufenweise Linderung der Tortur folgen würde, während sein Metabolismus sich mehr und mehr von der Sucht entwöhnte. Aber dies war ja erst der zweite Tag.

Und wieder dieses Gefühl eines Eingreifens von außerhalb, des Geführtseins, Gestütztseins, als zöge ihn etwas aus seinem Morast.

Dann wieder die Anfälle von Tremor und Schwitzen. Und danach eine neuerliche Periode der Erholung, die fast einen halben Tag anhielt. Er wagte sich an Deck und genoß die frische Luft und wanderte langsam auf und ab. Zu Sundira sagte er, daß er glaube, allzu leicht davonzukommen.

»Sei dankbar«, sagte sie.

Als die Nacht kam, litt er wieder. Auf und ab, an und aus. Aber insgesamt sah der Verlauf günstig aus. Er schien auf dem Wege der Erholung zu sein. Und am Ende der Woche traten nur noch ab und zu kurze Momente des Unwohlseins auf. Er betrachtete die leere Drogenflasche — und grinste.

* * *

Die Luft war klar, der Wind wehte kräftig. Die Queen of Hydros zog rasch weiter auf ihrem Südwestkurs um die Wasserkugel.

Tag für Tag, ja beinahe Stunde um Stunde, nahm die Phosphoreszenz im Meer zu. Die ganze Welt begann zu leuchten. Wasser und Himmel schimmerten Tag und Nacht. Alptraumhafte Geschöpfe von einem Halbdutzend unvertrauter Spezies brachen aus dem Wasser, segelten kurz über sie hinweg und landeten unter gewaltigem Spritzen in der Ferne. Riesige Mäuler gähnten in der Tiefe.

Die meiste Zeit herrschte Schweigen an Bord der Queen. Alle gingen ruhig und tüchtig ihren Pflichten nach. Und es gab viel zu tun, denn es waren jetzt ja nur noch elf Mann übrig, um die Arbeit der vierzehn zu tun, die beim Start an Bord gewesen waren. Der übermütige, fröhliche, optimistische Leo Martello hatte den übrigen weitgehend den Ton angegeben; mit seinem Tod änderten sich unvermeidlicherweise die Dinge.

Außerdem kam dieses ›Antlitz‹ näher (oder sie ihm). Auch dies mußte etwas mit der zunehmend düsteren Stimmung zu tun haben, dachte Lawler.

Noch konnte man nichts von dem Land hinter dem Horizont entdecken, aber alle wußten, daß es dort, nicht weit entfernt, wartete. Jeder spürte das. Es lag wie ein fühlbares Numen über dem Schiff. Seine Wirkungen waren unbestimmbar, aber unverkennbar. Hier ist etwas, dachte Lawler immer wieder, und es ist mehr als eine bloße Insel. Es ist etwas mit einem wachsamen Bewußtsein. Und wartet auf uns.

Er schüttelte den Kopf, um klarer denken zu können. Unsinnige Phantastereien, Spuk aus Fieberträumen, törichte substanzlose Gedanken. Ich leide immer noch unter Entzugserscheinungen, sagte er sich. Und er war sehr wackelig, energielos und fühlte sich verwundbar.

Aber sein Kopf beschäftigte sich weiter mit dem ›Antlitz‹. Er mühte sich, aus seiner Erinnerung zu graben, was Jolly ihm vor langer, langer Zeit über »das Feste über den Wassern« erzählt hatte; doch alles blieb undeutlich und verschwommen unter den dreißigjährigen Erinnerungsschichten. Ein wildes Wunderland, hatte Jolly. gesagt. Voll von Pflanzen, die ganz anders waren als jene, die im Meer wuchsen. Aber Pflanzen. Unbekannte Farben, helles Licht, das Tag und Nacht schien, ein fremdartiges Reich, fern am Ende der Welt, wunderschön und unheimlich. Hatte Jolly etwas über Tiere gesagt? Irgendwelche landbewohnende Wesen? Nein, nichts, woran Lawler sich erinnern konnte. Kein tierisches Leben, nur dichter Dschungel.

Aber da war doch noch etwas gewesen, etwas über eine Stadt…

Nicht auf dem Land. Sondern in der Nähe.

Wo? Im Ozean? Das vermochte er sich nicht vorzustellen. Er versuchte sich an die Tage zu erinnern, die er mit Jolly am Wasser verbracht hatte, an den ledergesichtigen sonnenverbrannten alten Mann, der mit wiegendem Oberkörper unermüdlich die Angelhaken auswarf und unermüdlich redete und redete…

Eine Stadt. Eine Stadt im Meer. Unter dem Meer…

Lawler bekam ein Endchen der Erinnerung zu fassen, es entglitt ihm wieder, er stürzte sich darauf, bekam es nicht in den Griff, er griff erneut zu…

Eine Stadt unter dem Meer. Ja. Ein Tor im Ozean, das sich einem Gang öffnet, irgendeine Art von Schwerkraftschacht, der hinab zu einer grandiosen Unterwasserstadt führt, die von Gillies bewohnt wird, eine verborgene Stadt von Gillies, die über die inselbewohnenden Gillies ebenso hoch erhaben waren, wie es Könige über Bauern sind… Gillies, die lebten wie die Götter, die niemals an die Oberfläche stiegen, die abgeschottet in druckstabilen Gewölben in erhabener Majestät und unübertrefflichem Luxus lebten…

Lawler mußte lächeln. So war das also, ja. Eine großartige Fabel, ein Märchen von Pracht und Reichtum. Das raffinierteste, schillerndste von allen Seemannsgarnen, die Jolly gesponnen hatte. Er erinnerte sich nun, wie er damals sich vorzustellen versucht hatte, wie diese Stadt aussah, wie er sich ausmalte, daß hochgewachsene, unendlich majestätische Gillies würdevoll durch hohe Torbögen in schimmernde Palasthallen schritten. Und jetzt, in der Erinnerung, kam er sich wieder vor wie der Junge von damals, der zu den Füßen des alten Seemanns kauerte und mit großen Augen die Wunder zu verstehen suchte, von denen die rauhe grobe Stimme ihm erzählte.

* * *

Auch Father Quillan hatte lange über das Problem dieses ›Antlitzes‹ nachgedacht.

»Ich habe eine neue Theorie darüber«, verkündete er.

Der Priester hatte den ganzen Vormittag damit zugebracht, in der Nähe von Gharkids Kranbrücke zu hocken und gemeinsam mit ihm zu meditieren. Lawler, der an ihnen vorbeiwanderte, hatte sie verblüfft angestarrt. Beide schienen in Trance versunken zu sein. Ihre Seelen konnten durchaus auf einer völlig anderen Bewußtseinsebene weilen.

»Ich habe meine Ansicht geändert«, erklärte Quillan. »Du erinnerst dich vielleicht, daß ich dir früher gesagt habe, ich sei überzeugt, daß dieses Land über den Wassern das Paradies sein muß, daß GOTT in EIGNER PERSON dort umherwandle, die Prima Causa, der SCHÖPFER. Er, zu dem alle unsere Gebete sich richten. Nun, das glaube ich jetzt nicht mehr.«

»Schön und gut«, sagte Lawler gleichgültig. »Dann ist eben das ›Antlitz‹ nicht Gottes persönlicher Vaargh. Wenn du das meinst. Du verstehst von dem Zeug mehr als ich.«

»Nicht GOTTES Vaargh, nein. Aber eindeutig die Behausung irgendeines Gottes. Das ist das exakte Gegenteil meiner ursprünglichen Ansicht über die Insel, wie du siehst. Und von allem, was ich jemals über die Natur des Göttlichen geglaubt habe. Ich stehe im Begriff, in abgrundtiefe Häresie zu verfallen. In diesen meinen späten Lebensjahren werde ich zum Polytheisten. Zu einem Heiden! Das kommt sogar mir selbst absurd vor. Und dennoch glaube ich aus ganzem Herzen daran.«

»Ich versteh dich nicht. Ein Gott, der Gott — was macht das schon für einen Unterschied? Wenn du an einen Gott glauben kannst, dann kannst du ebenso leicht an eine x-beliebige Zahl von ›Göttern‹ glauben, soweit ich die Sache kapiere. Der Trick dabei ist, daß man erst mal an einen glaubt, und ich kann mich nicht mal soweit bringen.«

Der Priester strahlte ihn mit einem liebevollen Lächeln an. »Du verstehst es wirklich nicht, nicht wahr? Die klassische christliche Tradition, die aus dem jüdischen und, soweit wir wissen, aus uralten ägyptischen Glaubenskonzepten entsprungen ist, lehrt, daß Gott eine einzige unteilbare Einheit ist. Daran habe ich nie gezweifelt. Ich habe noch nicht einmal je daran gedacht, daran zu zweifeln. Wir Christen sprechen zwar von IHM als einer Trinität, einer Dreifaltigkeit, doch wir glauben, daß dies eine Drei-Einigkeit ist. Für einen Ungläubigen mag das verwirrend klingen, aber wir wissen, was es bedeutet. Es gibt da keinerlei Disput: Es gibt nur einen Gott… Aber während der letzten paar Tage — nein, sogar in den letzten paar Stunden…« Der Priester verstummte. Dann sprach er weiter: »Laß mich eine Analogie aus der Mathematik zuhilfe nehmen. Weißt du, was das ›Gödelsche Theorem‹ ist?«