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Delagard keuchte schwer, was eine ungewohnte Erregtheit verriet. Sein Gesicht blickte finster und sturmverheißend, als brodle in ihm ein heimliches Gewitter. Mit ungewohnt verzweifelter Hektik rannte er zwischen den Leuten auf dem Deck umher, packte sie sich einen nach dem anderen mit festem Griff und drehte sie herum, so daß ihre Augen vom ANTLITZ abgewandt waren.

»Dreht euch um! Schaut nicht hin! Das verrückte Licht hypnotisiert euch, wenn ihr da ’ne Weile reinglotzt!«

Lawler merkte, wie Delagards Finger sich ihm heftig in die Muskeln der Oberarme bohrten. Er gab dem Zug nach und ließ sich von dem unerhörten Schauspiel wegzerren, das da über dem Wasser stattfand.

»Du mußt dich zwingen, das nicht anzuschauen!« sagte Delagard. »Onyos — ans Ruder! Neyana, Pilya, Lawler, los! Wir müssen die Segel in den Wind setzen! Wir müssen einen Hafen für uns finden!«

* * *

Sie segelten mit zu Schlitzen verkniffenen Augen und mühsam abgewandtem Blick, um nicht das unbegreifliche Schauspiel zu sehen, das sich vor ihnen entlud, und kreuzten längs der turbulenten Küste, auf der Suche nach einem Einschnitt oder einer Bucht, die ihnen Schutz bieten könnte. Anfangs schien es, als gebe es nichts derartiger; das ANTLITZ erwies sich als langgestrecktes unerreichbares und abweisendes festes Land.

Dann schoß das Schiff urplötzlich durch die Brandungslinie und geriet in ruhiges Wasser: eine heitere Bucht zwischen zwei vorstrebenden von steilen Bergzinnen gekrönten Landzungen. Der heitere erste Eindruck war jedoch trügerisch und von kurzer Dauer. Augenblicke nach ihrer Ankunft begann das Wasser zu steigen und zu brodeln. In dem mahlenden Strudel stiegen dichte schwarze Stränge eines Gewächses auf, das aussah wie Riementang, herauf und peitschten das Meer wie die düstren Extremitäten von Ungeheuern, und zwischen ihnen schoben sich bedrohliche speerähnliche Auswüchse hervor, die Wolken eines unheimlichen grellgelben Rauchs ausstießen. Und am Ufer schien das Terrain sich in Krämpfen zu winden.

Lawler war erschöpft. In ihm begannen wirre Bildimaginationen, quälend rätselhafte, abstrakte Eindrücke. In seinem Hirn tanzten unbekannte Konturen. Er spürte hinter dem Stirnbein ein ärgerliches ungreifbares Jucken und preßte die Hände an die Schläfen. Es half nicht.

Delagard stapfte brabbelnd und in Gedanken versunken übers Deck. Nach einer Weile befahl er, das Schiff zu wenden, und steuerte es durch die Brecher wieder aus der Bucht hinaus. Sobald sie im freien Wasser waren, wurde es in der Bucht wieder still, und sie sah wieder genauso einladend aus wie zuvor.

»Versuchen wir’s nochmal?« fragte Felk.

»Nicht hier«, knurrte Delagard mürrisch. Seine Augen blitzten vor kalter Wut. »Vielleicht ist das keine gute Stelle. Wir fahren westwärts weiter.«

Aber die Küste weiter westlich erwies sich als wenig einladend, sie war steil, rauh und wild. Der Wind trug einen scharfen stechenden Brandgeruch heran. Vom Land stiegen feurige Funken auf. Es war, als brenne die Luft selber. Hin und wieder prallten ihnen Wogen einer überwältigenden telepathischen Kraft von der Insel her entgegen, kurze plötzliche Stöße, die mentale Verwirrung und Diskoordination auslösten. Die Mittagssonne wirkte ausgeblichen und geschwollen. Und nirgendwo schien es eine Bucht zu geben oder einen Einschnitt. Nach einiger Zeit kam Delagard, der sich unter Deck begeben hatte, zurück und verkündete mit gepreßtem, bitterem Ton, daß er — vorläufig — davon Abstand nehmen werde, näher an Land zu kommen.

Sie zogen sich an eine Stelle weit außerhalb der mahlenden Brandung zurück, wo das Wasser flach und seicht war und von Farbbändern durchzogen, die von einem schimmernden Sandbett heraufgespiegelt wurden. Hier warfen sie Anker aus, zum erstenmal seit Beginn der Reise.

Lawler gesellte sich zu Delagard, der an der Reling lehnte und in die Ferne starrte.

»Na? Was hältst du jetzt von deinem Paradies, Nid? Von deinem Land, in dem Milch und Honig fließen?«

»Es wird uns gelingen, einen Weg hinein zu finden. Wir sind einfach von der falschen Seite her rangekommen, das ist alles.«

»Du willst also tatsächlich da an Land?«

Delagard wandte sich ihm zu und sah ihn an. Die blutunterlaufenen Augen wirkten in dem flirrenden Licht ringsum seltsam verändert und sahen vollkommen ausdruckslos und wie tot aus. Als er dann aber sprach, war die Stimme so fest wie eh und je. »Nichts, was ic h bisher gesehen habe, hat im geringsten meine Meinung über irgendwas verändert, Doc. Hier ist das Land, wo ich sein will. Es ist Jolly gelungen, hier an Land zu gehen, also wird es auch uns gelingen.«

Lawler antwortete nichts darauf. Es fiel ihm nichts ein, was er hätte sagen können, was nicht bei Delagard einen wahnsinnigen Tobsuchtsanfall ausgelöst hätte.

Dann aber grinste der Reeder, beugte sich zu ihm her und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Doc! Ach, Doktorchen! Schau doch nicht so begräbnisernst drein! Klar, es sieht hier ziemlich wüst aus. Natürlich. Wieso hätten sich die Kiemlinge sonst die ganze Zeit von hier ferngehalten? Und natürlich kommt uns das Zeug, das von da drüben zu uns rüberweht, fremd vor. Wir sind es halt einfach nicht gewohnt. Aber das bedeutet ja nicht, daß wir uns davor fürchten müßten. Es handelt sich um nichts weiter als um ziemlich ausgefallene optische Effekte. Bloßer dekorativer Verpackungszauber: Völlig bedeutungslos. Hat nicht das geringste zu sagen.«

»Es freut mich; daß du dir deiner Sache so sicher bist.«

»Ja. Ich freu mich auch. Hör zu, Doc, hab doch endlich Vertrauen. Wir sind doch fast da. Wir sind bis hierher gekommen, und wir werden auch den Rest des Weges schaffen. Es besteht kein Anlaß, sich Sorgen zu machen.« Und wieder das breite Grinsen. »Hör mal, Doc, entspann dich, laß los, ja? Gestern abend ist mir zufällig ein Tropfen Brandy in die Finger gekommen, den Gospo versteckt hatte. Komm doch in einer Stunde oder so zu mir in die Kabine runter. Es werden alle da sein. Und wir feiern eine Party. Wir werden auf unsere Ankunft anstoßen.«

* * *

Lawler kam als Letzter zur Party. Die anderen hockten alle schon bei Kerzenlicht mehr oder weniger im Halbkreis in der dunklen, engen dumpf riechenden Kabine um Delagard herum. Sundira links von ihm, Kinverson dicht bei ihr, Neyana und Pilya daneben, dann Gharkid, der Priester, Tharp, Felk und Lis. Alle hatten einen Becher mit Schnaps vor sich. Auf dem Tisch standen eine leere und zwei volle Flaschen. Delagard stand gegen die Wandung gedrückt, den Kopf tief zwischen die Schultern gezogen, was zugleich irgendwie aggressiv und defensiv wirkte. Er sah aus, als wäre er besessen. Die Augen glitzerten beinahe fiebrig. Das Gesicht, voll von einem Stachelbart und schorfig von einer Art Hautausschlag, war gerötet und schweißfeucht. Und plötzlich begriff Lawler, daß der Mann sich am Rande einer Krise befinden müsse, eines innerlichen Ausbruchs, einer heftigen Explosion und Freisetzung aufgestauter Gefühle, die allzu lange unterdrückt worden waren.

»Los, trink auch was, Doc«, rief Delagard.

»Danke. Gern. Ich dachte, wir haben nichts mehr von dem Zeug.«

»Hab ich auch gedacht«, erwiderte Delagard. »Hab mich eben geirrt.« Er schenkte ein, bis die Kumme überfloß, dann schob er sie über den Tisch auf Lawler zu. »Also hast du dich doch an Jollys Geschichte von der Unterwasserstadt erinnert, was?«

Lawler trank einen tiefen Schluck Brandy und wartete, bis sich die Wirkung im Bauch ausbreitete.

»Woher weißt du was davon?«

»Sundira hat es mir erzählt. Sie sagt, du hast mit ihr darüber geredet.«