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Durch Loder hatte Rollway erfahren, wo er mich an jenem Sonntagnachmittag finden konnte — und auch an diesem Mittwochabend. Nicholas Loder hatte mich aber nicht wissentlich in die Falle gelockt, sondern war von seinem vermeintlichen Freund nur benutzt worden — und ich hatte es für gänzlich ungefährlich gehalten, ihm am Sonntagmorgen zu erzählen, daß ich mich mit Milo und den Ostermeyers zum Lunch verabredet hatte oder daß ich in Grevilles Haus sein würde, falls er ein Angebot für >Edel-stein< unterbreiten wolle.

Ich hatte mich nicht, was immer dieser glauben mochte, speziell vor Rollway in acht genommen, sondern vor einem unidentifizierten Feind, vor jemandem, der da und gefährlich, bislang aber eben unerkannt war.

Ironie allüberall…

Ich dachte an Martha und Harley und an das Kokain im Leib von >Dozen Roses<. Ich würde sie bitten, das Pferd zu behalten und Rennen mit ihm reiten. Aber ich würde ihnen auch versprechen, ihnen für den Fall, daß er auf Dauer keine befriedigenden Leistungen zeigte, den Kaufpreis zu erstatten, und das Pferd zum Verkauf geben. Bei dem Gedanken daran, was der Jockey Club und die Rennpresse zu dem ganzen Schlamassel zu sagen haben würden, konnte einem schwindlig werden. Wir konnten das Rennen in York noch immer verlieren — würden es wohl, wie ich annahm, noch verlieren.

Ich dachte an Clarissa im Selfridge Hotel, die sich dort um ein ganz normales Verhalten bemühte und dabei den Kopf voll hatte von Bildern der Gewalt. Ich hoffte, daß sie ihren Henry anrufen, sich auf festen Boden retten, Greville in Frieden betrauern und froh sein würde, seinen Bruder gerettet zu haben. Ich würde den Wecker des Hexers auf 16.20 Uhr stehen lassen und an beide denken, wenn ich ihn hörte — man mochte ja sagen, daß es sentimental war, daß Grevilles und ihre gesamte Affäre mit Sentimentalitäten geradezu vollgepackt gewesen war, aber wen scherte das? Sie hatten ihre Freude daran gehabt, und ich fand das schön.

Irgendwann im Laufe des Abends erschien ein hochrangiger Polizist in Zivil, dem sich alle sofort unterordneten und den sie mit» Sir «anredeten.

Er stellte sich mir als Oberkommissar Ingold vor und erbat eine detaillierte Schilderung der Vorgänge, die eine Sklavenseele mitschrieb. Der Oberkommissar war klein, zupackend, geschäftsmäßig. Er überdachte stets das, was ich gesagt hatte, bevor er die nächste Frage stellte, als wäge er meine Antworten genau ab. Von Nutzen war, daß er eine Vorliebe für den Pferderennsport hatte, sich also über Nicholas Loder grämte und von mir schon gehört hatte.

Ich berichtete ihm mit ziemlicher Offenheit das meiste von dem, was geschehen war, ließ nur wenige Dinge aus — so etwa, auf welche Weise genau Rollway seine Bratenbegießerröhre zurückgefordert hatte, oder Clarissas Anwesenheit und die entsetzliche Verzweiflung jener Minuten, die ihrem Eintreffen vorausgegangen waren. Ich verkürzte und vereinfachte den aussichtslosen Kampf, machte einen schnellen K.o.-Sieg daraus.

«Die Krücken?«fragte er.»Wozu sind die da?«

«Ein kleines Problemchen mit dem Fußgelenk, das sich in Cheltenham ergeben hat.«

«Wann war das?«

«Vor fast zwei Wochen.«

Er nickte bloß. Das Griff stück dieser Krücken war schwer genug, um Schurken damit zusammenschlagen zu können, und so suchte er nicht weiter und nach anderen Erklärungen.

Das alles dauerte wegen der Denkpausen und des Mitschreibens eine ganze Weile. Ich erzählte ihm auch von dem Autounfall nahe Hungerford. Ich sagte, ich hielte es durchaus für möglich, daß es Rollway gewesen sei, der Simms erschossen habe. Ich meinte, sie würden ja doch wohl mit Sicherheit die Kugeln, die die Polizei von Hungerford im Daimler gefunden habe, mit denen vergleichen, die sie hier aus Grevilles Wänden ausgegraben hätten, und zweifellos auch mit denen, die man aus Nicholas Loders totem Körper holen würde. Ich fragte mich in aller Unschuld, was für ein Auto Rollway wohl gefahren habe. Die Polizei von Hungerford suche einen grauen Volvo, sagte ich dem Oberkommissar.

Nach einer kurzen Pause wurde ein Polizist losgeschickt, um die Straße abzusuchen. Er überbrachte seine Botschaft mit großen Augen und wurde angewiesen, eine Absperrung um den Volvo aufzubauen und die Passanten von ihm fernzuhalten.

Inzwischen war es längst dunkel geworden. Jedesmal, wenn ein Polizist oder sonstiger Beamter ins Haus kam, fing der mechanische Hund zu kläffen an, und das Flutlicht erstrahlte. Ich empfand das als komisch, was einiges über den benommenen Zustand aussagte, in dem sich mein Kopf noch befand, während es den Polizisten auf die Nerven ging und sie gereizt machte.

«Die Schalter sind neben der Haustür«, verriet ich schließlich einem von ihnen.»Warum schalten Sie das alles nicht einfach ab?«

Sie befolgten den Rat und hatten ihre Ruhe.

«Wer hat den Blumentopf in den Fernseher geschmissen?«wünschte der Kommissar zu erfahren.

«Einbrecher. Am vergangenen Samstag. Zwei Ihrer Leute waren deswegen schon hier.«

«Sind Sie krank?«fragte er übergangslos.

«Nein. Nur etwas mitgenommen.«

Er nickte. Jeder andere wäre das wohl auch, dachte ich.

Einer der Polizisten erwähnte Rollways Drohung, daß ich nicht lange genug leben würde, um noch gegen ihn aussagen zu können. Vielleicht sei sie ernst zu nehmen.

Ingold sah mich prüfend an.»Beunruhigt Sie das?«

«Ich werde versuchen, vorsichtig zu sein.«

Er lächelte matt.»Wie im Sattel?«Das Lächeln verschwand wieder.»Sie täten gut daran, sich jemanden anzuheuern, der ein Weilchen mit auf Sie aufpaßt.«

Ich nickte ihm meinen Dank zu. Brad würde begeistert sein, dachte ich.

Sie schafften den armen Nicholas Loder fort. Ich würde seine Tapferkeit rühmen, nahm ich mir vor, und von seinem Ruf retten, was davon noch zu retten war. Ich verdankte ihm schließlich meine Überlebenschance.

Am Ende wollte die Polizei das Wohnzimmer versiegeln, aber der Oberkommissar meinte, dies geschehe nur vorsichtshalber — was sich an diesem Abend hier ereignet habe, sei ja doch kristallklar.

Er reichte mir meine Krücken und fragte, wohin ich zu gehen gedächte.

«Nach oben ins Bett«, sagte ich.

«Hier?«Er war überrascht.»Hier in diesem Haus?«

«Dieses Haus«, sagte ich,»ist eine Festung. Allerdings nur, solange man die Zugbrücke nicht herunterläßt.«

Sie versiegelten das Wohnzimmer, verabschiedeten sich und ließen mich in dem nun wieder stillen Hausflur zurück.

Ich setzte mich auf die Treppe und fühlte mich fürchterlich. Kalt. Zittrig. Alt und grau. Was ich brauchte, war ein heißes Getränk, um von innen her wieder warm zu werden, aber hinunter in die Küche gehen wollte ich um keinen Preis. Heißes Wasser aus dem Bad oben würde es wohl auch tun, dachte ich.

Wie so oft bei gewaltsamen Auseinandersetzungen, war es gar nicht der Augenblick der Verletzung, der am schlimmsten war, sondern die Zeit ein paar Stunden später, wenn nämlich die unmittelbar wirksam werdenden anästhesierenden Kräfte des eigenen Körpers schwächer werden und den Schmerz zum Zuge kommen lassen. Das war ja die so wunderbare Einrichtung der Natur, die es einem wilden Tier ermöglichte, sich erst in Sicherheit zu bringen und dann seine Wunden zu lecken und mit heilendem Speichel zu reinigen. Das menschliche Tier war da nicht anders. Man brauchte die schmerzlose Zeit zur Flucht, und man brauchte den Schmerz danach, um zu wissen, daß etwas mit einem nicht in Ordnung war.

Im Augenblick maximaler Adrenalinausschüttung, im Augenblick der Entscheidung zwischen Kampf und Flucht hatte ich geglaubt, mit meinem kaputten Knöchel laufen zu können. Es war der besagte Mechanismus gewesen, der mich dazu befähigt hatte, und nicht der Instinkt oder eine Willensanstrengung. Zwei Stunden später war allein schon der Gedanke, auf dem Bein nur stehen zu sollen, ein Ding der Unmöglichkeit. Schon die kleinste Bewegung nahm mir den Atem. Ich hatte nach dem Schlag zwei sehr lange Stunden in Grevilles Stuhl gesessen, mich ganz auf die Polizisten konzentriert und jedes Gefühl ausgeblendet.