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»Mit Insekten?«

»Ja … mit der Bekämpfung von Insekten … Ich glaube, er suchte Mittel zur Bekämpfung von Schädlingen, wenn ich das richtig in Erinnerung habe …«

»Mittel zur Bekämpfung von Schädlingen!«

»Oh, das Papier …«

In diesem Moment ertönte, leiser, eine Stimme in englischer Sprache aus dem Lautsprecher.

»Able Peter, Able Peter, hier ist Sunset. Kommen Sie. Over.«

Der Graf zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Sein Gesicht verfärbte sich dunkel. Die Kiefer preßten sich aufeinander. Das Gespräch, das er hinter der verschlossenen Tür seines Büros belauschte, ging weiter, aber er verstand den Sinn der Worte plötzlich nicht mehr.

»Able Peter … Able Peter … kommen Sie sofort. Over!«

Der Graf erhob sich. Langsam ging er zu Adolph Menzels ›Maskensouper‹ und holte aus dem Versteck im Rahmen des Bildes den Miniatursender, dessen Antenne er herauszog. Er meldete sich bei den beiden Amerikanern, die in einem Wagen hinter dem ›Ritz‹ saßen.

»Na endlich, Able Peter!« Die Stimme aus dem Sender klang drohend. »Sehr freundlich von Ihnen, sich an das Gerät zu bemühen, wenn wir Sie rufen.« Die Besatzung des Streifenwagens nahe dem Hotel konnte Romath immer erreichen, sobald dieser das Abhörgerät in Manuels Salon benützte, indem sie sich mit Hilfe eines Spezialgeräts in die Telefonleitung schaltete. »Was ist los? Worüber reden die beiden?«

Nein, dachte der Graf. Nein, sie können mich nicht behandeln wie einen Hund. Ich lasse mir das nicht mehr bieten. Was geschieht, wenn ich ihnen sage, was sich da oben in dem Appartement gerade abspielt, auf welche neue Spur Manuel Aranda gekommen ist? Was werden diese Schweine tun? Die kennen keine Rücksicht. Die kennen nur Gewalt und Terror. Gegen alle. Auch gegen mich. Aber das ist mir jetzt egal! Ich will nicht immer wieder mit daran schuld sein!

»Landau erzählt, wie er und diese Valerie Steinfeld 1942 den Prozeß um die Abstammung des Jungen vorbereiteten.«

»Sonst nichts?«

»Was heißt das?«

»Heißt, was es heißt! Also?«

»Sonst nichts«, antwortete der Graf.

»Sind Sie ganz sicher?« Die Stimme klang lauernd, heimtückisch.

»Glauben Sie mir nicht?«

»Nein.«

»Hören Sie …«

»Halten Sie das Maul, Able Peter! Gestern am Nachmittag läßt Aranda bei Ihnen plötzlich einen Platz für die Maschine nach Buenos Aires heute abend um 23 Uhr 40 buchen. Für sich und drei Kerle. Sagt, daß die Kerle, die er erwartet, nur ganz kurz im ›Ritz‹ bleiben und ihre Zimmer gleich wieder frei sein werden. Dann kommt er heim und läßt alle Buchungen streichen. Warum?«

»Ich weiß nicht …«

»Er weiß es nicht, Joe. Der Süße weiß es nicht. Weil sich für Aranda ein neuer Gesichtspunkt ergeben, weil er etwas gefunden hat! Was, Able Peter, was?«

»Ich … ich weiß es doch nicht!«

»Sie wissen es, Sie Schwein!«

»Wie reden Sie …«

»Ruhig! Natürlich wissen Sie es. Wir wissen es schließlich auch. Das Ganze war nur ein Test von uns. Weil wir Ihnen nämlich schon seit einiger Zeit nicht mehr trauen …«

»Hören Sie, ich schwöre Ihnen …« Test? dachte Romath, verstummend. Das ist eine Falle. Die wissen nichts, nichts!

»… und weil wir Ihnen nicht mehr trauen, haben Sie einen Kollegen im Hotel bekommen, der Aranda auch abhört. Und Ihr Kollege, der weiß, was der junge Herr herausgefunden hat, er hat es ihn sagen hören!«

Bluff? dachte Romath verzweifelt. Bluffen die? Einen Kollegen, der auch die Gespräche abhört? Das gibt es nicht. Das müßte ich wissen. Muß ich es wissen? O Gott …

»Jetzt steht Ihr großes Maul endlich still, wie? Wir haben eine Nachricht für Sie. Der Chef ist ungehalten. Recht ungehalten.«

»Ich …«

»Kusch. Sie haben heute ab 23 Uhr frei im Hotel. Sie kommen auf jeden Fall um Mitternacht – pünktlich um Mitternacht! – in die Wohnung des Chefs. Verstanden?«

»Ja …«

»Das ist alles, Able Peter. Ende.«

Es klickte in dem Sender, dann war die Verbindung tot.

Der Graf stand reglos, er schien nicht einmal zu atmen. Sein Gesicht war jetzt schmutzig weiß. Zwei Minuten verstrichen so.

Aus dem kleinen Gerät auf Romaths Schreibtisch erklang die Stimme Landaus. Plötzlich verstand der Graf, was Landau sagte: »… gab ihr das Papier zurück. Ich bekam von Valerie ebensowenig eine Erklärung dafür, was es bedeutete, wie jetzt von Ihnen.«

»Ich sagte Ihnen doch, ich weiß es auch nicht … noch nicht!«

»Nun ja …« Landaus Stimme hatte einen leicht beleidigten Ton.

»Was heißt nun ja?« fragte Manuels Stimme.

»Nun ja, immerhin, das ist alles so unheimlich, nicht wahr? Vielleicht denken Sie, gewisse Dinge dürften Sie mir nicht erklären.«

»Unsinn! Ich weiß es wirklich nicht, Herr Landau. Erzählen Sie, was dann geschah, bitte.«

»Schön. Also, nach dem Zwischenfall mit dem Zettel war Valerie bald wieder beruhigt. Wir machten weiter. Sie hatte doch verlangt, daß auch das noch in ihre Erklärung aufgenommen werden sollte, was der Anwalt gesagt hatte, nicht wahr? Ich begriff nicht gleich und fragte: ›Was der Doktor Forster dir gesagt hat?‹ Und sie antwortete sehr verlegen: ›Na, ich habe es …‹«

46

»… dir doch erzählt, zu Mittag.« Valerie strich über ihre Bluse. Sie sah zu dem bullernden Ofen in der Ecke des Teekammerls.

»Ach so! Hm. Immerhin. Ja, natürlich, das muß hier auch noch mit hinein …« Martin Landau stand auf, nahm ein Wasserglas vom Wandregal und füllte es mit dem schlechten Weinbrand. Er trank, schüttelte sich. Dann legte er Valerie eine Hand auf die Schulter.

»Wir müssen es tun. Sonst hat das alles keinen Sinn. Aber es sind Lügen, Valerie, Lügen! Es hat nichts zu bedeuten für deine Liebe zu Paul, für meine Freundschaft zu ihm, überhaupt nichts. Er würde dasselbe sagen. Also, schreib: Mein Eheleben litt zudem schwer darunter, daß Paul Steinfeld und ich uns nicht nur in geistiger, sondern auch in geschlechtlicher Beziehung nicht verstanden …«

Valerie nahm Landau das Glas aus der Hand, trank hastig und diktierte sich selber dann laut: »Abgesehen von der allerersten Zeit unserer Intimität vor der Eheschließung und danach, zwang mich Paul Steinfeld …«

»Unsinn. Was heißt zwingen? Dazu kann man keine Frau zwingen. Du hast das über dich ergehen lassen, weil du ohnedies schon so verzweifelt warst und geglaubt hast, dein Leben ist verpfuscht. Und du bist ihm ja auch deshalb so schnell nach Dresden ausgerückt.«

»Also, wie formuliert man so etwas? Wirklich, Martin, das ist schrecklich …«

»Sachlich. Ganz sachlich bleiben. Es berührt dich überhaupt nicht. Es ist eine Lüge, die dich nicht berührt, Schatz. Trink noch einen Schluck. So ist es brav. Das formuliert man so: Abgesehen von der allerersten Zeit und so weiter und so weiter … bevorzugte – verstehst du? Bevorzugte! Das ist wichtig. Er muß auch normal mit dir verkehrt haben, sonst hätte er nicht eine Minute lang geglaubt, daß Heinz sein Sohn ist …«

»Ja. Ja, natürlich. Weiter, Martin, weiter!«

»Bevorzugte Paul Steinfeld eine besondere Art von Verkehr, die …« Landau kam ins Stottern. »… die … die mich nur … nur quälte und … und nicht … nicht befriedigte … und mich schwer abstieß … puh!« Er ließ sich auf den alten Diwan fallen. »Muß sein«, sagte er. »Muß einfach sein, Schatz, es hilft nichts.«

»Das sage ich ja selber.« Valerie schrieb. Sie hob den Kopf: »Aber ich schäme mich so, ich …«

»Natürlich schämst du dich! Und das muß auch noch hinein! … Scham, Verzweiflung, meine jugendliche Unerfahrenheit und die Erkenntnis, daß ich die Liebe meiner Eltern zu mir schwer verletzt, wenn nicht zunichte gemacht hatte, als ich Paul Steinfeld … gegen ihren so eindringlichen Wunsch … heiratete – ah, und noch etwas! –, sowie im Zusammenhang mit der damaligen allgemeinen Zügellosigkeit und dem Verfall von Sitte und Moral ließen mich selber haltlos werden und Trost bei Martin Landau suchen.«