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»Guten Tag, gnädige Frau.«

»Sie sind nicht allein?« fragte Nora Hill.

»Nein. Was kann ich für Sie tun?«

Er hörte ihr dunkles Lachen.

»Ich habe seit Tagen nichts von Ihnen gehört, mein Freund. Da macht man sich Sorgen. Geht es Ihnen gut!«

»Danke, ja.«

»Sie haben viel erfahren mittlerweile, nehme ich an.«

»Das kann man behaupten.«

»Meine Prophezeiung war also richtig. Ich habe Ihnen nun etwas Interessantes zu zeigen. Eine Überraschung.«

»Sie haben eine Überraschung?«

»Ja, bin ich nicht die gewesen, die den Anfang gemacht hat? Wollen Sie mich besuchen?«

»Natürlich! Wann darf ich …«

»Einen Moment. Haben Sie Traveller-Schecks?«

»Traveller-Schecks?«

»Traveller-Schecks.«

»Ja«, sagte er verblüfft.

»Über größere Beträge?«

»Ja«, sagte er zum zweitenmal.

»Bringen Sie mit, was Sie haben. Die Überraschung kostete nämlich Geld. Fünftausend Dollar. Aber ich denke, sie ist ihr Geld wert.«

»Fünftausend Dollar?«

»Heute abend zehn Uhr?«

»Gut. Aber hören Sie …«

»Ich freue mich. Also bis dann, mein Freund«, sagte Nora Hill. Die Verbindung war unterbrochen.

Nora Hill …

Manuel stand versunken beim Fenster.

Zufall, daß sie gerade jetzt anrief? Absicht? Geplant? Sie war doch auch in diese Sache verstrickt. Lockte sie ihn in eine Falle? Unsinn, alle Beteiligten wußten ja vom Manuskript seines Vaters im Tresor des Anwalts. Was für eine Überraschung?

53

Die Bar des Hotels ›Ritz‹ lag einen Meter höher als der Boden der zweiten großen Innenhalle. Man mußte ein paar Stufen emporsteigen, um die Bar zu betreten. Die Stufen waren breit, der Eingang war in die rechte Seitenwand der Halle gebrochen, die außerdem vier große, unverglaste Fensteröffnungen aufwies. Mit ihren Mahagoni-Paneelen, Stilmöbeln, großen Teppichen und vielen kleinen Appliken, welche jetzt, am Abend, brannten, machte die Bar einen behaglichen und feudal-altmodischen Eindruck – wie das ganze ›Ritz‹. Über den Paneelen wurden die Wände von Delfter Kacheln verdeckt. Die Theke war hoch, die Hocker davor waren mit rotem Samt überzogen, auch die Stühle und Sofas in den kleinen Logen, die durch mannshohe Holzwände voneinander getrennt wurden. Flaschen hinter der Theke standen auf Regalen in einem flachen Glasschrank mit vielen Türchen. Hinter den Flaschen befand sich ein Spiegel. In der Halle draußen spielte das Fünf-Mann-Orchester, lauter ältere Herren, wie jeden Abend seine Evergreens, sehr dezent, etwas unsicher und etwas falsch. Gerade war ›Charmaine‹ an der Reihe.

Vor dem Abendessen, dem Theater oder dem Ausgehen nahmen viele Gäste in der Bar noch einen Drink. An der Theke unterhielt sich laut eine Gruppe amerikanischer Geschäftsleute. Einer führte das große Wort. Die anderen lachten dienstbeflissen über seine Scherze. Alle Logen waren besetzt. Die Tische trugen Platten aus Kacheln der gleichen Art wie die der Wände. Der Chefmixer und seine drei Gehilfen hatten Hochbetrieb.

»Ich bin sehr froh, daß Sie meine Einladung zum Abendessen angenommen haben, Irene«, sagte Manuel. Er saß neben der jungen Frau mit dem kastanienbraunen Haar und den gleichfarbigen Augen in einer Eckloge. Sie trug ein Kleid aus schwarzem Seiden-Jersey, das mit phantastischen Mustern in Grau und Gold bedruckt war. Irene sah sehr schön aus an diesem Abend. Sie hatte den ersten schlimmen Schock der Ereignisse überwunden. Alle Männer, die an der Loge vorbeigingen, drehten sich nach ihr um.

Irene antwortete leise: »Und ich bin sehr froh, daß Sie noch nicht heimfliegen.« Sie zögerte, dann: »Wann werden Sie nun abreisen?«

»Das weiß ich noch nicht. Nach dem, was wir in der Foto-Schatulle entdeckten … und was Landau mir erzählte …«

»Ja?« Das kam ein wenig atemlos.

»Nun, ich meine, danach hat sich doch vieles geändert! Die Lage sieht völlig anders aus. Ich möchte, wenn es irgendwie geht, hierbleiben. Jetzt glaube ich plötzlich, daß ich doch hier schneller und besser an mein Ziel komme als in Buenos Aires. Aber ich will natürlich Cayetano hören. Und auch, was mir diese Nora Hill zu sagen hat.«

»Sie muß eine faszinierende Frau sein, nicht wahr, trotz ihrer …« Irene brach ab.

»Was für ein Unsinn«, sagte Manuel, der fühlte, wie ihm warm wurde. »Wenn jemand faszinierend ist, dann …« Verlegen sprach er seinen Satz gleichfalls nicht zu Ende. Sie sahen einander an, und nun lächelte Irene zum erstenmal. Sie öffnete ihre Abendtasche.

»Ich habe Ihnen ja etwas mitgebracht …«

»Guten Abend, meine Herrschaften«, erklang in diesem Moment die Stimme des Grafen Romath. Manuel sah auf, Irene ließ das Täschchen sinken. Der Mann mit dem schlohweißen Haar und dem schwarzen Anzug verbeugte sich tief, als Manuel ihn Irene vorstellte. Romath sah heiter und sorglos aus. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, diesem Mann stünde noch ein unheimliches mitternächtliches Rendezvous bevor. Es war Romath von Kindheit an beigebracht worden, daß es nichts Wichtigers im Leben gab, als sich wie ein Gentleman zu betragen, was immer auch geschah. Er machte Irene Komplimente über ihr Aussehen und das Kleid, vergewisserte sich, daß alles in Ordnung war, und sagte dann: »Alles Gute, Herr Aranda. Alles, alles Gute.«

»Danke. Aber ich fliege noch nicht – wir sehen uns gewiß noch«, sagte Manuel.

»So meinte ich es nicht.«

»Wie denn?«

»Sie haben doch – die gnädige Frau ist ja selbst in den Fall verwickelt, also natürlich informiert –, Sie haben doch so viele Sorgen. Mögen sie bald verschwinden. Mögen Sie einmal wieder froh und unbeschwert sein – beide«, sagte der Graf, verneigte sich und ging weiter mit kleinen, leicht trippelnden Altmännerschritten.

»Er ist nett, nicht wahr?« sagte Irene.

»Ja.« Manuel blickte Romath nach. Dabei fiel sein Blick auf einen Pagen, der eben die Bar betrat. Der Junge hielt einen Stock, an dessen oberem Ende eine schwarze Schiefertafel befestigt war. Mit weißen Buchstaben stand darauf: TELEFON FÜR – und darunter, in Kreideschrift: Herrn Manuel Aranda.

Er erhob sich.

»Verzeihen Sie!« Manuel trat aus der Loge.

»Herr Aranda? Zelle fünf«, sagte der Page.

Manuel eilte durch die Halle zu dem Gang, der in das Café hinüberführte; hier befand sich die Reihe der Telefonzellen. Er betrat Nummer fünf. Der Apparat schrillte. Manuel hob ab.

»Ja? Hier ist Aranda.«

»Gott sei Dank, Sie sind im Hotel. Ich habe Glück. Hier ist Martha Waldegg. Kann ich sprechen? Sind Sie allein?«

»Ja. Guten Abend, Frau Waldegg«, sagte Manuel.

»Mein Mann ist bei Freunden. Ich bin zu Hause. Man kann durchwählen nach Wien. So findet mein Mann keinen Beleg bei der Telefonrechnung. Haben Sie Irene gesehen?«

»Einige Male. Sie sitzt in der Bar. Wir wollen zusammen essen.«

»Um Gottes willen! Sie darf nicht wissen, daß ich … Herr Aranda, Sie haben mir versprochen …«

»Ich sage ihr kein Wort. Und ich habe ihr auch kein Wort gesagt. Sie rufen an, vermute ich, weil ich Sie nun besuchen darf.«

»Ja.«

»Wann?«

»Übermorgen. Mittwoch. Da fährt mein Mann in der Früh nach Wien und kommt erst am Donnerstag wieder. Das Grundstück, ich erzählte Ihnen davon ….«

»Ich erinnere mich. Also Mittwoch, gut. Um wieviel Uhr?«

»Sie können nicht mit dem Wagen fahren – über den Semmering und die Berge. Da liegt zuviel Schnee. Sie müssen die Bahn nehmen.«

»In Ordnung.«

»Haben Sie Papier und einen Bleistift?«

Beides lag auf einem schmalen Bord unter dem Apparat.

»Ja.«

»Also, Sie fahren vom Südbahnhof aus. Der liegt direkt neben dem Ostbahnhof. Ein Riesenneubau. Am besten nehmen Sie den ›Venetia-Expreß‹. Der fährt um 8 Uhr 05 in Wien ab und ist um 13 Uhr 29 in Villach. Dann geht ein Zug ab Villach um 16 Uhr 26. Da sind Sie um 22 Uhr 05 wieder in Wien. Geben Sie Irene eine Erklärung … daß Sie geschäftlich einen Tag weg müssen, zum Beispiel.«

»In Ordnung. Niemand wird etwas erfahren. Ich erzähle allen irgendeine Geschichte.«