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»Sie sind schon ein Schwein«, sagte Mercier. Natürlich hast du und Grant Clairon umlegen lassen, bevor der Aranda umlegen konnte, dachte er. »Ein kluges Schwein«, sagte Santarin. »Aber Aranda ist nicht abgeflogen. Er blieb. Er hat uns allen doch damals schon am Telefon gesagt, daß er bleibt, bis das Geheimnis enträtselt ist. Also habe ich den Plan gemacht, nach dem wir jetzt vorgehen. Und alles klappte glänzend.«

»Bis Sonntagabend. Da bestellte Aranda plötzlich die Flugkarte. Was war da los?«

»Tja, was?« Natürlich werde ich dir nicht erzählen, daß Aranda erst am Sonntag den Film sah, der zu dem Manuskript gehört, dachte Santarin. Der Film kann auch nicht ausschlaggebend gewesen sein. Keinesfalls. Es ist schon so, wie ich immer angenommen habe: Der junge Mann wußte am Anfang nicht, was in dem Manuskript stand. Erst am Sonntag offenbar, nach dem Besuch bei Yvonne, hatte er den Code-Schlüssel. Das Manuskript wurde dechiffriert. Gut, wollen wir einmal annehmen, daß das Gewissen des jungen Aranda sich daraufhin allzu stürmisch meldete, daß er kopflos heim wollte, um das Wichtigste zu retten, zu vernichten, zu verhindern – aber dann muß noch etwas geschehen sein, was ihn von diesem Entschluß wieder abgebracht hat. Und was das war, das weiß nicht einmal ich. Mir fiel sofort Penkovic ein. »Wir werden auch noch herausbekommen, was Aranda so durcheinandergebracht hat«, sagte Santarin zuversichtlich.

»Wenn Sie sich dahinterklemmen«, sagte Mercier höflich. Man kann auch zu klug sein, dachte er, ebenfalls zuversichtlich. Du, mein Lieber, hast dafür gesorgt, daß der junge Herr nun mit größter Wahrscheinlichkeit in Wien bleiben wird. Das heißt, daß das Manuskript und der Film seines Vaters in dem Tresor des Anwalts bleiben werden. Herr De Brakeleer ist schon nach Bremen geflogen, um mit seinem Meisterschränker zu reden. Und heute vormittag hat der Inspektor Ulrich Schäfer die Annonce aufgegeben, die morgen im ›Kurier‹ erscheinen wird. Einer meiner Leute war in der Inseratenannahme und wartete, bis Schäfer kam. Der hat genau den Text über den Geigenlehrer aufgegeben, den wir ihm vorschrieben. Sobald das Inserat erschienen ist, werden wir uns mit ihm in Verbindung setzen. Haltet mich nur alle für einen Idioten, etwas Besseres kann mir gar nicht geschehen.

»Nun den letzten Scheck, dann haben wir es überstanden«, ertönte Noras Stimme.

»Das sind die tausend Dollar, die sie einsteckt«, sagte der Russe. »Noch ein Stückchen Konfekt? Zieren Sie sich nicht! Nougat ist am besten.« Und ob ich herausbekommen werde, was Aranda so durcheinandergebracht hat, dachte Santarin. Heute nacht noch. Wenn der Graf Romath zu Gilbert Grant kommt. Ich werde auch da sein, ich bleibe nur noch hier, um zu sehen, ob alles glatt läuft, dann verschwinde ich. Dieser Romath wird ausspucken, was er weiß, oder er wird tun, was ich ihm befehle. Aber was geht das dich an, du französisches Fünfgroschen-Hirn?

»Bei Gelegenheit geben Sie mir übrigens zweitausend Dollar«, sagte der Russe. »Wir arbeiten doch jetzt zusammen. Unkosten werden geteilt.«

»Natürlich«, sagte Mercier und dachte: So sieht also der einzige wirkliche Idealist unter uns Dreien aus. Der Franzose wußte einiges über Fedor Santarin. Der Russe hatte nicht nur während des ganzen Krieges gegen Hitler an der Front gestanden, er hatte auch seine Frau, seine Mutter, seine Kinder, er hatte alle Angehörigen verloren. Er war freiwillig Agent geworden. Ein einsamer Fanatiker, der sich zynisch und überlegen gab und in dessen Gehirn ein Gedanke brannte wie ein unauslöschliches Feuer: Nie, nie, nie wieder soll mein Land überfallen werden können! Voilà, ein anständiger Mensch, dachte Mercier. Man muß ihn eigentlich bewundern. Ach, zum Teufel mit anständigen Menschen in unserem Metier. Das sind die ärgsten!

»Wenn dieser Meerswald Pflanzenschutzmittel herstellt – war er da auch auf dem Kongreß?« erklang die Stimme Manuels.

»Danke für die Schecks, mein Freund. Auf dem Kongreß?« Noras Stimme hob sich zweifelnd. »Das weiß ich nicht. Sein Betrieb hat zwar Verbindungen in die ganze Welt, aber er ist nicht einer von den wirklich großen, wissen Sie. Ihnen war der Name ja auch unbekannt, nicht wahr?«

»Ja. Madame, kann ich … darf ich …«

»Was denn?«

»Ich müßte telefonieren, aber …«

»Aber Sie haben Angst, Ihr Gespräch könnte abgehört werden, wie?«

»Nora! Nora!« sagte Santarin entzückt. Er blies noch ein Präservativ auf, mit dem Text CHERIE, JE T’AIME. Der Russe lachte. »Schauen Sie, Mercier! Ob die das in allen Sprachen haben? Was für ein Haus!« Er starrte in das Schachtel-Märchenbuch. »Wo sind wohl die für sowjetische Gäste? Ah, da hätten wir schon eines!«

»Natürlich habe ich Angst«, erwiderte Manuels Stimme dazwischen. »Warum eigentlich? Es kann sich bestimmt jeder denken, wen ich anrufen will!«

In ihrem großen Wohnzimmer streckte Nora Hill den zierlichen Körper auf dem bequemen Sessel.

»Ihren Hofrat, natürlich.«

»Ja. Also könnte ich doch eigentlich ruhig …«

»Ruhig. Da steht der Apparat. 34 55 11.«

»Was ist das?«

»Die Nummer des Sicherheitsbüros. Oder wollten Sie ihn schon zu Hause anrufen? Es ist noch nicht einmal halb elf.«

»Sie haben recht.«

Eine halbe Minute später erklang Grolls Stimme aus dem Hörer: »Guten Abend, Manuel. Sie wollen mich sprechen?«

»Dringend, Herr Hofrat. Kennen Sie einen gewissen Thomas Meerswald?«

»Gewiß. Wie kommen Sie auf den?«

»Und einen gewissen Vasiliu Penkovic?«

»Diesen Dreckskerl, freilich! Sagen Sie, Manuel …«

»Was wissen Sie über die beiden?«

»Nicht am Telefon. Wo sind Sie überhaupt?«

»Bei Frau Hill.«

Nach einer kurzen Stille der Verblüffung lachte Groll.

»Herr Hofrat ! Ich habe noch eine Entdeckung gemacht! Wann können wir uns sehen?« fragte Manuel. Die sechs Fotos lagen vor ihm auf dem Rauchtischchen. Das Telefon stand daneben. »Ich komme sofort zu Ihnen. Ich …«

»Das geht nicht. Wir haben seit heute früh einen Liebespaar-Mörder im Verhör. Ich kann noch nicht weg. Aber bis zwölf bricht der garantiert zusammen. Wenn es wirklich so dringend ist …«

»Das ist es!«

»… dann kommen Sie nach Mitternacht in meine Wohnung. Porzellangasse, Nummer …«

»Ich weiß, ich komme. Und ich danke Ihnen, Herr Hofrat.«

»Aber rufen Sie vorher aus einer Zelle an. Ich muß die Haustür für Sie aufsperren.«

»Ich rufe noch einmal an.« Manuel legte auf und nahm seine Brieftasche, um die sechs Fotografien hineinzulegen. Dabei glitt der gefaltete Bogen, den er in Valerie Steinfelds Schatulle gefunden hatte, auf das Tischchen.

Er griff schnell danach, doch Nora war schneller.

»Was ist denn das für ein altes Papier?«

»Geben Sie es sofort zurück!«

Nora öffnete den Bogen halb und las laut: »Pasteur 1870: Seidenraupenseuche …«

In dem Kleinmädchenzimmer fuhr Santarin aus dem Bett hoch.

»Da! Ich habe Nora gesagt, sie sollte auf alles achten, was Aranda bei sich trägt!«

»Bitte, Madame, geben Sie es mir zurück!« klang Manuels Stimme, laut und heftig. Danach ertönten Schritte.

»Au! Was haben Sie denn? Ich gebe es Ihnen ja schon. Sie waren sehr grob zu mir …«

»Entschuldigen Sie. Es tut mir leid.«

Wieder erklangen Schritte.

»Pasteur 1870, Seidenraupenseuche … altes Papier … ob es das ist?« fragte Mercier, der aufgesprungen war.

»Durchaus möglich.« Santarin nickte. »Wenn Nora nachher zu Ihnen kommt, lassen Sie sich dieses Papier genau schildern.«

»Natürlich.«

»Heute bewacht ihr Aranda. Sie gehen dann sofort zu einem Ihrer Streifenwagen draußen. Ihre Leute sollen zu Grants Wohnung fahren und ihm alle Einzelheiten bekanntgeben.«

»Wieso zu Grants Wohnung?«

»Weil ich auch da sein werde. Ich muß schnellstens Bescheid wissen über alles. Ich habe noch eine kleine Unterredung heute nacht.«