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»Dann sorgt er auch dafür, daß sie immer genug Whisky haben«, sagte Nora.

Cardiff hob einen Finger.

»Nur wenn sie sich so sehr lieben wie wir«, sagte er. »Er muß das Zeug einteilen, Darling, weißt du. Und es gibt solche und solche Lieben.«

»Und wir haben eine solche?«

»Ja«, sagte Jack Cardiff, »wir zwei, wir haben eine solche.«

57

Am 7. April 1766 gab Kaiser Joseph II. ein 5 365 000 Quadratmeter umfassendes Gebiet von Auen und Auwäldern nahe der Donau, das bis dahin den Habsburgern als Jagdrevier gedient hatte, für die Bevölkerung frei, ›um dorten zu reiten, zu fahren und daselbst sich mit erlaubten Unterhaltungen zu ergötzen‹.

Schausteller, Wirte, Kaffeesieder, Lebzelter und Kuchenbäcker siedelten sich sofort in großer Zahl an. Am Pfingstsonntag 1852 wurde der ›Wurstel-Prater‹ eröffnet, 1945 bei schweren Kämpfen zwischen SS und vorrückender Roter Armee völlig zerstört und erst nach Jahren vollständig wiederaufgebaut. Zuletzt gab es wieder die Geister-, Grotten-, Berg- und Talbahnen, die Liliputbahn, welche durch die Auen fuhr, Restaurants und Trinkhallen, Kasperl- und Marionettentheater, Schießbuden und Schaubuden, Lachkabinette, Luftschaukeln, Hippodrome, Kinos, Varietés, Karussells, das Pratermuseum, Tierschauen, sogar noch ein paar Zauberer, Neonreklamen, tobende Nervenkitzel-Attraktionen und das Riesenrad, welches, 1945 durch Brand und Bomben fast völlig vernichtet, sich, zur Gänze erneuert, bereits 1946 wieder drehte.

Es drehte sich auch am frühen Nachmittag des 17. Januar 1943, einem sonnigen, kalten Tag. Schnee lag seit Wochen über dem Land. Laut Verordnung hatte das Riesenrad auch bei Eis und Schnee in Aktion zu bleiben, ebenso wie alle Vergnügungsbetriebe gehalten waren, das Jahr durch zu arbeiten.

Soldaten saßen in den Kabinen des Riesenrades, Mütter mit Kindern, Verwundete mit Krücken oder dicken Verbänden, Krankenschwestern, junge Mädchen, Angehörige. Die Kinder jubelten. Die Erwachsenen hatten ernste, blasse Gesichter, und sie lächelten bloß manchmal, wenn sie miteinander sprachen.

In einem Waggon des betagten Riesenrades saßen nur zwei Frauen dicht nebeneinander auf einer Bank. Nora Hill war es durch großes Trinkgeld gelungen, den Angestellten an der Sperre vor dem Einstieg in die Kabine zu bestechen. Sie trug an diesem Tag einen rasierten Bibermantel, der blaugrau schimmerte, einen aufgeschlagenen Filzhut, beige wie ihr zweiteiliges Jackenkleid, braune Schuhe und eine braune Eidechsenledertasche. Sie war so auffällig geschminkt wie immer, und an ihrem rechten Gelenk blitzte das breite Platinarmband mit den großen Brillanten. In der Handtasche lag die automatische Smith & Wesson, die Jack Cardiff Nora vor Monaten gegeben hatte, damit sie immer eine Waffe bei sich tragen konnte, weshalb sie ihrem Chef Carl Flemming die erfundene Geschichte von dem britischen Überläufer erzählen mußte, der sie im Café Pöchhacker ansprechen und diese Pistole als Erkennungszeichen verlangen würde. Der Überläufer war natürlich nicht erschienen, obwohl Nora sich pro forma regelmäßig von dem schweigsamen Albert Carlson, Flemmings Chauffeur, in jenes Café, das knapp außerhalb des Rings, an der verlängerten Kärntnerstraße lag, bringen und zwei Stunden später wieder abholen ließ.

Heute war sie mit Stadtbahn und Straßenbahnen in die Stadt gefahren, um zu ihrer Schneiderin zu gehen und noch andere Dinge zu erledigen, wie sie Flemming gesagt hatte. Sie brauchte den Wagen nicht, sie konnte sehr gut auch wieder mit Straßenbahnen und Stadtbahn in die große, vielzimmerige Villa am Rande des Lainzer Tiergartens zurückkehren. Nora Hill war seit einer Woche in Wien. Diesmal hatte sie Zeit vergehen lassen, bevor sie Valerie Steinfeld anrief und sich mit ihr verabredete. »Riesenrad. Morgen. 14 Uhr 30. Bei der Kasse.«

Valerie war pünktlich gewesen. Sie trug einen Breitschwanzpersianer – Pauls Weihnachtsgeschenk 1937! –, einen kleinen schwarzen Hut und darunter ein schwarzes Kostüm. Sie war glücklich, Nora wiederzusehen. Kaum hatte sich das Rad in Bewegung gesetzt, fragte Valerie natürlich nach ihrem Mann.

»Es geht ihm ausgezeichnet, er ist sehr glücklich über Ihren Entschluß, den Prozeß zu führen, und er schickt Ihnen all seine Liebe.«

Licht fiel blendend durch die Fenster der Kabine und ließ Valeries blondes Haar aufleuchten, das unter dem Hut hervorquoll.

»Und er ist gesund?«

»Vollkommen.«

»Seine Leber?«

»In Ordnung. Machen sie sich keine Sorgen. Er hat viele gute Freunde, die sich um ihn kümmern.«

»Das ist schön. Davor habe ich nämlich Angst gehabt, daß er sehr einsam sein wird in London.«

Die Kabine, groß wie ein Straßenbahnwagen, war nun bereits ziemlich hoch gestiegen. Häuser in der Tiefe, Menschen und Straßen wurden kleiner und kleiner. Immer neue kamen ins Bild, Kirchen, der Donaukanal, der Strom, die Brücken über ihn. Die Kabine bewegte sich lautlos. Mächtige Eisenträger des Rades glitten an den Fenstern vorüber.

»Wann fliegen Sie wieder nach Lissabon?«

»Ende des Monats. Ihr Mann ist natürlich begierig zu erfahren, wie der Prozeß angefangen hat. Geht alles gut?«

Valerie sah Nora an.

»Könnte nicht besser gehen!« sagte sie strahlend.

»Und was macht Heinz?«

»Der ist begeistert!«

»Ich habe es Ihnen im voraus gesagt. Weil er den Vater haßt.«

»Ja«, sagte Valerie. Sie fuhr schnell fort: »Nach dem Krieg wird das natürlich anders werden, der Bub ist nur verhetzt. Ein guter Bub! Wenn wir erst alle wieder glücklich zusammen sind, wird er seinen Vater gern haben wie früher, wie vor 38. Ganz bestimmt! Das soll Ihr Freund meinem Mann sagen, bitte.«

»Gewiß.«

»Und daß Heinz ein ausgezeichneter Schüler ist«, fuhr Valerie mit betont fröhlicher Stimme fort. »Und daß der Direktor ihn jetzt besonders freundlich behandelt, seit er weiß, daß ich den Prozeß begonnen habe.«

»Er weiß das?«

Valerie nickte eifrig.

»Ich habe ihn besucht, mit dem Doktor Forster. Ein wunderbarer Anwalt übrigens! Und ihn informiert. Ich war auch beim Gauleiter. Na, die haben Augen gemacht! Und von einer Höflichkeit waren sie!« Valerie lachte wieder herzlich. »Besonders der Friedjung, der Direktor der Chemieschule! Küß die Hand vorn, gnädige Frau, und küß die Hand hinten! Er hat so etwas direkt erwartet, sagte er. Er hat sich nie vorstellen können, daß Heinz kein Arier ist. Dafür turnt er zu gut!«

»Das hat er gesagt?« Nora beobachtete Valerie aufmerksam.

»Ja!« Ohne jede Hemmung sprach die schlanke Frau mit den blauen Augen. Ist das Erregung, Freude, das diese Augen feucht glänzen läßt? überlegte Nora. »Der Direktor behandelt Heinz wie ein rohes Ei! Solange der Prozeß läuft, und der kann lange laufen, sagt Forster, wird dem Buben nicht das Geringste geschehen. Endlich muß ich mir keine Sorgen mehr machen. Es war eine wunderbare Idee von meinem Mann.«

»Mein Freund wird ihm alles erzählen. Es freut mich für Sie, daß alles so gut geht, Frau Steinfeld«, sagte Nora. Nun war der Waggon schon sehr hoch gestiegen. Wie Spielzeug sah alles in der Tiefe aus, die Berge des Wienerwaldes, die weiße Weite hinter der Donau waren zu erblicken.

»Und was ist mit Herrn Landau?«

»Oh, Martin!« Valerie lachte. »Der ist wie verwandelt! Mutig auf einmal, tapfer, frech, ja richtig frech! Den haben wir alle verkannt. Der leidet jetzt nur darunter, daß er in der Partei ist. Darum hat er sich geradezu auf diesen Prozeß gestürzt! Genauso wie die Zeugen, die wir brauchen! Seine Schwester haßt die Nazis! Die wird natürlich alles beschwören, was nötig ist! Und die Agnes Peintinger! Und die Frau Lippowski …«

»Wer?«

»Bei der haben wir gewohnt, als Heinz geboren wurde. Eine alte Dame. Aber so etwas von mutig! Und wie ich Ihnen helfen werde, Frau Steinfeld, hat sie gesagt. Ich war selber mit einem Juden verheiratet, einer Seele von einem Menschen! Auf mich können Sie sich verlassen! Ja, das hat sie gesagt. Alle halten zu mir und zum Paul! Das muß er wissen!«