Выбрать главу

»Doch, ja …« stöhnte Grant.

»Und wurden Sie nicht plötzlich Hauptzeuge der Anklage und kamen frei? Na ja. Und dann … Haben Sie seither nicht dreiundzwanzig Jahre lang prima für die Kerle gearbeitet? Haben Ihnen dreiundzwanzig Jahre lang die Menschen leid getan, die durch Ihre Schuld draufgingen?«

»Ja, sie haben mir leid getan. Zuerst nicht. Überhaupt nicht. Aber dann, so vor sechs, sieben Jahren, da fing es an. Da fing ich auch an zu saufen. Und es wurde immer schlimmer, immer schlimmer! Jetzt ist es ganz schlimm geworden! Clairon. Romath. Aranda. Nicht nur die tun mir leid, Fedor, nicht nur die! Alle Menschen! Denn wir arbeiten doch gegen die Menschen, nicht wahr? Gegen alle! Nicht für einen einzigen. Und das bringt mich um, wenn ich nüchtern daran denke.«

»Großer Gott«, sagte Santarin, ehrlich erschüttert. »Das ist allerdings böse.«

»Hier, bei diesem Fall, ist es am schlimmsten«, flüsterte Grant. Er warf mit einer jähen Bewegung sein Glas an eine Wand, wo es klirrend zerbrach und der Whisky über die Tapete lief, und schrie: »AP Sieben! Das haben wir auf dem Gewissen! Das haben wir geschafft! Wir, wir – und keine Ausrede auf Befehle oder Vorgesetzte! –, wir haben den Militärs den Tod für alle Menschen auf der Welt in die Hände gegeben!«

»Sie wären ja ein Sicherheitsrisiko, Gilbert, wenn es Sie wirklich so erwischt hat!«

»Und Sie haben sich überlegt, daß Sie das sofort meinen Leuten melden müssen.«

»Ja.«

»Und werden Sie es tun?«

»Nein.«

»Warum nicht? Deshalb habe ich es Ihnen doch gesagt! Damit das aufhört, damit das endlich einmal aufhört!«

»Es soll aber nicht aufhören. Ich will keinen neuen Mitarbeiter. Ich habe Sie gern, Gilbert. Wir verstehen uns. Und einen solchen Freund, einen solchen Kollegen soll ich als untragbar melden? Nein!«

»Dann werde ich es selber tun!«

»Nie werden Sie das tun. Nie im Leben. Sie wissen, was mit Ihnen passiert, wenn Sie auch nur einmal absichtlich schlecht arbeiten und einen Fall versauen, geschweige denn, wenn Sie sich selber anzeigen. Um das auf sich zu nehmen, sind Sie doch viel zu feig.«

Grant starrte den Russen an.

»Bei Gott«, sagte er, »Sie haben recht.«

Zu dieser Zeit erreichte der Graf Romath sein Haus in der Defreggergasse, die in einem Villenviertel südlich des Fasangartens und der Maria-Theresien-Kaserne lag. Er bewohnte den Bungalow, den er erst vor fünf Jahren bezogen hatte, allein. Eine Frau, die morgens kam und nachmittags heimging, versorgte ihn. An den Bungalow angebaut war eine Garage. Es schneite heftig, als Romath den Wagen hineinsteuerte.

Er fühlte schon eine deutliche Wirkung.

Nachdem er aus der Villenstraße, in der Grant wohnte, auf die Lainzer Straße herausgefahren war, hatte er bereits angehalten, aus dem Handschuhfach des Autos einen Kunststoffbecher genommen, den halben Inhalt des Röhrchens in diesen geschüttet und den Becher danach mit Whisky vollgegossen. Er hatte gesehen, wie die silbrigen Kügelchen sich tatsächlich sofort lösten, und den Becherinhalt dann hinuntergestürzt, wonach er das Röhrchen in ein Kanalgitter warf und wieder trank, aus der Flasche. Er war weitergefahren und hatte immer weitergetrunken – in der Fasangartengasse, in der Wattmanngasse, in der Feldkellergasse. Hier hatte er Flasche und Becher weit fort in den tiefen Schnee eines unbebauten Grundstücks geschleudert. Es mußte wie ein Unfall aussehen, das war das Wichtigste.

Nun löschte er das elektrische Licht in der Garage. Die Scheinwerfer seines Wagens brannten, der Motor pochte leise. Romath ging zu dem Metalltor, das hochgeklappt war, und zog es herunter. Es schnappte ein. Braves Tor, dachte er. Liebes Tor, dachte er. Schließt gut. Es wird bestimmt genügen. Er fühlte, wie der viele ungewohnte Whisky, den er hinuntergestürzt hatte, und das Schlafmittel stärker und stärker wirkten. Er setzte sich hinter das Steuerrad, kurbelte das Fenster an seiner Seite herab und sah zum Rückspiegel auf. In der Garage waren die emporsteigenden weißen Auspuffgase deutlich zu erkennen. Der Graf Romath löschte die Scheinwerfer und lauschte dem Pochen des Motors. Er saß nun völlig im Dunkeln. Und er wurde rapide schläfriger und willenloser. Kohlenmonoxid kann das noch nicht sein, dachte er. Es ist dieses Schlafmittel. Wirklich ein starkes.

Wie klug von mir, daß ich den Sender hinter dem ›Maskensouper‹ in meinem Büro aus der Nische genommen habe, bevor ich das Hotel verließ. Das Mikrophon über der oberen Leiste der Tür zum Salon in Arandas Appartement holte ich auch noch, nachdem der und diese junge Frau fortgefahren waren. Und schließlich habe ich den Lautsprecher mitgenommen, den kleinen, den man an mein Telefon anschließen konnte. Alles habe ich mitgenommen, als ich losfuhr. Bei der Brücke über den Wien-Fluß vor dem Schloß Schönbrunn war das Wasser nicht zugefroren und tief. Wenn die Sachen überhaupt gefunden werden, dann erst im Frühjahr oder im Sommer, falls der Fluß austrocknet. Manchmal trocknet er aus. Aber bis dahin ist noch lange Zeit. Kein Mensch wird mit dem verrosteten Zeug mehr etwas anzufangen wissen. Vielleicht wird es auch mitgeschwemmt und bleibt an einer Stelle liegen, wo der Wien-Fluß unterirdisch fließt. Das war ich dem Hotel schuldig! Das Wiener ›Ritz‹ ist ein internationaler Begriff. Er darf nicht unter einem Skandal leiden.

Der Graf hob einen Arm und stützte ihn auf das Lenkrad. Dabei fühlte er, daß der Arm bereits schwer war wie Blei. Der Graf Romath lächelte ein wenig.

Es geht großartig, dachte er. So einfach. In einer Stunde ist alles vorbei. Welch ein Glück, daß Santarin mir das Schlafmittel gab und Grant den Whisky. Mehr Glück kann man unter den Umständen wirklich nicht verlangen.

63

»Ja, das war eine schwere Zeit damals bei den Nazis, aber gut ist zum Schluß doch noch alles gegangen, nichts ist geschehen! Verloren haben wir den Krieg, wie noch kein anderes Volk auf der Welt einen Krieg verloren hat, der Hitler war weg, und der gnä’ Herr hat zurückkommen können aus London! Waren wir da alle glücklich! Und jetzt leben der gnä’ Herr und die gnä’ Frau wieder zusammen, beide arbeiten, die gnä’ Frau in ihrer Buchhandlung, der gnä’ Herr im Radio, und was haben wir alle für eine Freude mit dem Heinzi! Was ist das für ein berühmter Mann geworden! Professor an der Universität und hält Vorträge in der ganzen Welt, und alle verehren ihn und reißen sich darum, daß sie seine Schüler sein können!«

Die Agnes Peintinger hatte sehr schnell gesprochen, mit einem Gesicht, das von kindlicher Freude erfüllt war – das runzelige, lederne Gesicht einer alten Frau. Jetzt klatschte sie in die großen, knochigen Hände und lachte Manuel Aranda an. Sie war noch kleiner, als er sie sich vorgestellt hatte, und sie sah in der Tat aus wie das, was sie wieder geworden war: ein Kind.

»Das ist nett, Agnes, daß Sie Herrn Aranda alles so schön erzählen«, sagte Irene Waldegg. »Er interessiert sich sehr dafür, was damals passiert ist. Können Sie nachdenken und ihm noch ein bißchen mehr erzählen – über den Prozeß, zum Beispiel?«

Die Agnes lachte.

»Der Prozeß, ja, du lieber Herrgott! Hereingelegt haben wir die Lackeln, aber wie! An etwas Genaues erinnere ich mich nicht nach der langen Zeit, obwohl ich mich sonst sehr gut erinnern kann! Sie haben es gedreht und gewendet, aber zum Schluß haben sie sagen müssen, ja, der Heinzi ist ein reiner Arier … 1950 war das … nein, 1951, jetzt weiß ich es wieder genau, im Sommer.«

Es war 9 Uhr 30 am Dienstag, dem 21. Januar.

Um 6 Uhr 45 früh hatte Manuel – es schneite noch immer – Irene in der Gentzgasse abgeholt und war mit ihr vorsichtig durch freigeräumte glatte Straßen und von Schnee verwehte Seitengassen zum Ostbahnhof gefahren, um den ihnen unbekannten Jakob Roszek abzuholen, der, wie Paul Steinfelds Bruder Daniel geschrieben hatte, an diesem Tag mit dem ›Chopin-Expreß‹ in Wien eintreffen und eine wichtige Nachricht überbringen würde. Es war eisig kalt auf den Bahnsteigen gewesen, Wind hatte in die mächtige Halle gepfiffen, und auf einer großen Tafel waren die durch die katastrophalen Schneefälle bedingten Zugverspätungen angegeben gewesen.