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»Konnten Sie denn nicht nach Österreich zurück?«

»Mein Mann war erst Ende des Jahres soweit, daß er die lange Reise riskieren durfte. Sie wissen ja nicht, wie man damals reiste! Und wieder im Winter … Wir kamen über Wien …«

»Da sahen Sie dann Ihre Schwester endlich.«

»Ja, da sah ich sie. Ein Gespenst, mehr tot als lebendig, erschütternd, Herr Aranda! Richtig verwirrt kam Valerie mir vor. Was hatte sie mitgemacht! Ihr Mann, den sie so liebte, war bei einem Luftangriff auf London ums Leben gekommen – ein britischer Offizier hatte ihr im Sommer 45 die Nachricht gebracht. Ihr Mann, mit dem sie nach dem Krieg wieder zusammenleben und glücklich sein wollte! Aber nicht nur das. Heinz …«

»Ja?« Manuel richtete sich auf.

»Eine ganz böse Sache. Dieser elende Prozeß hatte ihn der Mutter entfremdet.«

»Wieso?«

»Ich weiß es nicht genau. Es war zu Zerwürfnissen gekommen, zu Streit. Er hatte ihr dauernd Vorwürfe gemacht … Es war nicht möglich, von Valerie eine klare Schilderung zu erhalten. Sie wog knapp fünfzig Kilo und schien dauernd am Umkippen. Jedenfalls war ihr der Sohn, den sie mit so viel Mühe durch die Nazizeit gebracht hatte, davongelaufen.«

»Davongelaufen?«

»Irgendwohin aufs Land. Er arbeitete bei Bauern. Er wollte nicht mehr bei der Mutter wohnen. Und er wartete nur darauf, daß die Kanadier Auswanderer ins Land ließen. Nun, 1947 ist er dann ja auch ausgewandert … und ein Jahr später umgekommen in Quebec, bei einem Autounfall … Wenn jemand ein schweres Leben geführt hat, dann war es Valerie! Und nun dieses Ende … dieses furchtbare Ende! Was für ein Geheimnis schleppte Valerie noch mit sich herum? Was kann es gewesen sein? Was, Herr Aranda, was?«

Ja, was …

Manuel preßte die Stirn gegen die kalte Fensterscheibe des Zugabteils. Er fühlte sich plötzlich todmüde, völlig erschöpft. Nur mit Mühe saß er aufrecht. Vor seinen Augen flimmerten Lichter in der Finsternis. Die Achsen der Räder schlugen gehetzt und laut.

Was ist los mit mir? dachte Manuel. Ich kann nicht mehr richtig sehen, nicht mehr richtig hören, mir ist so unheimlich. Die Luft im Abteil, die zu warme Luft. Ich will auf den Gang hinausgehen. Da werde ich mich besser fühlen, da werde ich …

Ohne einen Laut sackte Manuel Aranda zusammen.

Im nächsten Moment schon war Frohner aufgesprungen und hatte den Reglosen an den Schultern gepackt, um zu verhindern, daß er auf den Boden kippte.

Der schwarzhaarige Gamitz zog schnell die Rollvorhänge an den Abteilfenstern, die zum Gang sahen, herab und befestigte sie, dann trat er zu Frohner, hob Manuels Kopf und drückte eines der geschlossenen Augenlider hoch.

»Der ist bedient«, sagte Gamitz zufrieden.

»Noch neun Minuten bis Klagenfurt«, sagte Frohner. »Klappt wie am Schnürchen. Los, hilf mir.« Er hatte Manuels Kamelhaarmantel vom Haken genommen. Die beiden Männer richteten den Bewußtlosen halb auf, hielten ihn fest und mühten sich, seine schlenkernden Arme in die Mantelärmel zu bringen.

»Diese Zigaretten sind erste Klasse«, sagte Gamitz. »Wirken in so kurzer Zeit. Die haben uns schon was Feines gegeben.«

»Sind ja keine Idioten«, sagte Frohner. »Er hat aber auch brav sofort eine genommen.«

»Wo ist der Stummel?«

»Im Aschenbecher.«

Frohner fischte das Ende heraus und steckte es in die Packung mit den präparierten Zigaretten, die er vor Manuel hingelegt hatte. Dann öffnete er kurz das Fenster und warf die Packung hinaus. »Die nächsten Stunden schlummert der jetzt selig«, sagte er dazu. »Setzen wir ihn dahin. So. Und den Vorhang vors Gesicht. Er schläft, wenn ihn draußen wer im Vorbeigehen sieht.« Gamitz ließ die Rouleaus an den Gangfenstern wieder hochschnellen. Danach setzte er sich neben den reglosen Manuel. »In Klagenfurt nehmen wir ihn zwischen uns und schleppen ihn raus. Total besoffen, so muß er aussehen. Lachen und Witze machen, kapiert?«

»Ja«, sagte Frohner. »Wo ist das Auto?«

»Wartet vor dem Bahnhof. Überhaupt keine Affäre mehr.«

Nach kurzer Zeit verlangsamte der Zug sein Tempo. Viele Lichter huschten vorüber. Die beiden Männer zogen ihre Mäntel an und setzten ihre Hüte auf. Gamitz nahm den Vorhang wieder von Manuels Gesicht. Auf dem Gang draußen war niemand.

»Jetzt können wir, denke ich«, sagte Gamitz. Er drückte Manuel die braune Pelzmütze auf das Haar. Gemeinsam mit Frohner hob er den Betäubten hoch, der sinnlos vor sich hinlallte. Jeder Mann schlang sich einen Arm Manuels um die Schulter. Gamitz packte den Griff der Abteiltür, um sie zu öffnen. Im nächsten Moment stand ein junger, großer Mann, der einen Dufflecoat trug, in ihrem Rahmen. Er hielt eine schwere Pistole in der Hand.

»Was soll …«, begann Gamitz.

»Zurück«, sagte der Mann mit der Pistole. Er sprach schwer akzentuiertes Deutsch. »Sofort zurück! Den Mann auf die Bank.«

Frohners rechte Faust fuhr hoch. Er versuchte, dem Eindringling die Waffe aus der Hand zu schlagen. Der Mann im Dufflecoat trat ihn mit voller Wucht in den Bauch. Frohner jaulte auf, ließ Manuels Arm los und ging zu Boden. Gamitz fiel mit seiner Last auf die Sitze. Entsetzt sah er, wie ein zweiter Mann – er trug einen pelzgefütterten Ledermantel und gleichfalls eine Pistole in der Hand – das Abteil betrat und die Rouleaus wieder herabzog.

»Wir müssen hier aussteigen«, stammelte Gamitz. »Diesem Mann ist schlecht … zu viel getrunken …«

»Zu viel getrunken, Scheiße«, sagte der junge Mann im Ledermantel. Er sprach gleichfalls mit Akzent, es klang aber anders. »Arme hoch!« Gamitz hob gehorsam die Hände.

»Steh auf!« sagte der Mann im Ledermantel.

Gamitz stand auf.

Manuel sank der Länge nach auf die Bank.

Der Mann im Ledermantel durchsuchte Gamitz nach Waffen. Er fand einen Revolver in einem Gürtelhalfter, zog ihn heraus und steckte ihn ein. »Hinsetzen! Hände oben lassen!« befahl er.

Sein Begleiter hatte inzwischen den Mann, der sich Frohner nannte, hochgerissen und gegen das Fenster gestoßen.

»Ich kann nicht … kann nicht stehen …«, jammerte Frohner.

»Halt dich am Griff fest! Los!«

Auch bei Frohner fand sich eine Waffe.

Der Zug ratterte über Weichen und fuhr langsam in den Bahnhof Klagenfurt ein.

2

›Frag nicht, warum ich gehe‹, spielte das kleine Salonorchester, als Manuel die getäfelte Bar des ›Ritz‹ betrat. In der Loge, in der sie schon einmal mit ihm gesessen hatte, erblickte er Irene Waldegg. Verlegen sah sie ihm entgegen. Die großen braunen Augen schimmerten unter dem Licht der Wandbeleuchtung, das kastanienbraune Haar schien Irene wie in breiten, weichen Wellen über den Nacken auf die Schultern zu fließen.

Manuel hatte Nachrichten beim Portier vorgefunden, als er das ›Ritz‹ betrat. Eine Notiz Cayetanos bezog sich auf Irene. Manuel hatte gewußt, daß sie in der Bar sitzen würde. Und dennoch war es nun ein Schock, sie zu sehen, obwohl die Tatsache ihrer Anwesenheit ihn mit Freude erfüllte. Irene!

Valerie Steinfelds Tochter!

Seit heute nachmittag wußte Manuel es, und er würde es nie vergessen, solange er lebte. Die junge Frau, die ihm da mit einem schüchternen Lächeln entgegenblickte, die wußte nichts davon, die sollte es nie erfahren, nein, nie. Ob es sie erschüttern würde? überlegte er, während er auf Irene zuging. Ob es sie vielleicht im Gegenteil mit Freude und Stolz erfüllt hätte, wenn sie es wüßte? »Guten Abend, Irene!« Er neigte sich über ihre Hand und küßte sie. »Wirklich, das ist eine wunderbare Überraschung.«

»Sie sind mir nicht böse?«

»Böse? Na, hören Sie!«

»Es ist fast halb zwölf … Bis jetzt haben Sie gearbeitet. Ihr Direktor hat mir erzählt, daß Sie den ganzen Tag in Ihrer Botschaft zugebracht haben, daß Sie länger geblieben sind als er.«