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»Ja.«

»Aber wie konnten … Ich meine, das war doch Irrsinn …«

»Gar kein Irrsinn, lieber Freund.« Nora Hill trug einen cremefarbenen Abend-Hosenanzug aus leichter Seide, mit großen Blumen und Blättern in Grün und Rosa bedruckt und tief dekolletiert. Die Hosen waren, besonders unten, sehr weit geschnitten. Nora hatte ihren Smaragdschmuck angelegt.

Eine alte Uhr an der Wand zeigte die Zeit: 22 Uhr 35. Nach seinem so jäh unterbrochenen Gespräch mit Martin Landau war Manuel zuerst in die Möven-Apotheke gefahren, um Irene zu sehen. Von ihr aus hatte er Nora Hill angerufen und sie gebeten, noch am gleichen Abend kommen zu dürfen. Sie war einverstanden gewesen.

»Ich freue mich immer, Sie zu sehen, lieber Freund …«

Manuel hatte anschließend den Hofrat Groll im Sicherheitsbüro besucht. Nach einem späten Abendessen im ›Ritz‹ war er zu Nora Hills Villa hinausgefahren. Viele Autos parkten vor dem phantastischen Rundbau. Es herrschte großer Betrieb an diesem Abend. Nora Hill war mit Manuel in ihr Appartement gegangen und hatte, da er gleich vom negativen Ausgang der Blutgruppenuntersuchung sprach, auch sofort über ihr Treffen mit der ratlosen Valerie Steinfeld berichtet, bis er sie unterbrach.

Nun meinte die schöne Frau mit den gelähmten Beinen sanft: »Als Sie das letzte Mal hier waren – wir mußten unser Gespräch unterbrechen, der Steuerprüfer wartete, Sie erinnern sich …«

»Ja, ja …«

»… da sagte ich Ihnen doch, daß Flemmings Chauffeur mich hier, in diesem Zimmer, vergewaltigte und daß ich, als Flemming dann heimkam, ihm in meiner Angst alles erzählte – das von Valerie Steinfeld und das, was Carlson gemacht hatte, nicht wahr?«

»Ja, das sagten Sie mir.«

»Sie waren entsetzt über meinen Verrat, lieber Freund. Sie konnten mich nicht begreifen.« Nora lächelte. »Ich hatte mir das alles wohl überlegt. Ich kannte Flemming. Er war ein Nazi, ein Karrierist, aber er war kein Narr. Nein, wahrhaftig nicht.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Manuel.

»Setzen Sie sich zuerst wieder, Sie machen mich ganz nervös.«

»Madame, bitte!«

»Ich erzähle ja schon weiter, lieber Freund. Nun, an jenem Januarabend hörte Carl Flemming sich alles, was ich ihm berichtete, schweigend an. Er trank, und ich trank – so wie wir beide heute trinken, in demselben Zimmer, sechsundzwanzig Jahre später. Und als ich endlich fertig war, stand er auf …«

31

… und ging einige Minuten, ohne ein Wort zu sprechen, vor dem Kamin, in dem ein fröhliches Feuer prasselte, hin und her, mit länglichem, markant geschnittenem Gesicht, klugen und zugleich leidenschaftlichen Augen, buschigen schwarzen Brauen und kurzgeschnittenem schwarzem, hartem Haar.

Nora betrachtete ihn gespannt. Sein Schweigen begann ihr neue Furcht zu bereiten. War es doch falsch gewesen …? Sie zündete eine Zigarette an.

Der Leiter des ›Arbeitsstabes Flemming‹ lehnte sich an jene Bücherwand, in deren Mitte Manuel Aranda sechsundzwanzig Jahre später den eingebauten Apparat eines Hausfernsehens erblicken sollte, betrachtete Nora brütend und begann die ›Marseillaise‹ zu pfeifen.

»Carl! Sag etwas!«

Flemming hörte zu pfeifen auf und zuckte die Schultern.

»Wir haben zwei Probleme zu lösen, Liebling. Ein leichtes und ein schwereres. Das schwerere ist mein Chauffeur.«

Nora sah ihn an, und ein Gefühl widerwilliger Bewunderung für diesen Mann erfüllte sie.

»Was machen wir mit Carlson?« fragte sie.

»Langsam. Reden wir zuerst von dem leichten Problem. Ich liebe dich viel zu sehr, als daß ich dir Vorwürfe machen könnte. Es bedeutete auch nur Zeitverschwendung. Und Zeit haben wir jetzt nicht zu verschwenden. Irgend etwas Ähnliches traute ich dir stets zu. Du bist der Typ für derlei. Und für mehr. Zum Beispiel für eine Doppelagentin.«

»Carl! Du denkst doch nicht im Ernst …«

»Nun, früher oder später muß man es in Erwägung ziehen, Liebling …« Flemming ergriff ihre rechte Hand und küßte die Innenseite. »Wenn man bedenkt, wie wenige brauchbare Informationen du bringst – und wie viele unbrauchbare, falsche – von diesem Jack Cardiff …«

»Cardiff ist wirklich auf unserer Seite!« rief sie. »Er verrät sein Land und will Deutschland helfen – aus Überzeugung! Er kann doch nichts dafür, wenn das Material, das er liefert, nicht immer richtig und brauchbar ist!«

»Kann er nichts dafür?« Flemming lächelte freundlich.

»Er tut, was er kann! Vielleicht wird er beobachtet, steht längst unter Verdacht …« Nora phantasierte wild drauflos. »Sie geben ihm vielleicht absichtlich falsche Nachrichten … Wer weiß, in welcher Gefahr er schwebt …«

»Aber Liebling«, sagte Flemming kopfschüttelnd. »Eine einzige kleine Bemerkung von mir, eine völlig verständliche Bemerkung – und du benimmst dich, als ob … man könnte fast glauben, du liebst diesen Cardiff.«

»Ich …«

»Schluß damit. Du liebst ihn nicht, ich weiß. Du liebst mich.« Nora starrte Flemming an. Meinte er, was er sagte? Ahnte er die Wahrheit? Kannte er sie längst? Bis an das Ende ihrer Verbindung sollte dieser Mann für Nora ein Rätsel bleiben. Nie durchschaute sie ihn ganz. »Natürlich bist du keine Doppelagentin. Du arbeitest nur für mich, nur für Deutschland. Und du weißt so gut wie ich, daß Deutschland diesen Krieg jetzt schon verloren hat – wenn er, sinnlos und mörderisch, alles zerstörend, vielleicht auch noch ein oder zwei Jahre weitergehen wird, bis wir beim Ende mit Schrecken angekommen sind. Ich sitze ja an der Quelle. Ich mache mir nichts vor. Die Zeit nach dem Kriegsende wird für mich nicht angenehm werden – wenn ich sie erlebe.«

»Für mich auch nicht«, sagte sie, schnell und hilflos.

»Ach, für dich …« Er lachte kurz. »Du bist eine Frau. Bei Frauen ist das anders. Die Sieger lieben die Frauen. Und die Frauen lieben die Sieger. Außerdem ist deine Position mit meiner nicht zu vergleichen. Ich habe mich viel mehr exponiert – leider. Nichts zu machen. Der Ehrgeiz, Liebling, der Ehrgeiz! Jetzt bin ich sein Opfer. Es ist nötig, an die Zukunft zu denken, gute Taten zu tun – wie du zum Beispiel.«

»Ich?«

»Nun, in dieser Steinfeld-Geschichte.« Er nahm auch eine Zigarette. »Da tust du doch tapfer viel Gutes. Das wird man dir später hoch anrechnen. Deshalb möchte ich es dir gleichtun.«

»Das heißt …«

»Daß du auf meine Verschwiegenheit, meine Sympathie und meine Mitarbeit rechnen kannst.« Er verzog den Mund. »Keine Gefühlsausbrüche, bitte. Du verstehst jetzt, warum ich so großmütig bin. Ich muß versuchen, es auch noch in anderen Fällen zu sein. Damit ich Freunde habe, wenn man mich anklagt, wenn ich vor einem alliierten Gericht stehe. Das wäre natürlich die Voraussetzung: daß Frau Steinfeld dann ausführlich und dankbar erklärt, wie wunderbar ich mich in ihrem Fall benommen habe. Ich stelle mir vor, sie wird das tun, wie?«

»Natürlich, Carl, natürlich …«

Nora nickte.

Schon ein Kerl, dieser Carl Flemming, schon ein Kerl, dachte sie.

»Nun zum größeren Problem, mein Liebling: Carlson, das verfluchte Schwein.«

»Er ist nicht normal, Carl! Er muß geisteskrank sein …«

»Nicht eben beruhigend, wenn du recht hast. Und ich fürchte, du hast recht«, sagte Flemming. »Was soll mit ihm geschehen? Ich kann ihn zur Rede stellen. Anzeigen. Verhaften lassen. An die Front, in eine Strafkompanie bringen lassen kann ich ihn auch noch. Die Beziehungen habe ich. Sogar KZ könnte ich ihm besorgen – Kaltenbrunner wäre mir sicher gern behilflich. Aber«, sagte Flemming, »das alles ist zu gefährlich. Viel zu gefährlich. Denn dieser Hundsfott würde überall erzählen, daß du in der Steinfeld-Geschichte steckst und daß ich dich decke.« Flemming begann wieder zu pfeifen und umherzuwandern, kam dann plötzlich zu Nora und küßte sie auf die Stirn. »Geh schlafen, Liebling. Ich muß über diese Sache nachdenken …« Er küßte sie noch einmal. Danach verließ er das Zimmer.