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»Und deinen Mann auch.« Plötzlich war die Stimme des Jungen hart.

»Was heißt das? Freilich den auch!«

Nun sah er sie an, kühl, sachlich.

»Was hast du, Heinz? Glaubst du mir etwa nicht?«

Er fragte langsam: »Du hast ihn ganz sicher betrogen, deinen Mann, ja?«

»Ja! Ja!«

»Das kannst du beschwören – bei meinem Leben, nicht vor irgendeinem Richter? Bei meinem Leben?«

Valerie antwortete mit fester Stimme: »Bei deinem Leben, ja, Heinz.« Er sah sie immer weiter an, sie hielt seinen Blick kaum aus, aber sie zwang sich, ihn zu ertragen. Nun habe ich beim Leben meines Jungen falsch geschworen, dachte sie.

»Na ja«, sagte Heinz.

»Was heißt das nun wieder? Was hast du denn?«

»Ach weißt du, Mami, ich bin ja kein Idiot. Und wenn man kein Idiot ist, dann fragt man sich in einer solchen Situation natürlich: Lügt die Frau« (›die Frau‹ sagt er von mir, dachte Valerie entsetzt) »nicht und schwört jeden Meineid, nur weil sie ihren Sohn, der einfach ein Halbjud ist, zum Arier machen will? Das ist doch verständlich, daß man sich das fragt! Jeder Richter wird sich das fragen.«

»Aber so ist es nicht«, rief Valerie. »So ist es nicht, Heinz, ich habe es dir doch geschworen!«

»Nicht«, sagte er leise.

»Was nicht?«

»Du sollst nicht so schreien. Und dich nicht so aufregen.«

»Ich muß mich aufregen! Glaubst du etwa, für mich ist es eine Kleinigkeit, jetzt so vor dir dazustehen? Deine Mutter, die nicht einmal sagen konnte, welcher dein Vater ist! In was für eine seelische Lage bringe ich denn dich? Was mußt du denn jetzt von mir denken?«

Seine Lippen bewegten sich kaum, als er sprach, und seine Stimme klang für Valerie wie die eines fremden Menschen.

Heinz sagte: »Was ich von dir denke, darüber will ich nicht reden.«

»Heinz!«

»Nein. Ich will nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil es keine Rolle spielt«, antwortete er.

»Keine Rolle? Aber für mich spielt es eine Rolle!«

»Für mich nicht. Für mich spielt eine einzige Sache auf der Welt eine Rolle. Alles andere ist mir egal.«

»Wovon sprichst du?«

»Von dem Juden. Ich bin nicht sein Sohn. Das hast du beschworen. Der Onkel Martin ist nicht mein Vater, der Onkel Ludwig ist es also. Meinetwegen. Gut, daß ihr das so rasch herausgefunden habt. Ich hätte mich sonst noch an den Onkel Martin als Vater gewöhnt. Kleiner Irrtum. Kann vorkommen. Irren ist menschlich.« So muß ein SS-Führer sprechen, dachte Valerie entsetzt, ein Himmler, ein Kaltenbrunner! Und es ist mein Junge, der so spricht, mein Junge! Schaudernd hörte sie, was Heinz noch sagte: »Die einzige Sache auf der Welt, die für mich eine Rolle spielt, ist, daß der Jud nicht mein Vater ist, daß ich ein Arier bin!«

38

»Dies war also die Reaktion Ihres Sohnes«, sagte Nora Hill drei Tage später im Teekammerl der Buchhandlung. Es war gerade Mittagspause. Martin Landau machte seinen Spaziergang um den Block. Valerie saß am Schreibtisch. Sie hatte der jungen Frau alles erzählt, was geschehen war. Nun nickte sie.

»Ja, das ist seine Reaktion gewesen. Danach sagte er nur noch, daß er jetzt schlafen müsse, es sei schon spät …«

Nora Hill trug an diesem heißen Tag ein kornblumenblaues Kleid aus leichter Seide, weiße Handschuhe, weiße Schuhe und einen großen, breitkrempigen weißen Hut.

»Das ist alles sehr schwer für Sie, Frau Steinfeld …«

»Es geht schon.« Valerie strich über ihren Verkäuferinnenmantel. »Es muß gehen. Es wird gehen!«

Nora klopfte auf Holz.

»Nein, nein, wirklich! Das anthropologische Gutachten ist hervorragend! Alle sind bereit, noch einmal als Zeugen auszusagen, auch die Frau Lippowski. Den Doktor Forster sehe ich morgen wieder. Ich habe bei meinem allerersten Besuch in seiner Kanzlei von einem zweiten Mann geredet, sagt er, es steht im Protokoll, er hat nachgeschaut.«

»Wieso? Hatten Sie damals selber schon die Idee …?«

»Nein! Das war nur Panik, soweit ich mich erinnere. Er erschreckte mich mit der Möglichkeit, daß sich Herrn Landaus Vaterschaft als unmöglich erwies – da habe ich auf alle Fälle von einem anderen Mann geredet, wissen Sie? Instinkt muß das gewesen sein … Jetzt ist es ein Segen, sagt der Doktor, denn dieses erste Protokoll hat er seinerzeit dem Gericht zur Verfügung gestellt, darauf kann er sich nun berufen … Nein, nein, mit mir brauchen Sie kein Mitleid zu haben. Es geht mir … großartig geht es mir, denn jetzt habe ich doch neue Hoffnung!« Valerie neigte sich vor. »Ach, etwas ganz Wichtiges, Fräulein Hill! Wann fliegen Sie wieder nach Lissabon?«

»Bald schon diesmal, in zehn Tagen. Wir sehen uns natürlich noch. Herr Flemming will genau informiert sein. Vielleicht hat er auch noch einen Einfall oder kann einen Rat geben oder mit seinen Beziehungen etwas anfangen. Da muß er natürlich sehr vorsichtig sein. Und Sie dürfen ihn nie verraten!«

»Nie!« Valerie hob zwei Finger wie ein Kind. »Aber nach dem Krieg werde ich mich dankbar zeigen, darauf kann er sich verlassen.«

»Darauf verläßt er sich auch. Etwas ganz Wichtiges wollten Sie mir noch sagen, Frau Steinfeld?«

»Ja. Eigentlich sind es zwei Sachen. Erstens: Bitte erzählen Sie Ihrem Freund, hier in Wien geht alles sehr langsam, aber ausgezeichnet. Die Blutgruppenbestimmung hat eine Vaterschaft von Herrn Landau möglich gemacht! Wie zu erwarten gewesen ist. Bitte, Fräulein Hill – Sie werden lügen, ja?« Plötzlich fühlte Nora ihre Hände von den eiskalten Händen Valeries gepackt. »Selbst Ihr Freund darf die Wahrheit nicht kennen! Damit er sich nicht vor meinem Mann verspricht. Pauls Gesundheit! Wenn der sich aufregt … Mein Gott, krank werden würde er bestimmt! Sie sagen Ihrem Freund, es dauert alles lange, aber es geht uns allen gut … das tun Sie doch, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Nora Hill, erfüllt von Mitleid, »das werde ich tun, Frau Steinfeld. Und was war die zweite Sache?«

»Die zweite Sache …«, Valerie holte Atem. »Herrn Flemmings Chauffeur hat sich doch mit Zyankali vergiftet …«

»Und?«

»Und Sie haben mir gesagt, daß Agenten und … und solche Leute alle diese Kapseln haben, daß das gar nicht ungewöhnlich ist.«

»Ja, sicherlich.«

»Dann hat Herr Flemming doch bestimmt auch Gift! Streiten Sie es nicht ab! Ganz gewiß hat er auch etwas!«

»Ich streite es ja gar nicht ab. Seien Sie nicht so laut!«

Valerie flüsterte: »Ich möchte ihn bitten, herzlichst bitten, daß er mir durch Sie zwei von seinen Kapseln schickt …«

»Sie wollen doch nicht – um Gottes willen, Frau Steinfeld!«

»Nein, nein, wo denken sie hin! Nur für den Notfall … für den äußersten Notfall …« Valeries flüsternde Stimme hetzte. »Es weiß doch niemand, was noch alles kommt! Und dann sind Sie oder Herr Flemming vielleicht nicht da, um zu helfen … und sie holen uns … den Heinz und mich … ich weiß nicht, wohin … ich meine, ich weiß es genau! Und Sie wissen es auch! Ich … ich will dann nicht noch gequält werden … und ich will nicht, daß sie den Heinz quälen … Er ist doch noch ein Kind …« Valerie griff wieder nach Noras Händen. »Ich verspreche Ihnen, ich werde die Kapseln nur benützen, wenn es absolut notwendig ist! Wird er mir zwei geben, der Herr Flemming? Glauben Sie das?«

»Ich glaube schon«, sagte Nora Hill erschüttert.

»Das ist ein guter Mensch«, murmelte Valerie. »Wahrhaftig, ein guter Mensch …«

39

Drei rostrote Eichkätzchen mit dunklen Schwänzen. Zwei graubraune. Und zwei schwarze. Sie saßen auf einem freigeschaufelten Weg des Türkenschanzparks, am Rande eines der kleinen, zugefrorenen Seen, und sie knabberten Haselnüsse, die sie zwischen ihren winzigen Pfoten hielten. Aufrecht saßen sie da, die dichtbehaarten Schwänze elegant aufgestellt, ganz zahm, ganz nahe vor Irene und Manuel, die sie fütterten. Sie hatten die Nüsse in kleinen Säckchen aus einem der Automaten im Park gezogen. Es war Samstag, der 25. Januar, gegen halb drei Uhr nachmittag.