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Mercier wirbelte herum.

»Die ganze Kombination?«

»Das werden wir gleich sehen.« Der Professor streifte das Stethoskop ab und griff nach dem Türchen über dem Konus. Es ließ sich an einem oberen Drehpunkt zur Seite schwenken und gab den Blick auf zwei Schlüssellöcher frei. In dem unteren steckte eine Stahlstange.

Der Professor bückte sich.

Auch das zweite Türchen ließ sich bewegen.

Sirus zog eine etwa zwanzig Zentimeter lange Stahlstange, die einen Durchmesser von fünf Millimetern hatte und an ihrem Ende einen seltsam gezackten Bart besaß, aus dem einen Schlüsselloch des unteren Schlosses. Danach zog er die zweite Stange aus dem oberen Schloß.

»Die Sperren lassen sich entfernen«, sagte er. »Die Kombination ist also richtig.« Er legte die beiden Stäbe auf das Tuch, das er über den Schreibtisch gebreitet hatte und auf dem seine Instrumente ruhten. »Jetzt müssen wir noch die beiden Schlösser öffnen.«

»Wie?«

Der Professor hob eine Stahlstange auf, sehr ähnlich den beiden, welche er eben aus dem Tresor entfernt hatte. Sie besaß an einem Ende einen Haltegriff und zahlreiche herausragende gekrümmte Enden von Stahlstiften.

»Das ist eine kleine Erfindung von mir. Mit ihr wurde ich … nun ja, sagen wir es ruhig … weltberühmt.« Der Professor bewegte einen der kleinen Stifte. Aus dem glatten anderen Ende der Stange trat zu Merciers Verblüffung das millimeterdünne Teilstück eines Schlüsselbartes hervor. Jetzt sah er, daß dieses Ende der Stange zahlreiche feine Schlitze aufwies. Der Professor bewegte einen zweiten Stift. Ein zweites dünnes Stahlstück, bizarr gerippt, trat aus einem Schlitz.

»Sie verstehen das System«, sagte Sirus. »Ich führe den Stab ein, mit allen Teilstücken des Bartes in seinem Innern. Danach probiere ich ihn aus. In allen Kombinationen der einzelnen Teile des Bartes. Wenn er für das Schloß nicht paßt, versuche ich es mit dem nächsten. Sie sehen, ich habe ein Dutzend hier. Sie alle gehören zu dieser Art von Tresoren. Deshalb mußte ich vorher genau die Type kennen.«

»Sie haben solche Geräte auch für andere Typen?«

»Selbstverständlich. Die gesamte Kollektion stellt ein Vermögen dar, wie Sie sich denken können.«

»Und … und wenn Sie die Schlösser einmal geöffnet haben, können Sie sie dann auch wieder verschließen?«

Der Professor sah Mercier mit hochgezogenen Brauen an.

»Natürlich«, sagte er. »Oder wünschen Sie, daß ich den Tresor offenstehen lasse? Da hätten Sie einen anderen Mann engagieren müssen. Wenn ich fertig bin, sieht der Gegenstand meiner Bemühungen genauso aus wie zu Beginn. Ein Anton Sirus hinterläßt keine Spuren …«

74

»Ich muß mich gegen diese Frage auf das schärfste verwahren!«

»Na, so aus der Welt gegriffen ist sie ja wohl nicht!«

»Und ob sie das ist! Ich will dir mal was sagen, lieber Pauclass="underline" Wir, im Institut, treiben reine Grundlagenforschung.«

»Soso.«

»Jawohl, reine Grundlagenforschung! Daß wir uns dabei auf alle schon geleisteten Arbeiten stützen, ist selbstverständlich! Und wenn Ransom bereits 1898 über die Wirkung von Bakterientoxinen auf motorische Nerven schrieb, dann berücksichtigen wir das und ziehen natürlich in Erwägung, daß unsere Untersuchungen einmal praktische Resultate bringen können – eben auf dem Gebiet der Schädlingsbekämpfung!«

»Aha! Und auf militärischem Gebiet …«

»Nie! Niemals! Das ist absurd! Das ist vollkommen ausgeschlossen! Hirnrissige Vorstellungen eines Journalisten!«

»Um Gottes willen, hört doch auf!« rief Valerie Steinfeld unglücklich.

»Wenn ihr euch schon einmal alle heiligen Zeiten seht, schreit ihr euch sofort an!«

Das war an einem Abend Ende November 1936.

In dem großen Mittelzimmer der Wohnung in der Gentzgasse saßen einander die Brüder Steinfeld gegenüber und stritten. Valerie war aus ihrem Sessel aufgesprungen und versuchte, die Männer zu besänftigen. Zierlich, sehr jung und sehr schön sah sie aus zwischen den um Jahre älteren Brüdern, die bei aller Verschiedenheit der Charaktere einander unglaublich ähnlich waren. Groß und schlank, hatten beide dichtes schwarzes Haar und schwarze Augen, breite Stirnen, hohe Backenknochen und dunkel getönte Haut. Der jüngere Daniel neigte mehr zu Temperamentsausbrüchen als der ältere, ironischere Paul, dessen starke Brauen sich immer wieder spitz und mokant in die Höhe zogen.

»Verzeih …« Daniel wandte sich an Valerie. Er küßte ihre Hand. »Aber ich muß mich so aufregen. Immer legt er es darauf an, daß ich mich aufrege, der Paul! Das ist einer der Gründe, warum ihr mich so selten seht. Weil ich solchen Szenen aus dem Wege gehen will! Aber heute mußte ich kommen. Deine Leute vom Funk haben bei uns herumspioniert!«

»Sie haben lediglich ein paar Fragen gestellt.«

»Spionieren nenne ich das! Warum hat mich niemand gefragt?«

»Du lehnst Interviews doch immer ab!«

»Ja, weil sie mir zum Kotzen sind! Aber wenn ich höre, daß du vor hast, gegen das Institut loszuziehen im Radio, eine Brandrede zu halten, daß wir Kriegsmaterial – phantastisch allein der Gedanke! –, daß wir Kriegsmaterial herzustellen versuchen … dann ist das etwas anderes! Dann gebe ich Interviews! Als Vorstand des Instituts! Ich komme sogar zu dir, damit du mich interviewen kannst!«

Paul strich über Valeries Hüfte.

»Setz dich hin, Liebling. Und sei ganz ruhig. Du kennst uns beide doch. Alte Streithähne! Ich bin Journalist. Ich habe mein Berufsethos. Daniel ist Wissenschaftler. Er hat das seine. Wenn er mich überzeugt, wirklich überzeugt, daß sich seine Forschungen nicht eines Tages in einem Krieg benützen lassen, dann werde ich das auch nie behaupten! Aber ich muß überzeugt sein.«

»Ich sage dir doch: Es ist denkbar, theoretisch denkbar, daß man, als Ergebnisse unserer Arbeiten, einmal Mittel entwickelt, die Schädlinge bekämpfen und vernichten.«

»Fragt sich nur, was für Schädlinge«, sagte Paul.

»Bitte!« flehte Valerie. »Nicht schon wieder!«

»Was soll das heißen?« rief Daniel.

»Es wird immer Menschen geben, für die andere Menschen nichts als Schädlinge sind«, sagte Paul.

»Du meinst, daß man nach unseren Arbeiten einmal Mittel zur chemischen oder bakteriologischen Kriegführung entwickeln kann?« Daniel holte tief Luft. »Du hast ja den Verstand verloren!«

»Na, Giftgase gab es schließlich schon im letzten Krieg.«

»Aber mit dem, was wir untersuchen, kann doch kein Mensch Giftgase herstellen!« Daniel griff sich an den Kopf. Dann wühlte er in den Taschen seiner Jacke. »Ich bin ganz ruhig, Valerie, hab keine Angst. Ich werde es Paul im Detail erklären. Mein Assistent, der Friedjung, hat mir Stichworte auf einen Zettel geschrieben … Wo habe ich ihn bloß …«

Valerie war bei Nennung des Namens kurz zusammengezuckt. Sie meinte: »Ich verstehe ja nichts davon. Aber wenn Paul sagt, daß schon im letzten Krieg Giftgase eingesetzt worden sind … Die haben ja schließlich auch Chemiker entwickelt, nicht wahr? Und diese Chemiker werden am Anfang ihrer Arbeit vielleicht auch nicht geahnt haben, was einmal aus ihr entstehen soll …«

»Wirklich, Valerie, du sagst es doch selbst: Du verstehst nichts davon!« Daniel lächelte ihr zu. »Da ist ja der Zettel!« Er entfaltete einen Bogen Papier und sah Paul an. »Also hör zu. Wir begannen unsere Überlegungen bei einem weltberühmten Mann – Louis Pasteur. Du weißt doch, daß unter Seidenraupen Seuchen ausbrechen können, nicht wahr? Nun, im Jahre 1870 …«

75

»Ist das der Zettel des Herrn Friedjung?«

Manuel Aranda war aufgesprungen und hielt Daniel Steinfeld ein vergilbtes Papier hin, das er aus seiner Brieftasche geholt hatte, während Steinfeld erzählte. Manuel war schon seit langem sehr erregt. Irene hatte ihm Zeichen gemacht, den alten Mann, der bereits recht müde war, nicht zu unterbrechen. Jetzt konnte Manuel nicht länger warten. Der Bogen, den er Groll zusammen mit den Fotografien Penkovics gegeben hatte, damit der Hofrat das ganze Material im Tresor des Dr. Stein deponieren konnte, zitterte in seiner Hand. Manuel dachte: Wie gut, daß ich mir dieses Papier gestern von Stein schicken ließ. Ich hatte eine Ahnung, daß ich es brauchen würde, wenn Daniel Steinfeld eintraf.